Der Kartograph und Mathematiker Carsten Niebuhr beteiligte sich Mitte des 18. Jahrhunderts an einer beschwerlichen Expedition in den arabischen und vorderasiatischen Raum. Seine Erkenntnisse und Erfahrungen verewigte er anschließend in seinem Buch »Die Arabische Reise«. Studierende eines Seminars der Vorderasiatischen Archäologie haben nun in einer Ausstellung, die ab Ende Oktober im Dithmarscher Dom gezeigt wird, Niebuhrs erstaunlich genaue und differenzierte Beobachtungen nachgezeichnet und mit dem heutigen Forschungsstand verglichen.
Überlebenskünstler
Eine Reise, die streng genommen in der Katastrophe endete: Bis auf einen Teilnehmer starben alle Reisenden einer Expedition in die arabische Welt. Vom dänischen König finanziert, hatten sich im Jahre 1761 einige Gelehrte auf den Weg gemacht, um den Orient erstmals wissenschaftlich zu erkunden. Dabei wollte man das Wissen, das die europäische Welt bis dato nur aus Texten wie der Bibel und anderer Schriften bezog, nachhaltig erweitern. Grundlage ihrer Erkundungen war ein 100-Fragen-Katalog, den der Göttinger Orientalistik-Professor Johann David Michaelis erstellt hatte. Unter den Reisenden fand sich ein Philologe, ein Zoologe, ein Arzt, ein Zeichner, ein Diener und eben der Mathematiker und Kartograph Carsten Niebuhr, der als Einziger die strapaziöse Reise überlebte und zurückkehrte. Seine Mitstreiter starben größtenteils an Malaria.
Nach seiner Rückkehr verfasste Niebuhr auf Grundlage eigener Aufzeichnungen, aber auch auf der seiner Mitreisenden, die „Arabische Reise“. In seinem Buch zeigt sich Niebuhr als unvoreingenommener, wenn auch manchmal verwunderter Betrachter der exotischen Welt. Dadurch ist sein Reisebericht auch heute noch so wertvoll, betont Stephanie Döpper, Archäologin und Dozentin des Seminars an der Goethe-Universität. Seine Mistreiter schneiden demgegenüber in seinem Bericht nicht so gut ab. Während diese mit ihren europäischen Gewohnheiten und ihrere formellen Kleidung dem extremen Klima und den Krankheiten nahezu schutzlos ausgesetzt gewesen seien, habe er deswegen überlebt, so Niebuhr, weil er sich den örtlichen Gepflogenheiten angepasst habe. „Das kann er aber auch nur so schreiben, weil ihm keiner seiner Mitreisenden mehr widersprechen konnte“, betont Stephanie Döpper. Gleichwohl sieht sie Niebuhr als eine wirklich erstaunlich offene Persönlichkeit, die vor Ort viele verschiedene Stimmen Einheimischer eingeholt und auch sehr genau die Reise dokumentiert habe. „So waren seine genauen Kopien der Keilschrift von Persepolis entscheidend für die mögliche Entzifferung“, erklärt Döpper. Niebuhr besuchte u. a. Ägypten, den Jemen und Indien. „Seine Reisebeschreibungen, Karten und Abbildungen waren für viele Forscher*innen nach ihm sehr hilfreich“, sagt Döpper.
Museumsarbeit am Rechner
So reifte in ihr die Idee einer Ausstellung über Niebuhr. In Zusammenarbeit mit dem Dithmarscher Landesmuseum konzipierte Döpper ein über zwei Semester angelegtes Seminar. Ziel war es, dass die Studierenden der Vorderasiatischen Archäologie eine Ausstellung selbstständig planen und durchführen. Sowohl aufseiten der Dozierenden als auch der Studierenden war die Vorfreude auf das praxisnahe Projekt groß. Die Corona-Pandemie machte aber erstmal einer Arbeit vor Ort in Meldorf, wo Niebuhr gelebt hat und auch begraben ist, einen Strich durch die Rechnung. Gearbeitet und kommuniziert werden musste nun virtuell. Doch das sollte weit weniger ein Problem sein, berichten zwei Studentinnen des Seminars. „Informationen über die Ausstellungsfläche, Literatur und Materialien wurden ausreichend zur Verfügung gestellt.
Wir waren zwar wegen der Pandemie leider keinmal vor Ort, konnten die Ausstellung dennoch auch so gut planen“, erzählt Serap Kalem. Sie ist gewissermaßen eine Quereinsteigerin, studiert sie eigentlich Kunstgeschichte. Die Praxisnähe der Ausstellung hatte sie von Anfang an sehr angesprochen. Serap Kalem beschäftigt sich in ihrem Fach mit dem Thema „Das Phantasma Orient“. Sie findet Niebuhrs für seine Zeit recht objektiven Beschreibungen arabischen Lebens auf wissenschaftlicher Basis sehr interessant. Serap Kalem kann sich gut vorstellen, später mal als Kuratorin zu arbeiten, somit war das Seminar für sie eine ideale Vorbereitung. Ihre Kommilitonin Katharina Koch studiert Vorderasiatische Archäologie; sie erzählt: „Mir hat es sehr gut gefallen, dass wir von Beginn an an der Konzeption der Ausstellung beteiligt waren. Damit habe ich viel mehr mitgenommen als in einem ‚normalen‘ Seminar, das meist viel weniger praktisch ist.“ Katharina Koch kann sich gut vorstellen, später einmal als „klassische“ Archäologin zu arbeiten; sie hat bereits an einer Exkursion von Stephanie Döpper teilgenommen.
Interaktive Ausstellung
„Für uns Archäologen ist eine solche Ausstellung auch etwas Besonderes, denn man lernt die dafür nötigen Kompetenzen im Prinzip nicht im Studium“, unterstreicht ihre Dozentin Stephanie Döpper. Daher war Döpper froh, dass ihr mit Katja Thode eine Museumspädagogin des Dithmarscher Landesmuseums zur Seite stand. „Im Fokus der Ausstellung stehen Niebuhrs archäologische Beschreibungen: Was hat er erlebt und beschrieben, was wissen wir aber heute über diese Orte?“, erläutert Stephanie Döpper. Gemeinsam mit den Studierenden wurde anfangs intensiv über die Zielgruppen der Ausstellung diskutiert. In Meldorf ist der berühmte Sohn der Stadt natürlich noch sehr präsent, aber wie viel Vorwissen kann bei Besuchern aus der Ferne vorausgesetzt werden? Es wurden dann Zweierteams gebildet, die sich jeweils mit einer Station der Niebuhr’schen Reise auseinandersetzen. Somit besteht auch die Ausstellung aus einzelnen Stationen, an denen über Poster und Erklärtexte Niebuhrs Beschreibungen in Relation zum heutigen Forschungsstand gesetzt werden. Zusätzlich wurden an jeder Station auch sogenannte „Aktivstationen“ eingerichtet, die sich vor allem an die kleinen Besucher wenden. Es kann dort gebastelt und gebaut werden, Rätsel gilt es zu lösen. Als kleines Andenken können die Kinder sich ein Lesezeichen aus Hieroglyphen erstellen. An Pappaufstellern kann man sich schließlich auch als „Niebuhr“ fotografisch verewigen. Nach der Fertigstellung der Ausstellung wartete auf die Studierenden noch die Aufgabe, Beiträge für den Katalog zu verfassen. „Die vielen verschiedenen Ideen der Studierenden unter einen Hut zu bekommen, kann manchmal schon sehr aufreibend sein“, weiß Stephanie Döpper zu berichten. Dennoch zieht die Archäologin insgesamt eine sehr positive Bilanz, auch wenn sie immer noch nicht genau weiß, ob die Ausstellung angesichts häufig wechselnder Corona-Bestimmungen wirklich Ende Oktober an den Start gehen kann.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 5/2021 (PDF) des UniReport erschienen.