TATORT-FORSCHUNG: Bericht vom zweiten Abend

© Dr. Dirk Frank
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Verdrängen Klischees die kriminalistische Wirklichkeit? Hält die erfolgreiche Tatort-Reihe dem Faktencheck Stand? Mit diesen spannenden Fragen setzte sich das Podium am zweiten Abend der Bürgeruni-Reihe zur TATORT-Forschung auseinander, zu dem wieder über 200 Zuschauer gekommen waren.

Das Kurzvideo „Der typische Tatort in 121 Sekunden“, eine amüsante Satire über Klischees aus unzähligen Tatort-Folgen, bot den Diskutanten eine geeignete Grundlage, um in den Faktencheck einzusteigen. Die typische einleitende Szene, in der die Ermittler den Ort des Verbrechens begutachten, sei meist nicht realistisch dargestellt, betonte Kriminalkommissarin und Krimiautorin Nikola Hahn: „Kommissare müssen dort in Wirklichkeit immer Schutzkleidung tragen. Zudem lassen sie der Spurensicherung den Vortritt und halten sich eher zurück.“ Erst wenn sich die Hinweise auf ein Tötungsdelikt verdichteten, sei die Polizei „mit großem Bahnhof“ vor Ort, so Hahn. Der Schweizer Tatort-Regisseur Markus Imboden, der unter anderem die Tatorte aus München in Szene setzt, erklärte, dass sich oft die Schauspieler weigerten, die Schutzkleidung zu tragen. Ihm sei es aber prinzipiell ein Anliegen, die Filme realistisch zu gestalten: „Der Tatort soll ein Spiegel der Gesellschaft sein.“

Petra Boberg, Moderatorin von hr-iNFO, fragte bei Rechtsmediziner Prof. Marcel A. Verhoff (Goethe-Universität) nach, ob er seinen „Kollegen“ vom Tatort Münster, Professor Boerne, für wirklichkeitsnah halte. „Als Gerichtsmediziner ist man Gutachter, kein Ermittler“, betonte Verhoff. In seiner Arbeit spielten nicht nur Tote, sondern auch Lebende eine große Rolle; dann ginge es beispielsweise darum zu rekonstruieren, wie Verletzungen zustande gekommen seien. Verhoff brachte ein anschauliches Beispiel, um die Wirksamkeit von Fernsehklischees zu verdeutlichen: „Ertrinkende reißen in der Fiktion immer die Arme hoch, bevor sie untergehen. Das ist in der Realität überhaupt nicht so – man geht einfach unter. Dennoch gehen viele Zuschauer davon aus, dass sie anhand dieses erfundenen Details einen wirklich Ertrinkenden erkennen könnten“, betonte Verhoff. Allerdings machte der Rechtsmediziner den Filmemachern auch ein Kompliment: „Die Leichen sehen im Tatort meist sehr echt aus.“ Er habe auch schon häufiger Filmteams beraten, selbst sein eigenes Büro habe es schon einmal ins Fernsehen geschafft, berichtete Verhoff augenzwinkernd.

[dt_quote type=“pullquote“ layout=“left“ font_size=“big“ animation=“none“ size=“2″]Nachbericht von hr-iNFO [/dt_quote]

Regisseur Imboden ergänzte, dass er zur Vorbereitung eines Films auch schon einmal bayerische Kommissare bei ihrer Arbeit begleitet habe. Viele Details aus der realen Polizeiarbeit müssten aber im Film wegfallen, um Platz zu machen für gute Geschichten: „Wir haben nur 90 Minuten Zeit dafür“, so Imboden. Sind die heutigen Kommissare vielleicht zu „freakig“, wollte Petra Boberg von ihm wissen. Jeder Sender habe diesbezüglich eine eigene Philosophie, welche Rolle das Privatleben der Ermittler zu spielen hat, entgegnete der Regisseur. Nicht alle Kommissare seien derart auffällig wie das Duo Boerne und Thiel in Münster.

Erhebliche Abweichungen von der Realität sieht Kriminalkommissarin Hahn bei den Vernehmungen: „Es fehlt im deutschen Krimi nahezu immer die Rechtsbelehrung – ohne eine solche ist die Vernehmung aber wertlos“, betonte Hahn. Ihr „Kollege“ Felix Murot, gespielt von Ulrich Tukur, habe in jüngst ausgestrahlten Folge „Es lebe der Tod“ eine zwar künstlerisch interessante, aber aus professioneller Sicht sehr fragwürdige Vernehmung des Hauptverdächtigen durchgeführt: „Ob jemand in einer solchen Situation lügt, kann man nicht allein an der Augenbewegung festmachen“, erklärte Hahn. Grundsätzlich brach die selber auch Krimis schreibende Beamtin eine Lanze für die Fiktion: Zwar seien die meisten Tötungsdelikte eher im Beziehungsumfeld des Opfers angesiedelt und daher nicht so komplex wie im Krimi; jedoch seien Geschichten für den Leser und den Zuschauer nur dann interessant, wenn die Aufklärung eines Falles mit verschiedenen Verdächtigen zu tun habe: „Und das kommt sogar auch in der realen Polizeiarbeit durchaus vor“, betonte Hahn.

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Der nächste Termin ist erst am 5. Dezember: „Kommissar Hightech. Wie die moderne Forensik die Ermittlungsarbeit verändert.“ 19.30, Zentralbibliothek, Hasengasse 4. www.buerger.uni-frankfurt.de

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Foto: Benjamin André/Goethe-Universität
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