„Die Wissenschaft ist der Verstand der Welt, die Kunst ihre Seele“, stellte der russische Schriftsteller Maxim Gorki einmal fest. Die Kunstpädagogik an der Goethe-Universität versucht beides zu vereinen. Aber was bedeutet das für den akademischen Alltag? Und was zeichnet die Kunstpädagogik im universitären Kontext aus?
„Wir füllen ein Dazwischen aus, zwischen Kunstschaffenden und Vermittelnden“, sagt Prof. Kerstin Gottschalk, Leiterin des Schwerpunkts Malerei und Grafik am Institut für Kunstpädagogik. „Dazwischen“ – dieses Wort fällt immer wieder, wenn es um die Kunstpädagogik geht. Gemeint ist die Forschung und Lehre zwischen Praxis und Theorie bzw. zwischen Kunst und Wissenschaft. Denn neben der wissenschaftlich-theoretischen Analyse von künstlerischen und pädagogischen Konzepten geht es in der Kunstpädagogik auch um die kreative Arbeit. Das hat auch Sofia besonders gereizt, mittlerweile studiert sie im fünften Semester: „Einige meiner Freunde haben Kunstpädagogik studiert und mir immer viel von ihren Werkstattkursen, Seminaren und Projekten erzählt. Da bin ich neugierig geworden, denn ich wollte neben meinem theoretischen Hauptfach auch etwas mit mehr Praxisnähe studieren.“
Die Kombination von Theorie mit praktischen Anteilen soll die Studierenden dazu befähigen, Kunst einmal selbst erfolgreich zu vermitteln. Denn egal ob es die Absolventen an Schulen, Museen oder andere Kulturinstitutionen verschlägt, werden sie immer wieder auf eine Verschränkung von Theorie und Praxis treffen. „Dieses Dazwischen sollte man aber nicht mit einem Nicht-Zustand verwechseln“, betont Gottschalk.
Das Fach Kunstpädagogik gehört zu den sogenannten Kleinen Fächern der Universität. Ein Kleines Fach ist dadurch definiert, dass es über eine relativ geringe Anzahl an Standorten und festen Professuren in Deutschland verfügt. Laut Prof. Verena Kuni, Leiterin des Schwerpunkts Visuelle Kultur, sollte man klein allerdings nicht mit unbedeutend verwechseln: „Ein paar Tonnen Kohle haben sicher eine große Heizkraft, aber ein Diamant hat seinen ganz eigenen Wert. Und unserer ist sogar einer, der wie die Kohle den Menschen viel geben und der gesamten Gesellschaft zugutekommen kann.“
Neugierde und Offenheit
Begehrt sind auch die Studienplätze am Institut. Um aufgenommen zu werden, müssen die Studienbewerber und -bewerberinnen eine künstlerische Mappe mit 20 Arbeiten einreichen. Hierbei sind bei Medium und Thema keine Grenzen gesetzt: Von Fotografien über Malereien zu Videoinstallationen ist alles möglich. Kuni erklärt: „Man kann bei uns nicht nur studieren, wenn man eine grandiose Mappe abgibt und schon weiß, dass man eine großartige Künstlerin oder ein großartiger Künstler wird.“ Ihre Kollegin Kerstin Gottschalk sieht das ähnlich: „Natürlich schauen wir uns die künstlerische Qualität der Mappe an, aber es muss auch erkennbar sein, dass die Person bereit ist, sich mit Neugierde und Offenheit bestimmten Themen anzunähern.“
Ist diese erste Hürde erstmal gemeistert, beginnt ein Studium zwischen Druckwerkstatt, Bibliothek und Aktzeichnen. Offenbar in einer sehr angenehmen Atmosphäre: „Der Umgang miteinander ist sehr nett und der Kontakt zu den Dozierenden produktiv und wertschätzend“, beschreibt Sofia ihren Studienalltag. Auch Prof. Kuni ist überzeugt: „Wir haben die tollsten Studis der Welt bei uns. Sie sind mit viel Engagement bei der Sache.“ Das beste Beispiel dafür sei die aktive Fachschaft, die neben Exkursionen zu Museen oder Galerien auch regelmäßig Workshops organisiert, die die Studierenden während des Semesters besuchen können.
Diversität
„Das Lehrangebot ist sehr vielfältig“, findet offensichtlich nicht nur Sofia: Die Kurse am kunstpädagogischen Institut haben sich zu einem regelrechten Schmelztiegel entwickelt, sie ziehen Studierende aus ganz unterschiedlichen Bereichen an. In den Seminaren sitzen Bachelor-Studierende, die nicht nur einen künstlerischen Schwerpunkt haben, darunter neben angehenden Lehrkräften auch Gesellschafts- oder sogar Naturwissenschaftler – nicht zu vergessen die Master-Studierenden aus den Disziplinen Curatorial Studies oder der Ästhetik. Verena Kuni erzählt: „Das empfinden wir als sehr befruchtend. Die Studierenden sind unglaublich produktiv und divers, auch weil es bei uns keinen normativen Konsens gibt und geben soll.“ Prof. Kerstin Gottschalk sieht das ähnlich: „Diese Diversität ist besonders spannend, weil die Kompetenzhoheit, die sonst meist bei den Dozierenden liegt, bei uns auch auf die Studierenden verteilt ist.“ So können plötzlich die Studierenden mit ihren unterschiedlichen Fachrichtungen statt der Dozierenden die Experten und Expertinnen einer Veranstaltung sein. „Das kann manchmal auch herausfordernd für die Studis sein, weil sie dann merken, dass Studieren nicht nur ein Nehmen, sondern auch ein Geben ist“, schildert Kuni. Wie viel die Studis aber letztlich bereit sind, in ihr Studium zu investieren, bleibe jedem selbst überlassen. Sofia sagt: „Die große Freiheit, die wir in unserem Studium haben, ist für mich sowohl Chance als auch Herausforderung. Ich glaube, es dauert ein wenig länger, um sich in unseren Studiengang einzufinden. Alles ist ein bisschen anders als erwartet, aber es lohnt sich.“
Momentan läuft am kunstpädagogischen Institut aber alles etwas anders als gewohnt. Corona hat den Studienalltag stark beschnitten. „Den Umstieg auf die digitale Lehre haben die meisten gut verkraftet“, sagt Sofia. Allerdings müssen die Studierenden auf vieles verzichten, auf Exkursionen etwa oder auf die Werkstattkurse und das praktische Arbeiten am Institut, da die Atelierplätze momentan nicht genutzt werden können. Besonders aber fehle der persönliche Kontakt untereinander. Kerstin Gottschalk stellt fest: „Ich glaube, uns allen ist durch dieses Semester nochmal bewusster geworden, dass Lernen auch eine soziale Praxis ist. Aber wir geben unser Bestes, und ich finde, wir können alle stolz auf uns sein, dass wir diese Krise so gut meistern.“ Dem Zusammenhalt und Engagement hat Corona keinen Abbruch getan. So bleibt die Fachschaft weiter aktiv und veröffentlichte z.B. kurze Erklärvideos, die es den Erstsemestlern erleichtern sollen, sich in ihr neues Studium besser einzufinden. Inwiefern Corona das Institut nachhaltig prägen wird, bleibt abzuwarten. Aber eins ist klar, die künstlerische Aufarbeitung wird kommen. Im Rahmen des Projektseminars „KRISENSTAB“, das als Teil des Projekts „Making Crisis Visible“ lange vor der Pandemie ins Leben gerufen wurde, beschäftigt man sich schon jetzt mit den Bildern der Coronakrise.
Natalia Zajić
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 4.20 des UniReport erschienen.