Der Astrophysiker Alejandro Cruz Osorio im Porträt

Alejandro Cruz Osorio, Astrophysiker; Foto: Dettmar

Der Astrophysiker Alejandro Cruz Osorio hat es aus bescheidenen Verhältnissen in die Astrophysik geschafft. Seine Forschungstätigkeit im Rahmen des EU-Projekts ExaHyPE ist der Anfang seiner Karriere.

Hübsch sieht es in Chicontepec aus, zumindest auf den Fotos aus dem Internet. Schmucke Einfamilienhäuser reihen sich aneinander, Kathedralen erheben sich in prächtigen Farben. Umrahmt wird der Ort von einer Hügelkette, der er seinen Namen zu verdanken hat: Chicontepec bedeutet übersetzt sieben Hügel. Für Alejandro Cruz Osorio ist das kleine, knapp 50.00 Einwohner zählende Städtchen im mexikanischen Bundesstaat Veracruz, acht Autostunden von Mexico-City entfernt, mehr als ein Eintrag auf Google.

Es ist seine Heimat. Hier ist er aufgewachsen, ist zur Schule gegangen und hat Spanisch gelernt. Denn Osorios Muttersprache ist nicht die mexikanische Amtssprache. „Bis ich in die Schule gekommen bin, haben wir zuhause ausschließlich Nahuatt gesprochen“, erzählt er. Nahuatt, die Sprache der Azteken. Wie fast alle Einwohner in Chicontepec gehört Osorio zu deren direkten Nachfahren. Und hat es damit nicht einfach:

Als Sohn eines Bauernehepaares muss der kleine Alejandro nach Schulschluss auf der Farm mithelfen. Hinzu kommt das Spanisch lernen, eine Sprache, die er davor nur aus dem Mund seines Onkels kannte. Der hat bereits in einem anderen Teil Mexikos gelebt, anders als Osorios Eltern. Sie haben Veracruz nie verlassen. Nach der Schule steht Osorio vor einer schwierigen Entscheidung. Er will studieren, Mathe und Physik soll es sein.

In Chicontepec gibt es keine Universität, das Geld ist knapp. „Aber meine Eltern haben mich immer unterstützt“, erinnert sich Osorio. Sie ermöglichen Osorio ein Studium an der Universidad Michoacana de San Nicolas de Hidalgo. Hidalgo ist Mexikos Nationalheld, die nach ihm benannte Universität angeblich die älteste des Landes. Unter der Woche studiert Osorio, am Wochenende arbeitet er als Kellner in verschiedenen Restaurants, um sich seinen Lebensunterhalt finanzieren zu können.

Nach dem Bachelor wird es einfacher, er bekommt eine gut bezahlte Anstellung als Nachhilfelehrer an einer privaten Hochschule und macht seinen Master. Neben den finanziellen Verhältnissen sind auch die politischen Verhältnisse in Mexiko alles andere als einfach, der seit Jahren tobende Drogenkrieg spaltet das Land. Direkten Kontakt mit den Schergen der Kartelle hatte Osorio zwar nicht, aber: „Ein Bekannter aus meinem Studentenwohnheim wurde von einer der Gangs erschossen“, erinnert sich Osorio.

Seine neue Heimat im Bundesstaat Michuacan, gilt nach der Drogenhochburg Ciudad Juarez als Zentrum des Konflikts. Auch deshalb zieht es Osorio nach seinem Abschluss ins Ausland, der Hauptgrund für seine Entscheidung ist jedoch ein anderer: „Als Akademiker in Mexiko ist es sehr wichtig, Auslandserfahrungen zu sammeln. Deshalb war es für mich immer klar, dass ich zumindest eine Zeit lang woanders leben werde“, erklärt er.

Supercomputer für komplexe Simulationen

Seit August 2016 ist der Astrophysiker Alejandro Cruz Osorio nun in Frankfurt und forscht zusammen mit anderen Wissenschaftlern aus München, Trient und dem englischen Durham im Rahmen des EU-Projekts ExaHyPE. Der Forschungsgegenstand ist komplex: Osorio und seine Kollegen versuchen, die nächste Generation von Supercomputern zu entwickeln, mehr Leistung in weniger Zeit ist das Ziel.

Dadurch soll es möglich werden, noch kompliziertere astronomische Simulationen durchzuführen. Es fällt schwer, Osorios Ausführungen zu folgen, er erzählt von den unendlichen Weiten des Universums, von schwarzen Löchern und explodierenden Sternen. Eines jedoch wird deutlich: Das, an dem Osorio und seine Kollegen arbeiten, ist richtungsweisend für die Astronomie, vielleicht gar für die gesamte Wissenschaft und unseren Alltag.

Neben Osorios Team gibt es nur noch drei weitere Forschergruppen, die über vergleichbare Kenntnisse verfügen. In einer von ihnen wird Osorio nach seiner Zeit in Frankfurt, er ist noch bis Ende des Jahres an der Goethe-Universität, arbeiten. Für seine Frau und seine beiden Kinder heißt es dann wieder Koffer packen, es geht für zwei Jahre nach Valencia. Wie ist das, wenn man von einem Ort zum nächsten zieht, ständig auf der Suche nach einer neuen Stelle ist?

„Als Wissenschaftler ist man das gewohnt“, winkt Osorio ab, „aber gerade für meinen älteren Sohn ist das blöd. In dem Jahr hier hat er so schnell Deutsch gelernt und Freunde gefunden, das ist echt faszinierend. Trotzdem muss er jetzt wieder wegziehen.“ Seine eigenen Sprachkenntnisse sind dagegen schnell zusammengefasst: „Sagen wir mal so: Es reicht, dass ich mir was zu essen bestellen kann“, meint er lachend.

Auf seiner nächsten Station wird Osorio keine Sprachprobleme haben, Spanisch spricht er mittlerweile öfter als seine Muttersprache Nahuatt. Osorio bewegt sich zwischen den Welten, er kennt die traditionelle Lebensweise seiner Familie genauso wie die der modernen Mexikaner und die der Europäer. Sein Lebensstil verbindet moderne mit traditionellen Einflüssen. Bestes Beispiel hierfür ist die Beziehung zu seiner Frau.

„Wir waren ganz lange einfach so ein Paar und haben erst letztes Jahr geheiratet“, erzählt er. „Dafür wollen wir in ein paar Jahren dann noch einmal eine aztekische Hochzeit feiern.“ Trotz seiner Karriere an den Universitäten dieser Welt ist sein Plan, nach dem Zwischenstopp in Valencia nach Mexiko zurückzukehren. Und auch, wenn es für ihn dann in die Hauptstadt Mexiko-City oder eine andere Großstadt geht: Er hat Chicontepec, die Stadt der sieben Hügel, nicht vergessen.

[Autor: Linus Freymark]

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.

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