Botschafterin des interreligiösen Dialogs

Ilona Klemens ist seit Frühjahr neue Pfarrerin der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG).

Ilona Klemens vor dem Haus der Stille.
Ilona Klemens vor dem Haus der Stille.

Kurz vor dem Gespräch mit dem UniReport hat sie sich noch mit einem alten muslimischen Freund am Haus der Stille getroffen: Ilona Klemens genießt offensichtlich die religiöse und kulturelle Vielfalt an einer Hochschule wie der Goethe-Universität. Die neue Pfarrerin der ESG kann dabei mit Fug und Recht als Botschafterin des interreligiösen Dialogs bezeichnet werden: Sie ist Mitgründerin des Rates der Religionen in Frankfurt, war Generalsekretärin des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, der unter anderem die Buber-Rosenzweig-Medaille vergibt. Aber Ilona Klemens ist kein naiver Harmoniemensch; sie ist sich der Tatsache bewusst, dass das Ideal eines friedlichen und konstruktiven Austausches zwischen den Religionen gerade angesichts des Nahostkonflikts auf eine harte Probe gestellt wird. Sie betont: „Wir müssen dafür sorgen, dass der Konflikt, wie er sich gerade im Nahen Osten abspielt, mit Gewalt, Zerstörung und vielen Opfern, nicht jeden Dialog verunmöglicht. Wir können den Konflikt hier nicht lösen. Aber wir leben hier zusammen und brauchen Räume, wo wir darüber sprechen können, in aller Offenheit. Ich persönlich glaube, dass Religion nicht für Gewalt, Erniedrigung, Entmenschlichung des anderen missbraucht werden sollte. Religionen sollten Friedenstifter, niemals Brandstifter sein.“ Interreligiös ist auch ein Veranstaltungsformat, das im November begonnen hat: Gemeinsam liest man die Bibel und den Koran, besucht eine Moschee und die Westend-Synagoge, und auch der Auschwitz-Gedenktag im Januar soll begangen werden. Eine Fotoausstellung zu jüdischem Leben in Deutschland wird auch in den Räumen der ESG wie der KHG zu sehen sein. Klemens schaut auch besorgt auf den christlichen Nationalismus, wie ihn die Evangelikalen in den USA predigen. „Das sind keine kleinen Gruppen, sondern Millionen von Christen, die offenbar keinen Widerspruch in Glaube und Nationalismus sehen. Für mich sind das zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen. Solch eine Art Religion brauchen wir nicht, wenn wir Demokratie und Menschenrechte schützen wollen.“ Im kürzlich veröffentlichten Mission Statement der ESG heißt es daher deutlich: „Unser Kreuz hat keine Haken. Wir wollen Herz statt Hetze. […] Antisemitismus und Rassismus sind keine Meinungen.“

Neue Erfahrungen, neue Formate

Klemens ist heute in Frankfurt fest verankert. Dabei galt für sie nach dem Abitur die Maxime: „Immer nichts wie weg“, erzählt sie lachend. 1965 im rheinhessischen Mommenheim geboren, studierte sie in Mainz, Bonn und München, erwarb in Chicago einen Master of Theology und lebte nach dem Vikariat drei Jahre in Südafrika. In Israel sowie im Libanon verbrachte Ilona Klemens jeweils einen mehrmonatigen Studienaufenthalt. Sie ist viel herumgekommen, hat dadurch auch ganz unterschiedliche Formen des religiösen und kulturellen Miteinanders erlebt. Man spürt, dass sie auch diese Erfahrungen in ihre Arbeit einfließen lassen möchte. Dabei stehen zuerst einmal die „klassischen“ Aufgaben einer Hochschulpfarrerin im Fokus, betont Klemens: Seelsorge und Gottesdienst. „Ich bin Ansprechpartnerin in Krisensituationen, sehe es als meine Aufgabe an, geistliche Angebote zu machen.“ Die Beratungsangebote der ESG, die sich unter anderem auch an internationale Studierende wenden, sind Klemens sehr wichtig. Beim klassischen Gottesdienst trifft man sich im Saal an der Siolistraße, hört eine Predigt und singt zusammen, allerdings ist die Musikauswahl eine moderne(re). „Ich finde das sehr toll an der Uni, dass so viel Raum für Experimente vorhanden ist.“ Am Dienstagabend trifft sich der Filmclub und beschäftigt sich auch mit Serien wie „The Chosen“, eine moderne und nicht unumstrittene Adaption des Lebens Jesu. Klemens möchte aber auch gerne neue Formate einführen, wie zum Beispiel die sogenannte „Dinner Church“, mit der sie bereits in ihrer Zeit als Hochschulpfarrerin in Mainz gute Erfahrungen gemacht hat. Dabei trifft man sich in Anlehnung an die ersten christlichen Gemeinden, die noch keine Gotteshäuser hatten, an einem Tisch, kocht und isst dort zusammen, feiert eine Andacht, einen Gottesdienst, mitunter auch das Abendmahl. „Formate mit Essen kommen bei Studierenden sehr gut an.“ Klemens nimmt auch wahr, dass die Praxis des Segnens Konjunktur hat. Sie wird geschätzt als etwas Spürbares, das man mit in den Alltag nehmen kann. „Ich probiere daher gerade ein neues Format aus, das sich #BlessMyMess nennt: Im Haus der Stille biete ich mehrere Male im Semester am Mittwochabend eine kleine Andacht an. Ein Zusammenkommen, ein Nachdenken über die Woche, verbunden mit einem persönlichen Segen.“

Kritischer Diskurs

Die Öffnung der Kirche für neue gesellschaftspolitische Themen ist Klemens ein wichtiges Anliegen. Befürchtet sie dabei nicht, dass das religiöse Fundament erschüttert wird? „Die Texte der Bibel müssen immer wieder neu gelesen und ausgelegt werden. Das ist das Prinzip der Exegese. Und dann wird man Aspekte entdecken, die einen überraschen. In unserer Ausstellung ‚G*tt m/w/d – Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten‘, die ab dem 10. November wieder in den Räumen der ESG zu sehen sein wird, wird nicht einfach etwas in die alten Texte hineingelesen. Denn man entdeckt, dass auf dem Gebiet der Geschlechterverhältnisse lange Zeit auch in der Evangelischen Kirche vieles verdrängt und ignoriert wurde, das nun aber deutlicher gesehen wird.“ Auch die Nähe zur Wissenschaft, zum kritischen Diskurs, zeichnet für Klemens ihr Amt als Hochschulpfarrerin aus. Den bereits vorhandenen Kontakt zu den theologischen Fakultäten möchte sie noch weiter ausbauen. „Bei der Einführungsveranstaltung für Theologie und Religionswissenschaft habe ich kürzlich den neuen Studierenden gesagt: Ihr setzt Euch wissenschaftlich mit den Religionen auseinander, bei uns in der ESG könnt Ihr den Glauben auch leben – das ist kein Widerspruch.“ Theologie gehört für sie an eine Universität, da im Rahmen eines wissenschaftlichen Studiums Methoden erlernt werden, die auch in anderen Disziplinen eine Rolle spielen. „Unser Gegenstand mag naturwissenschaftlich nicht nachweisbar sein, aber das gilt streng genommen auch für andere geisteswissenschaftliche Fächer“, betont Klemens.

Sie ist dankbar dafür, dass an der Goethe-Universität Religion als Teil der Kultur, ja als Teil der Vielfalt begriffen wird. „Das Haus der Stille ist der Ausdruck dafür, dass es einen Platz für den Dialog der Religionen gibt – aber ein Platz auch für jene, die nicht religiös sind. Wenn wir im Austausch miteinander bleiben, haben die Vereinfacher und Polarisierer dieser Welt keine Chance, zu gewinnen, davon bin ich überzeugt.“

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