Der syrische Islamwissenschaftler Abdurrahman Helli arbeitet seit diesem Jahr im LOEWE-Projekt »Religiöse Positionierung«.
Als Abdurrahman Helli vor vier Jahren in Berlin aus dem Flieger steigt, wundert er sich: Die Straßen der Hauptstadt sind wie leergefegt im Vergleich zu denen von Damaskus oder Aleppo, überhaupt kommt ihm seine neue Heimat erschreckend ruhig vor. Es ist ein Freitag, in Syrien ist gerade Gebetszeit. Hängt diese merkwürdige Ruhe damit zusammen? Ist in Deutschland etwa auch der Freitag Tag des Gebets, der Tag, an dem das ganze Land innehält und betet? Und nicht der Sonntag, wie es doch in all den schlauen Büchern über Deutschland stand?
Einzig die Berliner U-Bahn erscheint ihm als ein Stück Lebensader der Stadt, nur hier, tief unter der Erde, so wirkt es auf den Neuankömmling aus dem Nahen Osten, holen die Menschen all den Redebedarf nach, der sich nach dem Schweigen auf den Straßen in ihnen aufgestaut hat. Es dauert eine Zeit, bis Helli begreift: Die Stille ist hier, knapp 3000 Kilometer von seiner Heimat entfernt, normal.
Fremd gewordene Heimatstadt Aleppo
Heute kann Helli entspannt über seinen ersten Eindruck von Deutschland lachen: „Natürlich war mir klar, dass vieles anders werden würde, ich habe mich auch dementsprechend vorbereitet. Aber es ist etwas anderes, wenn man dieses Neuartige dann tatsächlich erfährt, das schockiert einen dann trotzdem erstmal“, erzählt der 44-Jährige. Seit knapp vier Jahren lebt der Islamwissenschaftler nun in Berlin, seit diesem Jahr forscht er im Rahmen des LOEWE-Projekts „Religiöse Positionierung“ an der Goethe-Universität zum Thema Religiöse Differenz in pluraler Gesellschaft.
Ein Forschungsauftrag wie geschaffen für den Professor aus Aleppo, der seine Heimatstadt gerne als „Zentrum der Kulturen“ bezeichnet. „Zumindest war es das vor dem Krieg“, fügt er mit traurigem Lächeln an. Das heutige Aleppo, von den nunmehr seit sechs Jahren in Syrien wütenden Kämpfen fast vollständig zerstört, kennt Helli nur aus den Nachrichten. Und aus den Schilderungen seiner Familie und Kollegen, die zum Teil aus der Stadt geflohen sind, zum Teil aber immer noch ausharren.
Helli selbst hatte Glück, bekam den Job an der Freien Universität Berlin, bevor der Krieg Aleppo erreichte. Doch wie lebt es sich, wenn man jeden Tag Angst um seine Verwandten und Freunde hat? Seine Frau und die beiden Kinder sind mit ihm nach Berlin gekommen, der Rest der Familie lebt noch in Syrien. Er telefoniere wöchentlich mit ihnen, auch zu Bekannten und Kollegen hält er Kontakt. Kommt man mit Helli auf seine Heimat in Zeiten vor dem Krieg zu sprechen, bekommt seine Stimme einen stolzen Unterton.
Er erinnert an die Jahrtausende zurückreichende syrische Geschichte, die kulturelle Vielfalt und das friedliche Miteinander. Besonders Aleppo sei stets eine äußerst tolerante Stadt gewesen: „Vor dem Krieg hat sich in Aleppo niemand dafür interessiert, ob du Jude, Christ oder Moslem bist. Man hat einfach miteinander in derselben Stadt gelebt, Religion spielte nie eine übergeordnete Rolle“, erinnert sich Helli. „Das kam erst durch die Politik. Politik verändert alles.“
Aufwachsen in der Diktatur
Helli muss es wissen: Seit 1963 gilt in Syrien ein Dauerausnahmezustand, durch den sich die Einheitspartei von Baschar al-Assad ihre Macht sichert. Neun Jahre später geboren, wächst Abdurrahman Helli in der Diktatur auf. Nach dem Studium in Damaskus promoviert er in Tunesien, das seit 1988 von Diktator Ben Ali geführt wird. Wie lebt es sich als Intellektueller in einem autoritär geführten Land? Und wie unterscheidet sich der akademische Berufsalltag von dem in einer Demokratie?
Die Beeinträchtigungen in seinem Privatleben hätten sich in Grenzen gehalten, erzählt Helli. „Schlimmer war es an der Universität“, meint der Professor. Ein Freund etwa sei entlassen worden, weil seine Forschungen ein anderes Ergebnis brachten als das von den Machthabern geforderte. Die politischen Verhältnisse lassen Helli erstmals erwägen, Syrien zu verlassen, 2013 kommt schließlich das Angebot aus Berlin. Vier Jahren später lebt Abdurrahman Helli zwar noch in Berlin, arbeitet nun aber in Frankfurt. Er ist bisher nur in der Forschung tätig, hat noch keine Lehraufträge. Der Kontakt mit den Studierenden fehlt dem Islamwissenschaftler:
„Ich vermisse meine Studenten“, sagt er. Auch wenn er glaubt, dass man syrischen Studenten mehr abverlange als den deutschen, würde er gerne auch einmal hierzulande Vorlesungen halten. Nach ein paar Jahren Eingewöhnungszeit ist Helli, der syrische Islamwissenschaftler, in Deutschland angekommen. Er überlegt nun, mit seiner Familie aus Berlin dauerhaft nach Frankfurt zu ziehen, das Forschungsprojekt an der Goethe-Universität läuft noch bis 2020. Für die Zeit danach hat Helli noch keine Pläne. Nur eines scheint sicher: „Nach Syrien werde ich wohl erst einmal nicht zurückkönnen“, glaubt Helli und ein Schatten zieht über sein Gesicht.
[Autor: Linus Freymark]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.