Tierversuche – die Sicht eines Ethikers

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Dieter Birnbacher, Heinrich Heine-Universität Düsseldorf; Foto: Privat

Die Debatte um die Zulässigkeit und die Grenzen von wissenschaftlichen Tierversuchen ist keine neue Debatte. Sie wird spätestens seit dem 17. Jahrhundert geführt, mit – wie etwa der Briefwechsel zwischen René Descartes mit seinem englischen Briefpartner Henry More zeigt – ähnlichen Positionierungen, wie wir sie heute finden. Allerdings vertritt heute so gut wie keiner mehr die Auffassung Descartes’, dass Tiere, weil sie über keine Sprache verfügen, deshalb empfindungslose Automaten sind.

Allerdings wird auch in der gegenwärtigen ethischen Diskussion über den menschlichen Umgang mit Tieren überwiegend davon ausgegangen, dass dem Menschen ein grundsätzliches moralisches Recht auf die Verfügung über Tiere und die Nutzung von Tieren zu eigenen Zwecken zukommt. Allerdings stößt dieses grundsätzliche Recht an eine Grenze, wenn Tiere durch die menschliche Nutzung erheblich belastet oder ohne hinreichenden Grund getötet werden.

Tierschutz contra Tierrecht/ Tierschutz oder Tierrecht?

Diese Auffassung kann man grosso modo als „Tierschutz-Position“ bezeichnen – im Gegensatz zu „Tierrechts- Positionen“, die Tieren (bzw. bestimmten höheren Tieren) weitergehende Rechte zuschreiben. Die „Tierschutz“-Position lässt sich verstehen als eine Art „goldene Mitte“ zwischen zwei Extrempositionen, die beide in unserem Kulturkreis in Bezug auf Tiere nur (noch) selten vertreten werden, dem Anthropozentrismus und dem Biozentrismus.

Anthropozentrismus bedeutet, dass sich der Umgang mit Tieren allein am Maßstab menschlicher Interessen und Gefühle orientiert. Diese Position war im Westen über Jahrhunderte hinweg dominant. Ihre prominentesten Vertreter waren Immanuel Kant und – repräsentativ für die christliche Moraltheologie – Thomas von Aquin. Kant war durchaus kein Tierverächter, aber den Schutz der Tiere konnte er im Rahmen seiner Philosophie lediglich durch die Pflicht des Menschen zur Selbstachtung und die Vorsorge gegen Verrohung im Umgang mit Menschen begründen.

Kant zufolge sollten Pflichten nur gegenüber Wesen bestehen können, die ihrerseits moralfähig sind. Der Anthropozentrismus war allerdings bereits vor Kant durch David Hume und Jean-Jacques Rousseau in Frage gestellt worden. Heute wird überwiegend die Kritik geteilt, die Jeremy Bentham implizit und Arthur Schopenhauer explizit an Kants Auffassung übten.

Nach beiden kommt es nicht darauf an, ob Tiere denken oder reden können wie Menschen, sondern ob sie wie Menschen leiden können. Allen leidensfähigen Wesen wird ein Eigenwert zugeschrieben. Der Biozentrismus auf der anderen Seite erkennt einen derartigen Eigenwert allen Lebewesen einschließlich der niederen Tiere und der Pflanzen zu.

Einige Vertreter dieser Auffassung gehen sogar so weit, allen nicht-menschlichen Lebewesen ein gleich starkes Recht auf Leben und Entwicklung zuzusprechen. Prominentestes Beispiel für diese Auffassung ist Albert Schweitzers „Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben in allen seinen Erscheinungsformen“. Sie hat allerdings die wenig akzeptable Konsequenz, keinerlei Differenzierungen zwischen den Arten des Lebendigen zuzulassen und davon abzusehen, in welchem Ausmaß Tiere davon, wie Menschen mit ihnen umgehen, subjektiv betroffen sind.

Wann ist Tierleid gerechtfertigt?

Die „Tierschutz“-Position ist pathozentrisch, indem sie die Leidensvermeidung in den Mittelpunkt stellt. Sie schließt eine Tötung von Tieren nicht aus, fordert aber, dass diese möglichst angst- und leidensfrei erfolgt. Diese Position wird in der gegenwärtigen Diskussion in mehreren Varianten vertreten, die sich darin unterscheiden, welche Trade-offs sie zwischen der Zufügung von Leiden („Belastungen“) bei Tieren einerseits und menschlichen Gütern andererseits zulässt.

Die dem aktuellen politischen mainstream und dem deutschen Tierschutzgesetz entsprechende schwächere Variante geht davon aus, dass Belastungen von Tieren – durch Tierversuche, aber vor allem auch durch die überwiegend als belastend einzustufende landwirtschaftliche Tierhaltung – nicht nur zur Verhinderung bzw. Minderung menschlichen Leidens zu rechtfertigen ist, sondern auch durch andere menschliche Güter wie Leben, Sicherheit, Wissenserwerb und Genuss.

Eine stärkere – den Pathozentrismus enger und wörtlicher auslegende – Variante fordert, als Rechtfertigungsgrund für die Leidenszufügung bei Tieren ausschließlich die Leidensminderung bei Menschen gelten zu lassen. Danach lassen sich Belastungen von Tieren etwa für Grundlagenforschung und Ernährung nur insoweit rechtfertigen, als sie indirekt der Leidensminderung dienen. Eine noch stärkere Variante vertritt schließlich die Position, dass zwischen Leidenszufügung und Leidensminderung eine ethische Asymmetrie besteht.

Danach ist eine aktive Leidenszufügung bei Tieren grundsätzlich moralisch bedenklicher als ein passives Zulassen gleich schwerwiegender Leiden bei Menschen. Da es die Natur sei, die Menschen an Krankheiten leiden lasse, die wir dann mittels Tierversuchen zu bekämpfen suchen, während es im Falle der Tierversuche wir selbst sind, die die Tiere leiden lassen, bestehe hinsichtlich der Frage der Tierversuche kein eigentlicher ethischer Konflikt:

Leidenszufügung dürfe nur mit Leidenszufügung, nicht aber mit Leidenlassen verglichen werden. Diese – u. a. in Deutschland von Ursula Wolf vertretene – Position trifft allerdings auf die Kritik, dass sie mit dem Gebot zwischenmenschlicher Solidarität schwer verträglich ist. Auch dann, wenn es nicht der Mensch selbst ist, der das Leiden eines Schwerkranken verursacht, betrachtet er sich in der Regel doch als für die mögliche Verhinderung und Linderung dieses Leidens nicht weniger verantwortlich als für die eines durch Menschen bewirkten.

Vertreter einer tierethischen Pflicht zur Leidensminderung berufen sich im Wesentlichen auf zwei – insbesondere von Schopenhauer formulierte – Argumente: dass höhere Tiere (zu denen mindestens die Wirbeltiere gehören) leidensfähig sind, und dass nicht zu sehen ist, warum die in allen Ethiksystemen anerkannten Pflichten zur Unterlassung von Leidenszufügung und zu aktiver Leidenslinderung bei Menschen nicht gleichermaßen für alle leidensfähige Wesen gelten müssen.

Die Tatsache, dass Tiere keine Moralsubjekte und keine möglichen Vertragspartner sind, die in der Lage wären, sich mit dem Menschen über wechselseitig bestehende Rechte und Pflichten zu verständigen, kann danach kein Grund sein, diese Pflichten nicht auch für leidensfähige Tiere gelten zu lassen.

Andernfalls bestünden diese Pflichten ja auch nicht gegenüber unmündigen Menschen. Allerdings wird eine Verpflichtung zur aktiven Fürsorge in der Praxis zumeist nur für Tiere in der Obhut des Menschen und für von Menschen zu Nutzungszwecken gezüchtete Tiere anerkannt. Bei Wildtieren stehen einer Fürsorgepflicht u. a. Naturschutzüberlegungen entgegen.

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Wie weit kann/darf der Tierschutz gehen?

Tierversuche haben eine große Bedeutung für den medizinischen Fortschritt. Die ethischen Verpflichtungen und rechtlichen Vorgaben haben zugenommen,
doch wird tierexperimentelle Forschung nach wie vor kritisch beäugt oder gar komplett abgelehnt. Der Philosoph Dieter Birnbacher beschäftigt sich seit vielen Jahren schon mit der ethischen Dimension von Tierversuchen. Auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Versuchstierkunde (GV-SOLAS) im vergangenen September an der Goethe-Universität hielt er einen viel beachteten Vortrag dazu. In seinem Essay für den UniReport diskutiert er historische und aktuelle Positionen und zeigt Grenzen des Tierschutzes auf. UR

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Ersetzen, Reduzieren, Optimieren

Die in der Öffentlichkeit wie in der Tierethik vorherrschende „Tierschutz-Position“ ist auch die Grundlage des deutschen Tierschutzgesetzes. Es begrenzt die Belastung von Tieren durch von Menschen zugefügte Schmerzen, Leiden und Schäden und fordert für die Tötung von Tieren einen „vernünftigen“ Grund – ein unbestimmter Rechtsbegriff, der es erlaubt, die Akzeptabilität der Gründe den jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Anschauungen anzupassen.

Das Tierschutzgesetz schützt also die Tiere um ihrer selbst willen – im Gegensatz zu älteren Gesetzen, die Tiere nur soweit schützten, wie es die Vermeidung öffentlicher Ärgernisse oder einer vermeintlichen Verrohung von Menschen erforderte –, was aber nicht heißt, dass Tiere auch als Träger von subjektiven Rechten mit eigener (durch Stellvertreter wahrgenommene) Klagebefugnis betrachtet werden.

Bei der Rechtfertigung von belastenden Tierversuchen sind von Rechts wegen zwei Arten komplexer Beurteilung und Abwägung erforderlich: erstens die Gewichtung der auf dem Spiel stehenden tierlichen und menschlichen Güter und zweitens – auf dem Hintergrund der Güterbewertung – die Feststellung der „Unumgänglichkeit“ der Belastung der Tiere angesichts der Bedeutung der von dem jeweiligen Versuch erwarteten Ergebnisse.

„Unumgänglichkeit“ der Belastung bedeutet, dass Alternativmethoden nicht zur Verfügung stehen, dass der Tierversuch im Sinne von refinement optimiert und die Belastung der Tiere, gemessen an der wissenschaftlichen, therapeutischen oder anderweitigen Bedeutung des Versuchszwecks, im Sinne der sogenannten 3-R-Regel (Replacement, Reduction, Refinement) minimiert wird.

Das Kriterium der Leidensfähigkeit setzt also den Versuchen mit leidensfähigen Tieren Grenzen, beinhaltet aber keine kategorische Ablehnung von belastenden Tierversuchen. Vielmehr erlaubt das Kriterium eine Abwägung zwischen den Belastungen, denen Tiere im Versuch ausgesetzt sind, und dem daraus erwartbaren Nutzen für den Menschen. Zugleich legt es nahe, dass die Zulässigkeit belastender Tierversuche wesentlich davon abhängt, in welchem Maß Tiere aufgrund ihrer unterschiedlich ausgeprägten neuronalen Entwicklungsniveaus leidensfähig sind.

Um die Leidensfähigkeit von Tieren zu beurteilen, bedarf es dabei jeweils einer Synopse von neuronalen, endokrinologischen und Verhaltensindikatoren nach bestem wissenschaftlichem Kenntnisstand. Für eine Abstufung des ethisch begründeten Tierschutzes kommt insbesondere der Fähigkeit von Tieren zu Selbstbewusstsein Bedeutung zu. Tiere wie Menschenaffen, bei denen aufgrund ihres hohen Entwicklungsstandes von Selbstbewusstsein und einer dadurch erheblich gesteigerten Erlebnisfähigkeit aus- zugehen ist, müssen besonders geschützt werden.

Nur wenige Tierversuche sind belastend

Tierversuchskritiker berücksichtigen nur selten, dass nur der kleinere Teil der Tierversuche als belastend gelten kann. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 6 und 20 %. Ein erheblicher Teil der Versuchstiere wird im Labor gehalten und zur Organentnahme getötet. Außerdem gibt es die Kategorie der finalen Tierversuche, bei der Tiere vor den Versuchen narkotisiert und nach Ende des Versuchs noch in Narkose getötet werden – mit dem Ziel, ihnen leidvolle Empfindungen zu ersparen.

Aus Sicht der „Tierschutz“-Position bestehen gegen dieserart Versuche, solange von ihnen biologische und medizinische Erkenntnisfortschritte zugunsten des Menschen zu erwarten sind, keine grundsätzlichen Einwände. Auch die Laborhaltung als solche lässt sich, zumal bei kognitiv niedriger entwickelten Tieren, nicht generell als leidensverursachend betrachten.

Häufig leben Tiere in Laborhaltung länger, haben einen besseren Gesundheitszustand und erleiden weniger Verletzungen durch Konkurrenten oder Fressfeinde als bei einem Leben in Freiheit. Andererseits lassen Befürworter von Tierversuchen häufig außer Acht, dass die Praxis der Tierversuche zum Teil weit hinter den Anforderungen eines konsequent pathozentrischen Tierschutzes zurückbleibt. Als aktuelle Probleme seien hier vor allem die Folgen des publication bias und die mangelnde Erfolgskontrolle genannt.

Publication bias führt dazu, dass negative Resultate nicht veröffentlicht werden, so dass Versuche unnötig wiederholt oder von vornherein aussichtlose Forschungsstrategien eingeschlagen werden. Mangelnde Erfolgskontrolle heißt, dass nur selten überprüft wird, ein wie großer Anteil der belastenden Tierversuche tatsächlich Eingang in die – medizinische oder anderweitige – Praxis findet.

Während von Tierversuchsbefürwortern immer wieder darauf hingewiesen wird, eine wie große Zahl der in Biologie und Medizin vergebenen Nobelpreise Forschungen galt, die u. a. Tierversuche beinhalteten, stellen die bisher unternommenen Studien zum tatsächlichen Nutzen von Tierversuchen der Tierversuchsforschung ein schlechtes Zeugnis aus. Vieles spricht dafür, dass der menschliche Nutzen von Tierversuchen nicht nur von den Forschern selbst, sondern auch von Kontrollgremien und Genehmigungsbehörden systematisch überschätzt wird.

Tiere sollen nicht verzwecklicht werden / Recht auf Leben

Im Gegensatz zu den Vertretern der „Tierschutz- Position“ stehen Vertreter der „Tierrechts- Position“ Tierversuchen (und nicht nur den belastenden) sehr viel kritischer gegenüber, da sie eine Abwägung zwischen den Belastungen, die Tieren aus dem Versuch (sowie aus seinen Voraussetzungen, Begleitumständen und Folgen) erwachsen, und menschlichem Nutzen in der Regel grundsätzlich ablehnen.

Für die Mehrzahl der gegenwärtigen Tierethiker, die „Tierrechts-Positionen“ vertreten, sind Tierversuche allenfalls in Ausnahmefällen rechtfertigbar, zumindest insoweit sie – wie es überwiegend der Fall ist – Säugetiere betreffen. Entscheidende Prämisse ist dabei, dass Vertreter von „Tierrechts-Positionen“ (höheren) Tieren nicht nur in der Regel ein Recht auf Leben zuschreiben, sondern vielfach auch ein Recht auf Schutz vor jeder Art Verzwecklichung.

Es leuchtet ein, dass Tierversuche mit einem Recht auf Nicht-Verzwecklichung durchweg, mit einem Recht auf Leben überwiegend unvereinbar sein müssen. Wird Tieren ein Recht auf Leben im schwachen Sinne zugeschrieben, d. h. im Sinne eines Rechts, nicht getötet zu werden, kann auch ein menschliches Recht auf Leben in demselben schwachen Sinne nur wenig dagegen ausrichten. Nur in wenigen Fällen würde ein Mensch dadurch, dass auf die Tötung von Tieren verzichtet wird, wortwörtlich getötet. In der Regel würde er dadurch, dass ein die Tötung beinhaltender Tierversuch unterlassen wird, lediglich nicht am Leben erhalten.

Sensibilisierung für den Tierschutz nimmt zu / Tiertötung moralisch umstritten

Es ist unübersehbar, dass sich Tierrechts-Positionen gegenwärtig im Aufwärtstrend befinden. Nicht nur hat den letzten Jahren in der Gesellschaft die Sensibilisierung für den Tierschutz insgesamt zugenommen. Auch die zwischen Tierschutz- und Tierrechtsposition strittige Tiertötung – insbesondere die zur Erzeugung von Luxusprodukten wie Fleisch und Pelzen und im Zusammenhang mit Tierversuchen, bedeutend weniger die im Zusammenhang mit Schädlingsbekämpfung – wird zunehmend als moralisch bedenklich empfunden.

Ethisch begründeter Vegetarismus und Veganismus finden zunehmend Anhänger, insbesondere in der jüngeren Generation. Das chicken sexing, bei dem männliche Eintagsküken massenhaft getötet werden, wird nicht mehr selbstverständlich akzeptiert und ist in einigen Bundesländern verboten worden.

Umstritten ist auch die hohe Zahl der Tötungen von gentechnisch veränderten Mäusen für die Tierversuchsforschung, die sich als Fehlzüchtungen oder in anderer Weise für Versuche ungeeignet erweisen und deren weitere Haltung prohibitive Kosten verursachen würde. Diese Entwicklung hat sich auch in der politischen und juristischen Debatte niedergeschlagen.

So findet sich in der Rechtsprechung eine Tendenz, die Tötung eines Tiers als maximale Schädigung zu betrachten und damit die Hürden für eine Rechtfertigung so zu erhöhen, dass für die Forschung mit gentechnisch modifizierten Tieren kaum noch Raum bleibt. Denn dadurch, dass die Tötung als eine Schädigung gefasst wird, fällt sie unter den § 7a Abs. 2 Nr. 4 des Tierschutzgesetzes, der u. a. besagt, dass diese „nicht aus Gründen der Arbeits-, Zeit- oder Kostenersparnis zugefügt werden“ dürfen.

In demselben Sinne hatte 1985 bereits das Oberlandesgericht Frankfurt am Main geurteilt: Ökonomische Gründe für die Ausfüllung des Begriffs „vernünftiger Grund“ seien nicht ausreichend, „weil bei Anlegung eines allein ökonomischen Maßstabs die Grundkonzeption des Tierschutzgesetzes als eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes aus den Angeln gehoben würde“. Mit der Übertragung des Würdebegriffs auf Tiere allgemein („Würde der Kreatur“) hat diese Tendenz in der Schweiz sogar den Rang einer Verfassungsnorm erlangt.

Nicht jeder Tierversuch lässt sich ersetzen

Derselbe Trend findet sich auch in der professionellen Tierethik. So vertritt der bekannte Utilitarist und Kritiker der Massentierhaltung Peter Singer in seinen neueren Veröffentlichungen ein Tötungsverbot nicht nur für die über Selbstbewusstsein verfügenden Menschenaffen, sondern für Säugetiere allgemein.

Andere prominente Tierethiker wie Tom Regan erkennen – in der Tradition des Neukantianers Leonard Nelson – höheren Tieren Würde zu und vertreten auf deren Grundlage ein allgemeines Verzwecklichungsverbot, mit radikalen Konsequenzen für die heute sich rapide und weltweit ausbreitenden Formen der Tiernutzung.

Diese ethischen Positionen haben allerdings wenig Aussicht auf Durchsetzung – jedenfalls solange sie nicht nur die Tötung von Tieren zur Fleischerzeugung und im Zusammenhang mit Tierversuchen ausschließen, sondern auch die Nutzung, Züchtung und gezielte Hervorbringung von höheren Tieren als Haus- und Schoßtiere.

Solange nicht alle Tierversuche für bedeutende wissenschaftliche und therapeutische Ziele durch Ersatzverfahren ersetzbar sind (diese Situation ist, soweit ich sehe, weiterhin gegeben), würde ein vollständiges Verbot der tierexperimentellen Forschung nach Auffassung der Vertreter von Tierschutz- Positionen (in ihren am häufigsten vertretenen Varianten) die Idee des Tierschutzes überdehnen. Es wäre nur schwer mit der mitmenschlichen Fürsorgepflicht vereinbar.

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Dieter Birnbacher ist seit 1996 Professor für Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist unter anderem Mitglied der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer und der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Düsseldorf und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung an.

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