Universitätsleben zurück im »Analogen«

Ein erster Blick zurück auf zwei Monate Präsenzbetrieb: Stimmen von Studierenden, Lehrenden und aus der Verwaltung

Nach drei Semestern, die nahezu ausschließlich mit Distanzunterricht gestaltet werden mussten, hieß es Mitte Oktober wieder: zurück zur Präsenz! Zwar nicht komplett, aber mit ca. 75 bis 85 Prozent aller Lehrveranstaltungen, so die Planung.

Viele Dozierende wie auch Studierende hatten sehnsüchtig darauf gewartet, wieder auf den Campus zurückkehren zu können. Für einige unter den Studierenden war es aber kein Zurück, sondern vielmehr ein erstes Mal. Wer sein Studium zum Sommersemester 2020 oder in den beiden darauffolgenden Semestern aufgenommen hat, dürfte vielleicht einmal die Bibliothek oder die Mensa besucht, aber einen regulären Lehrbetrieb vor Ort noch nicht erlebt haben. Doch damit dies wieder möglich wurde, bedurfte es erheblicher Anstrengungen seitens des Präsidiums, der Lehrenden sowie der Universitätsverwaltung, die dabei von externen Dienstleistern auf nicht unerhebliche Weise unterstützt wurde.

Kontrollierte Zugänge zu Gebäuden

Die Rückkehr zum Präsenzsemester bedeutete, dass Studierenden Zugang zu den Gebäuden nur noch nach der 3G-Regel gewährt werden konnte. Eine große Herausforderung für die Verwaltung, für die sich die Situation ohnehin schon in den letzten Monaten innerhalb kürzester Zeit dramatisch geändert hat, sei es in steigenden Zahlen der die Uni zum vierten Mal heimsuchenden Infektionswelle, sei es in der Berücksichtigung neuster Erkenntnisse zu Übertragungswegen und Gegenmaßnahmen über Hygiene-, Abstandsund Lüftungsregeln bis hin zur Berücksichtigung neu geschaffener Schnelltests und Impfungen. „Damit änderte sich auch die Gesetzes- und Verordnungslage – bisweilen im Wochenrhythmus. Dies stellte die Immobilienverwaltung der Universität vor gelegentlich unlösbar scheinende Aufgaben“, betont Matthias Müller-Götz, Bereichsleiter des Immobilienmanagements.

In relativ kurzer Vorlaufzeit organisierte das Immobilienmanagement gemeinsam mit CAMPUSERVICE und dem VSD Sicherheitsdienst die Zugangskontrollen an insgesamt 25 Gebäuden an den Standorten Westend, Riedberg, Bockenheim und Ginnheim. „Hierzu zählte die Personalrekrutierung und -auswahl, logistische Planung der vielen Ein- und Ausgänge, Beschaffung von Equipment wie Absperrgitter, Beschilderungen, das Briefing des Personals, die Einsatzplanung und noch vieles mehr. In der Kürze der Zeit war es wirklich eine Herausforderung für alle Beteiligten, aber aufgrund der tollen Teamarbeit ist die Organisation erfolgreich verlaufen“, zieht Birgit Wollenweber von CAMPUSERVICE eine erste Bilanz. Matthias Müller-Götz stimmt ihr zu: Die gute Zusammenarbeit und auch das große persönliche Engagement der Kollegen des Arbeitsschutzes, des Krisenstabs und der Mitarbeiter des Immobilienmanagements, die unbürokratische Unterstützung seitens CAMPUSERVICE und die großen Anstrengungen der Dienstleister hätten trotz aller Widrigkeiten einen verordnungskonformen und sicheren Präsenzbetrieb ermöglicht. „Wir bedanken uns bei allen Beteiligten, die es geschafft haben, die Universität nach drei Semestern Online-Betrieb im Oktober wieder für Präsenzlehre zu öffnen“, betonen Matthias Müller-Götz und Birgit Wollenweber.

Studieren nicht nur vor dem Monitor

Sonja studiert im Masterstudiengang Psychologie und hat noch ungefähr ein halbes Jahr vor sich. Sie war gar nicht davon ausgegangen, die Uni nochmal in Präsenz und in einer „studentischen Atmosphäre“, wie sie sagt, erleben zu dürfen: „Im Lockdown fühlte sich das Studium schon wie Arbeitsleben an. Der Austausch mit den Kommilitonen hat mir total gefehlt“, betont Sonja. Vor allem der Kontakt zu Studierenden aus anderen Fächern habe nicht mehr stattgefunden. „Da trifft man auch mal auf andere Meinungen und Denkansätze.“ Die Rückkehr in den Präsenzbetrieb – Sonja belegt aktuell zwei Seminare – habe sich zwar zuerst etwas komisch angefühlt, aber die Routine stellte sich dann doch recht schnell ein, berichtet sie. Die Online-Lehre habe sicherlich auch ihre Vorteile, ermögliche Studierenden eine größere zeitliche Flexibilität. Aber in einem Raum mit anderen Studis zu sitzen, bedeutet für Sonja zugleich ein kommunikatives Miteinander: „Es kommen auch all jene stärker zu Wort, die sich in einer Online-Veranstaltung nicht trauen würden, etwas zu sagen.“

Was für Sonja die weitgehende Rückkehr zum ‚normalen‘ Lehrbetrieb bedeutet, stellt sich für Mert, Student der Wirtschaftswissenschaften im 3. Semester, schon anders dar: „Normalität war für mich bislang der Online-Betrieb“, macht er deutlich. Nach zwei Semestern im virtuellen Modus lernt er in diesem Semester in einem Raum mit anderen: Zum ersten Mal saß er plötzlich in einem großen Hörsaal mit 300 Kommilitonen zusammen – das sei eine ganz neue Erfahrung gewesen, wenngleich er sich schnell daran gewöhnt habe. „Es macht Spaß, jeden Tag aufzustehen und zu wissen, dass man den ganzen Tag nicht nur auf den Bildschirm starrt“, erzählt Mert. Bei Unklarheiten während der Vorlesung kann er gleich die Sitznachbarin oder den -nachbarn fragen; er genießt es, auf dem Campus andere Leute kennenzulernen und sich mit ihnen in der Mensa oder der Cafeteria auszutauschen. Er gibt aber auch zu, dass er bei der ‚realen‘ Vorlesung manchmal die ‚Stopp-Taste‘ vermisst, um sich Notizen zu machen und erst danach weiter zuzuhören. Aber insgesamt hat der Präsenzbetrieb, so schätzt er, seine Motivation erhöht, an Seminaren und Vorlesungen teilzunehmen.

Hanna kannte zu Anfang des Wintersemesters wie Mert nicht den Präsenzbetrieb. Aber als Erstsemester-Studentin hat sie auch wenig Vergleichsmöglichkeiten zu früheren Studienphasen. Sie freut sich über die vielen Veranstaltungen in Präsenz: „Ich merke, dass ich viel aufmerksamer bin und mich besser konzentrieren kann als in den Online-Seminaren“, sagt sie. Auch den zwischenmenschlichen Kontakt in den Veranstaltungen, Gespräche über Seminarinhalte und darüber hinaus möchte sie nicht mehr missen. Kleinere Kritikpunkte am Präsenzsemester betreffen bei ihr die Größe der Räume („Abstand halten ist manchmal schwierig“), aber auch die Zahl der angebotenen Räume, in denen sie Online-Seminaren auf dem Campus folgen. „In den vorhandenen Räumen ist es manchmal recht laut“, bemängelt Hanna.

Auch Iris fühlt sich teilweise wie eine „Ersti“, sagt sie, obwohl sie sich schon im 4. Semester des Masterstudiengangs Deutsche Literatur befindet. Als Hochschulwechslerin kannte sie vor diesem Wintersemester auch nur das Online-Studium an der Goethe-Universität. Sie freut sich sehr, dass sie im Wintersemester größtenteils wieder an Veranstaltungen ‚im Analogen‘ teilnehmen kann. Das sei schon längst überfällig gewesen, betont sie. Für Iris besteht das Studium an einer Universität nicht nur aus Lehre und Lernen, sondern aus dem persönlichen Austausch, der ihrer Ansicht nach durchaus von wissenschaftlicher Relevanz sein kann. Aus ihrer Sicht könnte die Uni diese Kultur des Kennenlernens und Austausches noch etwas stärker unterstützen. „Diejenigen, die den Präsenzbetrieb nicht kennen, können entsprechend auch nicht von einer gewissen Vertrautheit mit dem Campus vor Ort sprechen“, sagt sie. Auf ihrem Wunschzettel stehen beispielsweise Campusführungen, Kneipentouren und Weihnachtsfeiern innerhalb der Fachbereiche, aber auch darüber hinaus und insgesamt mehr Orte der Begegnung. „Einfach mehr soziale Interaktion“, fasst Iris ihre Ideen für einen lebendigen Campus zusammen.

„Produktive Nahbeziehungen“ und fruchtbare Diskussionen über Didaktik

„Es ist eine Befreiung, wieder vor Ort sein zu können!“ Der Germanist Prof. Roland Borgards scheut keine starken Worte, wenn er beschreibt, wie er die Rückkehr zur Präsenzlehre empfindet. Auch seine Studierenden sehen das seiner Einschätzung nach so, seien richtig „euphorisiert“ davon, sich nach drei Semestern Distanzlehre wieder im Seminarraum zum gemeinsamen Unterrichtsgespräch zu treffen. Das beruhigt ihn, denn er hatte vor dem Wintersemester durchaus die Befürchtung, dass es Vorbehalte gegen die Präsenzlehre geben könne. In einem Gastbeitrag für die ZEIT hatte er daher zu einer „Präsenzinitiative“ aufgerufen. „Produktive Nahbeziehungen“ nennt er das, was ein Präsenzseminar ermöglicht. Borgards betont: „In den Humanities geht es prinzipiell ums Sprechen und Schreiben, um den Diskurs über Texte. Wie digitale Lehr- und Lernformen in anderen Disziplinen und Fächern einzusetzen sind, darüber möchte ich gar nicht spekulieren. Ich erinnere mich nur gerne an einen Mathematiker, der am Anfang der Pandemie gesagt hat: ‚Wenn ich lehre, benötige ich ein Stück Kreide, eine Tafel und ein Publikum, mehr nicht‘.“ Borgards fährt in seinen Seminaren die „No-Screen-Policy“: Laptops und Smartphones haben auf den Tischen nichts zu suchen, allein Stifte, Notizblöcke und papierne Literatur. Dass nach drei Semestern Distanzlehre und dem verstärkten Einsatz digitaler Lehr- und Lernmedien nun engagiert über Didaktik diskutiert wird, findet Borgards sehr gut. Der Büchner-Experte spricht sich dafür aus, dass die Potenziale von allen Vorlesungs- und Seminarformen genutzt werden: „Wer sagt, dass er langweilige Vorlesungen digitalisiert ins Netz stellt und dafür die Präsenzzeit im Seminar lieber für wertvolle Diskussionen nutzt, dem würde ich entgegnen: Eine langweilige Vorlesung braucht man überhaupt nicht.“ Dass sich Studierende mittels Lehrbücher oder heute auch onlinebasierter Formate auf die Veranstaltung vorbereiten, sei natürlich übliche Praxis. Borgards betrachtet aber auch eine Vorlesung als eine dialogische Form, die viel Raum für Nachfragen und Diskussionen biete.

Sein Kollege Prof. Bernd Skiera aus den Wirtschaftswissenschaften ist in das neue Semester mit einer ganz speziellen Art der Vorlesung gestartet: Es handelt sich dabei um eine gleich in mehrfacher Hinsicht hybride Veranstaltung. Die Studierenden können in Präsenz teilnehmen, aber gleichzeitig auch von zu Hause aus im Online-Modus, live wie auch zeitversetzt. Auf die Vorlesung „Marketing II“ bereiten sich die Studierenden u.a. anhand von Erklärvideos vor. Die Vorlesung selber ist eher untypisch, besteht sie im Wesentlichen aus Kleingruppenarbeit. Skiera kann dadurch, dass jeweils eine Reihe im Hörsaal frei bleibt, mit den Studierenden ins Gespräch kommen; unterstützt wird er dabei von einem Doktoranden. Er habe sich selber auf die Präsenzveranstaltung gefreut und schätze die direkte Interaktion zwischen Dozierenden und Studierenden, sagt Skiera. „Auch die zu Hause sind, erhalten die gleichen Informationen“, betont er. Ihm gehe es vor allem darum, dass die Studierenden selber tätig werden: Es geht in der Vorlesung darum, rechnergestützt Daten zu interpretieren und ökonomische Entscheidungen abzuleiten. „Die Aufgaben für die Gruppenarbeiten zu kreieren, war sehr zeitaufwändig“, führt der Wirtschaftsprofessor aus. Lerntools oder Apps, die eine spielerische Wissensüberprüfung ermöglichen, könnte er in Zukunft sicherlich noch stärker einbauen. Die Corona-Pandemie habe die didaktische Diskussion insgesamt positiv befeuert, ist er sich sicher; er wolle die beiden Welten von Präsenz- und Online-Lehre und ihre jeweiligen Potenziale idealerweise zusammenbringen.

In der Physischen Geographie blickt man trotz der damit verbundenen Einschränkungen relativ zufrieden auf drei Semester Distanzlehre zurück. Lehrende wie auch Studierende haben ausdrücklich bestätigt, dass die Organisation und Umsetzung des virtuellen Veranstaltungsangebotes auf Anhieb gut funktioniert hat, berichtet Dr. Rainer Dambeck, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Studiengangkoordinator am Institut.

Jedoch sei die Rückkehr zur Präsenz einhellig begrüßt worden. „Alle sind von der digitalen Lehre etwas erschöpft; Universität bedeutet eben auch, dass man auf dem Campus zusammenkommt und sich auf den Fluren begegnet, die Kommunikation ist einfach eine ganz andere.“ Sein Fach lebe sehr stark von der fachlichen Vermittlung im Gelände, betont Dambeck.

Immerhin hätten einzelne Seminare, Übungen und Exkursionen in den vergangenen Semestern nach Abstimmung mit dem Krisenstab und unter strikter Einhaltung der Corona-Auflagen mit verkleinerten Gruppengrößen im Geländelabor stattfinden können. Im aktuellen Semester werden in der Physischen Geographie in Präsenz eher kleinere Seminare angeboten, während Vorlesungen mit bis zu 300 Studierenden zum Schutz der Teilnehmenden weiterhin digital ablaufen. „Gerade Studienanfänger*innen tun sich im digitalen Format schwer; auf diese Weise baut sich einfach kein Verhältnis zur Universität und zum Fach auf, wie es gleich zu Beginn des Studiums wünschenswert ist. Dies versuchen wir über digitale Angebote im Mentoring-Programm und virtuelle Forschungsbesuche bei den Lehrenden teilweise aufzufangen.“ Unabhängig von der weiteren Entwicklung möchte Rainer Dambeck ein digitales Format unbedingt für sich beibehalten: das der Online-Sprechstunde. „Nach meiner Erfahrung sind die Studierenden im Video-Chat entspannter, als beim realen Besuch im Dienstzimmer des Lehrenden.“ Auch das mit Beginn der Pandemie eingeführte Format der veranstaltungsbezogenen Online-Lernsprechstunde schätzt er als sehr wertvoll ein. Diese Einschätzung decke sich mit den Ergebnissen der Lehrveranstaltungsevaluation. Die Corona-Pandemie hat die Lehrenden in eine „Transformation“ gezwungen, die für ihn persönlich auch positive Veränderungen hervorgebracht habe: Sein eigenes „Lernportfolio“ sei dadurch verbreitert worden. Käme es erneut zu einem Wechsel in die reine Distanzlehre fühlt Dambeck sich zwar gut vorbereitet, sein Resümee fällt jedoch eindeutig aus: „Wir hoffen alle, dass spätestens zum Sommersemester die vollständige Rückkehr zur Präsenzlehre möglich ist. Das wäre sicherlich nicht nur für unser Fach das Beste!“

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 6/2021 (PDF) des UniReport erschienen.

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