Früher oder später gehören wir alle dazu: zu jener großen gesellschaftlichen Gruppe, der das wissenschaftliche Interesse von Frank Oswald (56) gilt. Am Fachbereich Erziehungswissenschaften (04), genauer: An dessen Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung leitet Oswald die Arbeitsgruppe „Interdisziplinäre Alternswissenschaft“. Ihm ist die Bezeichnung „Alternswissenschaft“ lieber als der häufig verwendete Begriff „Gerontologie“ –, denn man braucht dafür keine Übersetzung in die Alltagssprache. „Der Begriff Altern hat sehr viele Facetten, die weit über das biologische Altern hinausgehen“, gibt Oswald zu bedenken. Diese Erkenntnis habe sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr in der Gesellschaft verbreitet – und doch bestehe immer wieder Erklärungsbedarf, erzählt er, „so wie damals, als ich die freundliche Einladung auf einen Kongress für Altertumsforschung bekam …“
Mit seinem Lebenslauf scheint Oswald prädestiniert zu sein für einen interdisziplinären Zugang zum Thema „Altern“ – er hat Psychologie studiert, darin promoviert und war außerplanmäßiger Professor am psychologischen Institut der Universität Heidelberg. „Während des Studiums hatte ich eine Hilfskraft-Stelle am Institut für Gerontologie. Die Professorin, bei der ich angestellt war, hatte damals, vor etwa 30 Jahren, in Heidelberg die erste Alternsprofessur in Deutschland inne, und mich hat das Fach so fasziniert, dass ich dabeigeblieben bin“, berichtet Oswald. Dass er als Psychologe eine Professur an einem erziehungswissenschaftlichen Fachbereich antreten konnte, verdankt er auch der Offenheit der Kolleginnen und Kollegen: „Das Tolle an den Erziehungswissenschaften an der Goethe-Universität ist, dass hier eine Pädagogik der Lebensalter gelehrt und erforscht wird. Da waren Kindheitsforschung, Jugendforschung und Erwachsenenbildung schon vertreten und ich konnte mich mit der Alternsforschung problemlos einfügen.“
Interdisziplinäre Perspektive
Aber Oswalds Werdegang ist nicht der einzige Grund dafür, seine Forschung als interdisziplinär zu bezeichnen: „Wir nehmen eine kultur- und sozialwissenschaftliche Perspektive ein, um Phänomene des Alterns aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen zu analysieren“, sagt Oswald, „dabei würde ich mich als ,Ökogerontologe‘ bezeichnen; im Zentrum unserer Betrachtungen steht immer der Austausch zwischen einer alternden Person und ihrer alltäglichen räumlich-dinglichen und sozialen Umwelt.“ Dabei sieht er sich als Forscher, dem auch die Lehre sehr am Herzen liegt: „Wir müssen es schaffen, die junge Generation zu begeistern. Wir müssen vermitteln, wie bunt, jung und zukunftsorientiert die Alternsforschung ist und welche neuen Berufsfelder sie bereithält, denn ohne den Nachwuchs würde einer zukünftigen Gesellschaft ein wichtiger Teil für ihr Gelingen fehlen.“
Dass der Alternsforscher Oswald seine „ganz normalen“ Veranstaltungen auch für Teilnehmende der „U3L“ (Universität des dritten Lebensalters) öffnet, versteht sich eigentlich von selbst; ein Glanzpunkt ist es für ihn, wenn Studierende der Goethe-Universität und Studierende der U3L die gleiche Veranstaltung besuchen und sich zwischen ihnen eine Diskussion über das Thema entspinnt. „Dann entsteht Bildung im Austausch von Alt und Jung – so etwas finde ich ungeheuer spannend“, schwärmt Oswald – und registriert aufmerksam, dass viele U3L-Hörerinnen und -Hörer keine Probleme haben, in der Covid-19-Pandemie an Online-Veranstaltungen teilzunehmen. „Das zeigt, wie sehr man mit gängigen Stereotypen danebenliegen kann.“
Sterbende alleinegelassen
Er redet Klartext, wenn er beklagt, wie Politik und Gesellschaft mit ihrer Einschätzung älterer Menschen während der ersten Covid-19-Infektionswelle im Frühjahr 2020 danebengelegen hätten, und zwar mit schlimmen Folgen: „Damals hat man gesagt, ,Ojemine, die armen Alten, die müssen wir unbedingt schützen, egal ob zu Hause oder im Heim, wenn nötig auch ohne Besuch.‘ Dabei hat man Sterbende und Palliativpatienten alleinegelassen und sogar Berührungen verboten. Außerdem haben wir vergessen, dass viele Ältere produktiv zum Gemeinwohl beitragen. Da hat unsere Gesellschaft Mist gebaut!“ Hinter dem „Schutz-Argument“ habe eine gute Absicht gestanden, aber damit sei man auf das vereinfachte Altersbild der 1980er Jahre zurückgefallen: „Alle über 65 über einen Kamm zu scheren, ist purer ,ageism‘, also Diskriminierung aufgrund des Alters.“
Für eine differenzierte Alternsforschung setzen sich an der Goethe-Universität bereits zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen ein: Am „Frankfurter Forum für interdisziplinäre Alternsforschung“ (FFIA) sind seit 2014 neben Oswald und seinem Team Personen der Fachbereiche Rechtswissenschaften (01), Gesellschaftswissenschaften (03), Psychologie/Sportwissenschaften (05) und Medizin (16) beteiligt. Forschungsthemen betreffen das ressourcenreiche und das ressourcenarme Altern gleichermaßen mit Projekten zu Digitalisierung, Wohnen, Mobilität, Klimawandel, Häusliche Pflege oder Depression und Demenz.
Oswalds Ziel ist es, dessen Wirkungskreis zu erweitern: „Wir sind mit dem FFIA schon an Schwerpunktanträgen für das hessische Förderprogramm LOEWE beteiligt, aber ich finde, dass es an der Zeit ist, die Forschung landesweit in einem „Hessischen Forum für interdisziplinäre Alternsforschung“ zu bündeln.“ Dabei schrecke ihn die Aussicht nicht, dass er schon bald selbst zu der von ihm erforschten Gruppe gehört, sagt Frank Oswald: „Im Gegenteil – es motiviert mich, dass ich auf diese Weise daran mitwirken kann, diese Lebensphase noch besser mitzugestalten.“
Stefanie Hense
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 2/2021 (PDF) des UniReport erschienen.