Biologische Inhalte zu vermitteln, hat Paul Dierkes schon immer begeistert. Er hat Biologie und Chemie studiert, in Neurobiologie promoviert und sich in diesem Fach auch habilitiert: „In dieser Zeit habe ich Veranstaltungen für Lehramtsstudierende gehalten“, berichtet Dierkes, „zum einen natürlich in meinem Spezialgebiet Neurobiologie, außerdem aber auch in Sinnesphysiologie und in Systematik der Tiere.“ Außerdem hat er, bevor er 2006 auf die Professur für Didaktik der Biowissenschaften an der Goethe-Universität berufen wurde, nicht nur an den Universitäten Düsseldorf und Wuppertal unterrichtet, sondern zwischenzeitlich auch die Schülerinnen und Schüler einer Dortmunder Realschule.
„Ein reiner Fachdidaktiker bin ich mit meiner Ausbildung also nicht“, sagt Dierkes, „dass damals die Stelle in Frankfurt für mich so attraktiv war, lag daran, dass die Biologie-Fachdidaktik hier ganz selbstverständlich in den Fachbereich Biowissenschaften integriert ist.“ An vielen anderen deutschen Universitäten seien die verschiedenen Fachdidaktiken hingegen an „Schools of Education“ (etwa „Institute für Lehramtsstudien“) zusammengefasst, berichtet Dierkes, „das würde den Austausch mit den fachwissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen ganz erheblich erschweren, obwohl der für uns so wichtig ist.“
Dierkes’ didaktisches Credo lässt sich kurz und bündig zusammenfassen: Weg mit der Papier-Biologie! „In dieser Form kommen die Biologie-Stunden in der Schule nämlich noch allzu oft daher“, sagt er, „mit mengenweise Arbeitsblättern, die so abgeheftet werden, dass sie früher oder später verschwinden.“ Mit diesen könne die Lehrerin, der Lehrer eines jedenfalls nicht erreichen: Interesse für den Unterrichtsstoff wecken. „Wer sich mit Biologie beschäftigt und das Interesse daran an die Schülerinnen und Schüler weitergeben möchte, kommt nicht umhin, mit den biologischen Objekten zu arbeiten“, betont Dierkes; die Begegnung mit dem Original könne nicht durch eine Abbildung auf einem Arbeitsblatt ersetzt werden.
Lernen außerhalb der Schule
Aus diesem Grund galt Dierkes’ besonderes Interesse von Anfang an außerschulischen Lehrorten: „Inzwischen gibt es in und um Frankfurt ja eine ganze Reihe davon“, zählt er auf: „Da sind nicht nur die Projekte, die von unserer Abteilung initiiert wurden, also das ,Schülerlabor Neurowissenschaften‘, vom Sommer 2021 an auch das ,Schülerlabor Künstliche Intelligenz‘ und der Schulgarten – das ist ein eigener Bereich im Wissenschaftsgarten auf dem Campus Riedberg. Sondern auch der Palmengarten, das Senckenbergmuseum und die beiden Tierparks: der Frankfurter Zoo und der Kronberger Opel-Zoo.“
Gerade die Verbindung zum Opel-Zoo hat sich über die Jahre vertieft und bekam 2014 einen formalen Rahmen: Zusätzlich zu seiner Didaktik-Professur wurde Dierkes auf die damals neu eingerichtete Stiftungsprofessur „Zootierbiologie“ des Opel-Zoos berufen, die 2019 um weitere fünf Jahre verlängert wurde. „Diesen Bereich habe ich mit meiner Gruppe kontinuierlich ausgebaut“, sagt Dierkes, „er ist natürlich für die Studierenden ausgesprochen attraktiv, sodass wir inzwischen jedes Jahr rund zehn Bachelor- und Masterarbeiten betreuen.“
Verhaltensanalyse per Software
Als Stiftungsprofessor erforscht Dierkes vorwiegend im Opel-Zoo, aber auch in Kooperationen mit rund 30 deutschen Zoos sowie mit einzelnen Zoos im europäischen Ausland, ob und inwiefern sich das Verhalten von Zootieren und ihren jeweiligen Artgenossen in freier Wildbahn unterscheidet. Dabei ergeben sich sowohl bei der Beobachtung von Wildtieren als auch bei der Verhaltensanalyse von Zootieren Einschränkungen für Dierkes’ Forschung. Er erläutert: „Der apparative Aufwand ist in jedem Fall sehr hoch, egal ob wir unsere Messungen im Opel-Zoo oder in der afrikanischen Savanne vornehmen. Der methodische Aufwand ist aber in freier Wildbahn wesentlich höher als in einem Stall oder Gehege, sodass wir nur ausgewählte Arten untersuchen können.“ Auf der anderen Seite sei das Verhalten von Zootieren tagsüber stark durch Besucher und Tierpfleger beeinflusst, sodass Dierkes’ Gruppe sich auf Analysen des nächtlichen Verhaltens beschränkt.
Zwar kann die Verhaltensanalyse nur an einzelnen Tierarten erfolgen, aber für die wissenschaftliche Aussagekraft der Studien müssen diese jeweils eine große Zahl an Individuen umfassen. „Deswegen ist ein wichtiger Teil unserer Zoo- und Wildtierforschung, dass wir die automatisierte Auswertung weiterentwickeln“, stellt Dierkes klar und beschreibt ein aktuelles Anwendungsbeispiel: Nachtsicht- bzw. Wärmebildkameras zeichnen das nächtliche Bewegungsverhalten einer Giraffenherde auf. Eine von Dierkes und seiner Gruppe entwickelte Software erkennt dann, ob die Tiere stehen, liegen oder sich in einer REM-Schlafphase befinden. Demnächst soll das Programm um Module erweitert werden, die beispielsweise erkennen, wenn die Giraffen fressen.
Den Richtungswechsel von der Neuro- zur Zootierbiologie hat Dierkes schon vor vielen Jahren vollzogen. Von dieser neuen Richtung, die er seiner wissenschaftlichen Karriere damit gegeben hat, ist er aber nach wie vor überzeugt: „Bei der Arbeit in Zoos lerne ich immer wieder neue, spannende Tierarten und Verhaltensweisen kennen!“ Diese Begeisterung begleitet ihn schon praktisch sein ganzes Leben – gerne erinnert sich Paul Dierkes, wie er als Fünfjähriger von den Elefanten und Nashörnern im Krefelder Zoo fasziniert war.
Stefanie Hense
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 4/2021 (PDF) des UniReport erschienen.