MoSyD 2019: Weniger Alkohol, weniger Zigaretten, mehr Abstinenz

Neue Frankfurter Studie zeigt in vielen Bereichen jugendlichen Drogenkonsums eine Stagnation oder sogar einen Rückgang. Das »Corona-Jahr 2020« wird erst demnächst ausgewertet.

Aus heutiger Sicht war 2019 das Jahr vor Corona, also ein ‚normales‘ Jahr auch für einen Sozialwissenschaftler wie Dr. Bernd Werse vom Centre for Drug Research an der Goethe-Universität. Der gerade erschienene Jahresbericht des Monitoring-Systems Drogentrends 2019 in Frankfurt am Main (MoSyD), für das jedes Jahr Erhebungen stattfinden, bildet dementsprechend nicht das Jahr 2020 und die Auswirkungen des Corona-Lockdowns ab. Gleichwohl enthält die Untersuchung jede Menge interessanter Aspekte, die Entwicklungslinien der Vorjahre bestätigen: Beim Alkoholkonsum ist das Alter des Erstkonsums auf 14,1 Jahre gestiegen (2005: 12,7); zwar bleibt Alkohol auch im Jahr 2019 die mit Abstand „am weitesten verbreitete psychoaktive Substanz bei Jugendlichen“, wie es in MoSyD heißt, aber seine Bedeutung ist deutlich gesunken: 70 Prozent der 15- bis 18-jährigen Schüler*innen haben nach der aktuellen Befragung mindestens einmal in ihrem Leben Alkohol getrunken, 2002 waren es noch 94 Prozent. Als „häufige Konsument*innen“ gelten 5 Prozent – sie gaben an, im Vormonat mindestens zehnmal Alkohol getrunken zu haben (2002: 18 Prozent). Bernd Werse sieht für den Rückgang verschiedene Gründe: Ein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein spielt seiner Ansicht nach eine Rolle, auch eine allgemeine Entwicklung in der Gesellschaft: „Wenn man mal mehrere Jahrzehnte zurückgeht, da war es eigentlich noch fast normal, dass man auch mittags zum Essen Alkohol konsumiert. Aber im heutigen Geschäfts- und Berufsleben würden sich die meisten wohl nicht mehr trauen, sich zu jeder Tageszeit mal eben ein Bierchen zu genehmigen. Entsprechend könnte bei jungen Leuten der Alkoholkonsum weniger als früher als ein Zeichen des Erwachsenseins gesehen werden.“

Auch beim Zigarettenkonsum belegten die Ergebnisse mit Blick auf die der Vorjahre einen dauerhaften Rückgang: Nur noch 12 Prozent der Befragten sind tägliche Raucher*innen handelsüblicher Zigaretten (2003: 40 Prozent). „Die Raucherquote ist in Deutschland unter Erwachsenen im internationalen Vergleich allerdings immer noch ziemlich hoch, da ist man in anderen Ländern schon deutlich weiter. Insofern könnte man die Jugendlichen und jungen Erwachsenen gewissermaßen als Trendsetter oder Avantgarde betrachten, denn in dieser Altersgruppe hat gerade der regelmäßige Zigarettenkonsum massiv abgenommen“, erläutert Werse. Die Gründe dafür sieht er auch in den rigiden Rauchverboten auf Schulhöfen: „Wenn Rauchende dicht gedrängt und unter Zeitdruck vor dem Schultor stehen, dann wirkt das auf jüngere Schüler*innen nicht besonders cool.“ Auch beim Shisha-Konsum gibt es einen deutlichen Rückgang – sowohl bei denen, die es überhaupt mal ausprobiert haben als auch bei Intensivnutzern. „Wir haben uns eigentlich immer gewundert, warum das Shisha-Rauchen, das ja bereits 2006 in Verbindung mit Shisha-Bars in der Jugendkultur beliebt wurde, nicht schon früher zurückgegangen ist“, sagt Werse.

Rückgang und Normalisierung bei Cannabis

Beim Cannabiskonsum zeichnen die Frankfurter Drogenforscher ein gemischtes Bild: Cannabis bleibt die mit Abstand am weitesten verbreitete illegale Droge unter Jugendlichen. Die Anzahl derer, die noch nie Cannabis ausprobiert haben, ist allerdings auf 67 Prozent gestiegen – „das hat wiederum ziemlich viel mit dem Nichtrauchertrend zu tun, weil Cannabis meist geraucht wird“ – während die Verbreitung und „Normalisierung“ von Cannabis in Ausgehszenen weiterhin recht hoch ist. „Beim aktuellen Konsum liegen wir jetzt wieder auf einem mittleren Wert zum Vergleich der Vorjahre. Nachdem es vor einigen Jahren noch Höchstwerte gegeben hatte bei denjenigen, die in den letzten 30 Tagen gekifft hatten, liegt der Wert aktuell bei 18 Prozent.“ Werse möchte beim Cannabiskonsum ein differenziertes Bild zeichnen: „Einerseits ist zwar weiterhin die Akzeptanz auch unter den Nicht-Konsumierenden gestiegen, aber es wurde uns auch von den Trendscouts berichtet, dass in vielen Milieus jetzt auch nicht mehr unbedingt der Wille besteht, sich ständig und bei jeder Gelegenheit ‚zuzuhauen‘. Es gibt also beim Kiffen eine gewisse Tendenz zu moderateren Konsummustern.“

Weitere illegale Drogen werden wie in den Vorjahren von rund jedem zehnten Jugendlichen ausprobiert, in erster Linie Ecstasy/MDMA, Speed und Kokain; aktueller Konsum von mindestens einer dieser Drogen ist mit 3 Prozent aber eher selten. Innerhalb von Partyszenen ist Kokain erstmals die wichtigste illegale Droge, da einerseits Ecstasy und Speed hier an Bedeutung eingebüßt haben, andererseits Kokain als „hochwertige“ Droge im Vergleich zu früheren Jahren ein positiveres Image zugeschrieben wird. „Was wir in Frankfurt schon eigentlich seit dem ersten Erhebungsjahr beobachten können ist, dass das, was hier als Junkiedroge verschrien ist, auch eine ziemlich hohe Ablehnung unter den Jugendlichen erfährt. Es gibt zwar durchaus nicht wenige drogenaffine Jugendliche, die alles Mögliche mal ausprobieren wollen. Aber bei Heroin und Crack sagen sie dann: lieber nicht!“

Eine wichtige Erkenntnis der aktuellen MoSyD-Studie: Die Kennzahlen für die Abstinenz von legalen Drogen und Cannabis sind wieder deutlich gestiegen. Die „Lebenszeit-Abstinenz“ liegt bei 18 Prozent, die „30-Tage-Abstinenz“ bei 39 Prozent. Insgesamt hat die Abstinenz seit der ersten Datenerhebung im Jahre 2002 damit ihren Höchstwert erreicht. „Aus gesundheitspolitischer Sicht ist das natürlich erfreulich. Langfristig gesehen werden wir auf jeden Fall weniger Rauchertote zu befürchten haben. Auch scheint Alkoholkonsum immer weniger selbstverständlich zu sein für junge Leute. Obwohl sich Cannabis als Jugenddroge schon seit Langem etabliert hat, kann man dennoch sagen, dass der Konsum für viele junge Leute nur eine vorübergehende Phase ist und sie wahrscheinlich ihren Cannabiskonsum im jungen bis mittleren Erwachsenenalter wieder stark reduzieren oder einstellen werden.“

Weniger Geselligkeit = weniger Drogenkonsum?

Welchen Einfluss wird die Corona-Pandemie und der Lockdown auf den Drogenkonsum haben, welche Prognosen kann die Forschung dazu anstellen?

Das Team von Bernd Werse hat dazu bereits einige Daten erhoben und andere Studien ausgewertet. Gespannt ist Werse, was bei der Schülerbefragung 2020 herauskommen wird. Man weiß, dass in jungen Jahren der Konsum von Drogen in den meisten Fällen mit sozialen Aspekten verknüpft ist, etwa gemeinsamen Treffen und Partys. „Wenn es möglicherweise einige Jugendliche geben wird, die ihren Alkohol- oder Cannabiskonsum gesteigert haben, wird das womöglich ausgeglichen durch diejenigen, die aufgrund eingeschränkter sozialer Kontakte weniger konsumieren. Ich würde insgesamt vermuten, dass durch die Corona-Krise die Zahl der Jugendlichen, die überhaupt Drogen konsumieren, nicht zugenommen haben wird. Dafür sprechen die Kontaktbeschränkungen, durch die nicht nur Konsumgelegenheiten in der Peergroup, sondern auch Kontakte zu Leuten, die Drogen beschaffen können, weniger geworden sind.“

MONITORING-SYSTEMS DROGENTRENDS (MOSYD)

Für die Studie 2019 wurden Jugendliche aus 88 Klassen in 23 Schulen von Ende 2019 bis Anfang 2020 befragt. Sie waren im Durchschnitt 16,7 Jahre alt, 81 Prozent der Befragten wohnten in Frankfurt. Die Daten des Monitoring-System Drogentrends basieren auf Befragungen von jährlich ca. 1500 Frankfurter Schüler*innen, die das Centre for Drug Research der Goethe-Universität Frankfurt seit 2002 durchführt. An den hier dargestellten Ergebnissen der Hauptzielgruppe der 15- bis 18-Jährigen waren ca. 1100 Schüler*innen beteiligt. Ebenfalls abgefragt wurde in der MoSyD-Studie Medienkonsum, Glücksspiel und andere Freizeitaktivitäten. Die MoSyD-Studie (Monitoring-System Drogentrends) 2019 umfasst neben der Befragung der Schüler*innen auch die Befragung von Expert*innen und Trendscouts. Das Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main fördert die Studie.
Die gesamte Studie kann hier kostenfrei als PDF heruntergeladen werden unter.


Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 2/2021 (PDF) des UniReport erschienen.

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