Diskriminierung an der Hochschule entschlossen entgegentreten

Márcia Moser und Dilara Kanbiçak im Gespräch mit dem UniReport zum diesjährigen Diversity-Tag.

Am 26. Mai 2020 wird in Deutschland zum achten Mal der Diversity-Tag gefeiert – initiiert von der Charta der Vielfalt und gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der Bundeskanzlerin als Schirmherrin sowie durch das Netzwerk Integration durch Qualifizierung. Die Goethe-Universität beteiligt sich nun bereits zum dritten Mal an diesem Tag, der Offenheit und Vielfalt feiert und die Wertschätzung für Anderssein insbesondere in der Arbeitswelt voranbringen soll. Die beiden Mitarbeiterinnen des Gleichstellungsbüros aus dem Arbeitsbereich Diversity Policies Márcia Moser und Dilara Kanbiçak sind für die Organisation und Durchführung der Veranstaltung zuständig.

UniReport: Der Diversity-Tag ist ein großartiges Ereignis, bundesweit und für die Goethe-Universität. Wenn Sie auf die Erfahrungen aus den letzten Jahren zurückblicken, was ist Ihnen als besonders interessant oder erwähnenswert im Gedächtnis geblieben?

Márcia Moser: Der Diversity Day ist ein schöner Anlass, die Vielfalt, die uns im Unialltag begegnet und umgibt – und die letztlich Normalität ist an der Goethe-Uni – wahrzunehmen und wertzuschätzen. Das spiegelte sich auch in den Podiumsdiskussionen, die wir jedes Jahr ausgerichtet haben. Hier begegneten sich Personen mit völlig unterschiedlichem Background, aber eben gemeinsamen Anliegen. Es zeigte sich letztlich viel Verbindendes und das statusübergreifend. Dieses Jahr fokussieren wir mit dem Thema Diskriminierung ein konfliktträchtiges Thema. Zugleich wollen wir aber über das Programm zeigen, dass Wandel möglich ist. Allein die Teilnehmenden und die in der Postergalerie vorgestellten Initiativen machen deutlich, wie sich Einzelne für den Abbau von Diskriminierung einsetzen und Veränderung – auch strukturelle – gestalten können.

»Diskriminierung stoppen, Vielfalt leben« lautet das Thema. In welchem Verhältnis stehen denn beide – Vielfalt und Diskriminierung?

Dilara Kanbiçak: Um dieses Verhältnis besser erläutern zu können, hilft es, sich den Diversity- Begriff nochmals vor Augen zu führen. Wir verstehen Diversität als Normalität an unserer Uni. Und die Nicht-Anerkennung dieser Normalität, die mit der Wahrnehmung von Menschen als „anders“ einhergeht, bildet somit die Grundlage für personelle wie auch strukturelle Diskriminierung. Menschen diskriminieren andere Menschen unter anderem wegen ihres Alters, ihrer Religion, Bildung, ihres sozialen Status, ihrer sexuellen Orientierung und ihres Genders. Es gibt rassistische Zuschreibungen oder Diskriminierung aufgrund von physischen und psychischen Beeinträchtigungen. Für uns ist es wichtig, Wahrnehmung dafür zu schaffen, dass Menschen, die zum Beispiel aufgrund rassistischer Zuschreibungen diskriminiert werden, stark in ihrer Lebensgestaltung beeinträchtigt werden. Zu dieser Lebensrealität gehört auch die Universität. Entsprechend sehen wir es als unsere zentrale Aufgabe, diverse Lebenssituationen und Erfahrungen anzuerkennen und so zu berücksichtigen, dass im besten Falle für alle ein erfolgreiches Arbeiten und Studieren an der Goethe-Universität möglich wird. Deshalb wurden letztes Jahr auch die Antidiskriminierungsrichtlinien verabschiedet und eine Antidiskriminierungsstelle eingerichtet, die Betroffene berät, unterstützt und die Diskriminierung an der Hochschule entschlossen entgegentritt.

Warum ist Diskriminierung besonders für die Hochschule ein relevantes Thema?

Kanbiçak: Die Hochschule ist ein sozialer Raum. Ein Raum mit Bildungs- und Ausbildungsauftrag, eine Forschungseinrichtung und Sphäre der Wissensgenerierung, ein Beschäftigungsort und nicht zuletzt ein Ort der Vergesellschaftung. Das bedeutet, dass die Uni ein Ort ist, an dem Persönlichkeit und Identität gebildet wird. Die Universität wirkt, wie Vizepräsident Manfred Schubert-Zsilavecz erst kürzlich betonte, durch ihre Third-Mission-Aktivitäten direkt in die Gesellschaft hinein. Das bedeutet auch, dass es an der Universität viele Handlungsräume gibt, um gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten.

Abends wird der Dokumentarfilm »I am not your Negro« von Raoul Peck gezeigt. Warum dieser Film – er reflektiert doch stark die US-amerikanische Geschichte? Was ist die zentrale Botschaft, die wir zum Abschluss des Diversity-Tags aus dem Film ziehen können?

Moser: James Baldwin, um dessen Perspektiven auf den Rassismus in den USA es im Film geht, ist eine schillernde, faszinierende Figur: Schriftsteller, Essayist, politischer Intellektueller. Der Film basiert auf Baldwins nie veröffentlichtem Manuskript Remember this House. In diesem Text erzählt Baldwin über die Ermordung von Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King Jr. Besonders spannend erscheint mir, dass sich in der Konfrontation der Gegenwart mit den Reflexionen Baldwins Schock und Ernüchterung breitmachen hinsichtlich der Frage, welche Hoffnungen auf Veränderung sich erfüllt beziehungsweise nicht erfüllt haben. Was uns aber ganz besonders bewegt hat, I am not your Negro anlässlich des Diversity Days zu zeigen, sind vor allem drei Aspekte: Zum einen wollten wir den Tag mit einer starken, kritischen Stimme abschließen. Zum anderen wünschten wir uns eine Perspektive, die die Bedeutung eben solcher kritischen und engagierten Stimmen herausstellt. Zuletzt waren aber die Eindrücke nach den rassistischen Anschlägen von Wächtersbach, Halle und Hanau, die nur die Spitze des Eisbergs von Rassismus in Deutschland sind, ausschlaggebend. I am not your Negro bezieht sich auf den US-amerikanischen Kontext, das ist schon richtig. Aber Deutschland hat auch ein tief sitzendes „Rassismusproblem“, und es stellen sich für unsere Gesellschaft und Politik ähnliche Fragen: Wie sehr ist unsere nationale Identität auf Ausgrenzung und Abwertung von vermeintlich „Anderen“, „Fremden“, „Ausländern“ aufgebaut? Und: Was für eine Gemeinschaft wünschen wir uns eigentlich? Wie wollen wir miteinander leben?

Hinweis: Am 26. Mai werden spannende Aktionen nur online stattfinden. Aufgrund der aktuellen Lage wird eine Durchführung der Veranstaltung auf dem Campus nicht möglich sein. Besuchen Sie www.diversity.uni-frankfurt.de – wir freuen uns darauf, mit Ihnen zusammen hier ein neues Format auszuprobieren. Auf dem Campus werden wir das Event am Donnerstag, 10. Dezember 2020, in Raum Casino 1.801 in geplanter Form nachholen, aktuelle Informationen finden Sie hierzu auf der Website.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.20 des UniReport erschienen.

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