Ungewöhnliche Szenen an einem sonnigen Nachmittag am Campus Bockenheim auf dem sonst grauen Platz zwischen Juridicum und Sozialzentrum: Es ist die letzte Woche vor den Semesterferien. Die Klausuren stehen an. Studenten eilen angespannt zwischen Bibliothek und Hörsaal hin und her und genau da wird ausgelassen gefeiert.
Was ist hier los? Die Fachschaft Islamische Studien und die Hessischen Muslime für Demokratie und Vielfalt haben von dem Projekt der Musikwissenschaftler gehört und gemeinsam in kürzester Zeit das Zuckerfest zum Ende des Ramadans improvisiert. Eingeladen waren die Geflüchteten, die am Campus wohnen. Ohne die Musik, die Emotionen und Stimmungen transportiert wie keine andere Sprache, wäre diese Begegnung unterschiedlicher Kulturen und das fröhliche Miteinander nicht geglückt.
Hürdenlauf, Engagement und gemischte Gefühle
Im überfüllten stickigen Seminarraum breitet sich unter den anwesenden 52 Studierenden Ratlosigkeit und betretenes Schweigen aus: Erste Stunde im Hauptseminar Musikethnologie „Get up, stand up“. Der Dozent hat gerade verkündet, dass die Seminarleistung ein Projekt sein soll, in denen die Studenten mit „echten fremden Menschen“ agieren sollen. Die Idee, trockene Theorie mit aufregender Praxis zu verbinden, entstand im Semester zuvor. Die Teilnehmer besaßen alle Freiheiten sich auszuprobieren und wurden dabei auf jedem ihrer Schritte von Prof. Mendívil wohlwollend betreut.
Get up, stand up – Angewandte Musikethnologie
Als in den 1980er-Jahren Themen wie Machtverhältnisse, Kolonialismus und Gender in der Ethnologie und Musikethnologie erstmals breit reflektiert wurden, fingen Musikethnologen zunehmend an, sich politisch zu engagieren und ihr gesellschaftliches Engagement mit ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit zu vereinen.
Im Feld der angewandten Musikethnologie konnten die Wissenschaftler nun soziale Projekte mit Minderheiten oder benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen unterstützen – ausgestattet mit dem Wissen über konkrete musikalisch-gesellschaftliche Zusammenhänge und dem methodischen Werkzeug der Feldforschung, das es den Wissenschaftlern ermöglichte, die Menschen selbst, um die es in den Projekten ging, nach ihrer Sichtweise und ihren Bedürfnissen zu fragen.
Angewandte musikethnologische Projekte können zum Beispiel pädagogische Programme sein, die interkulturelle oder transkulturelle Kompetenzen stärken, und auch solche, die die direkte Zusammenarbeit mit marginalisierten Gruppen zum Ziel haben, die durch Musik Empowerment erlangen. Das Meet ’n’ Music-Projekt erhebt keinen Anspruch die Welt zu ändern, aber möchte im Kleinen Erfüllbares realisieren.
Unterschiedliche Projekte, unterschiedliche Erfahrungen
Zurück zum Zuckerfest auf dem Campus. Neben einer knallig bunten Hüpfburg, heiß begehrtem Kinderschminken und reichlich Zuckerwatte arrangieren die Studierenden der Musikwissenschaft allerlei Instrumente und Mikrophone, um dem Fest einen musikalischen Rahmen zu geben. Zunächst sind alle etwas zurückhaltend, doch dann improvisieren ein paar Studierende Melodien – das war der Auftakt. Geflüchtete Musiker gehen an die Instrumente.
Die Sprachbarrieren fallen, der erste Kontakt ist eine gemeinsame Jam-Session und das Zuckerfest wird ein beschwingendes Fest für alle. Szenenwechsel. Der Workshop „Singen mit Kindern“ findet ausgerechnet am heißesten Tag im Juli im Günthersburg-Park statt. Auf der weiten Wiese unter dem Schatten eines knorrig alten hohen Baumes findet sich leicht ein freier Platz.
Geflüchtete haben den Park auch entdeckt: Eine Runde verschleierter muslimischer Frauen veranstaltet mit ihren Kindern ein Picknick. Bunte Luftballons brechen das Eis und dann sind die ersten kleinen Mitspieler da. Schnell wird der Kreis größer. Nach zwei schweißtreibenden Stunden sind die Studierenden zwar erschöpft, aber freudestrahlend und die Kinder verlangen nach mehr. Andere Erfahrungen machten Studentinnen im Radio-Projekt mit geflüchteten Frauen.
Die Idee ist, diesen Frauen in Zusammenarbeit mit „Good Morning Deutschland Radio“ eine Stimme zu geben – über Musik – und ihre Lebensgeschichten erzählen zu lassen. Hier gestaltete sich die Kontaktaufnahme schwieriger: Geflüchtete Frauen sind nicht so einfach anzutreffen wie Männer. Bei ersten Begegnungen stellte sich heraus, dass das Interesse an der Mitwirkung in einer Radiosendung relativ gering ist. Einige Kontakte sind entstanden und die Studierenden netzwerken weiter in Flüchtlingscafés und bei Radioveranstaltungen.
Die Café-Gruppe ’Meet ‘n’ Music“ berichtet auf einer Facebook-Seite über die Veranstaltungen im Projekt. Ein Café für Geflüchtete soll eröffnet werden. Die Realisation ist aufgrund der Raumsituation in der Uni keine leichte Aufgabe. So gibt es zunächst einzelne Abende des Zusammenkommens und Musizierens. Gemeinsames Musizieren, wie keine andere Sprache, vereinigt fremde Kulturen.
Erfreuliche Reaktionen der Geflüchteten
Die Reaktion beim Workshop „Singen mit Kindern“ fällt eher indirekt aus: Die muslimischen Mütter überlassen den Studierenden ihre Kinder und setzen sich mit ihren Picknickdecken ein Stückchen weiter weg. Die Kleinen haben allerlei Spaß und lernen neue Lieder. Beim nächsten Mal wollen die Studierenden auch die mitgebrachten Lieder der Kinder erlernen. Beim Zuckerfest schlägt die anfängliche Zurückhaltung schnell in eine ausgelassene Stimmung um. Hand in Hand wird wild getanzt und gelacht. Musik lässt es gelingen, mit Geflüchteten in Kontakt zu treten, und macht Mut, weiter zu machen.
Next Generation
Was bis hierher geschehen ist, war nur der Anfang. Im nächsten Semester wird die nächste Generation von Studierenden das Projekt übernehmen. Die Zusammenarbeit mit den Hessischen Muslimen für Demokratie und Vielfalt sowie der Fachschaft Islamische Studien bleiben bestehen und weitere Kooperationen bahnen sich an. Welche Erfahrungen geben die Studierenden an die nächste Generation weiter?
Angewandte Musikethnologie ist zunächst ein Weg, sich selbst zu finden, nicht anderen zu helfen. Eine Art von Selbsterfahrungstrip, in dem nicht alles märchenhaft verläuft. Nicht jeder ist dazu geeignet. Aber wer dabei bleibt, bildet Fähigkeiten aus, wie über den eigenen Tellerrand hinaus sehen zu wollen.
Meet ’n‘ Music-Redaktionsteam
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Weitere Informationen:
E-Mail: meetnmusic@gmail.com
Facebook: www.facebook.com/meetnmusic
Homepage: www.goodmorningdeutschland.org
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5.16 (PDF-Download) des UniReport erschienen.