»Eigentlich brauchen wir eher eine Willkommensstruktur als eine Willkommenskultur«

Internationalisierung funktioniere nicht ohne Verbündete, sagt Dr. Johannes Müller. Er leitet seit dem 15. Juli das Global Office innerhalb des Bereichs Studium Lehre Internationales. Im Interview berichtet er über seine Aufgaben und Pläne und wie sich die Rahmenbedingungen für internationale Mobilität heute verändert haben.

»Ohne Koordination wird ein iMainstreaming dauerhaft nicht erfolgreich sein. Deshalb möchten wir uns gerne in die Koordination einbringen und dafür sorgen, dass alle die, die diese Verantwortung tragen wollen und sollen, sich abstimmen und ihre Ideen miteinander umsetzen können.

Dr. Johannes Müller, Leiter des Global Office

UniReport: Dr. Müller, you recently became head of the Global Office and bring experience from the University of Cologne with you. What should we know about you?

Johannes Müller: Ich bin gebürtiger Hanauer und in Offenbach zur Schule gegangen. Studiert habe ich in Köln und Florenz/Italien, wo ich auch fünf Jahre gelebt und am Europäischen Hochschulinstitut promoviert habe, bevor ich dann 15 Jahre im International Office der Uni zu Köln gearbeitet habe. Als Historiker frage ich immer erst nach dem Ursprung der Dinge. Und es interessiert mich immer, wo ein Zustand herkommt, bevor ich mich frage, was und wie ich es verbessern kann. Das möchte ich auch hier in Frankfurt so machen. Deswegen nehme ich mir viel Zeit, die Goethe-Uni erst mal gründlich kennenzulernen.

University President Schleiff's vision is to create an excellent and international university in the digital age. What is the "division of tasks" in internationalization between the President's Office and the Global Office?

The President has the authority to issue directives and sets the course. The Global Office is the "foreign ministry", so to speak, and implements the objectives of the Executive Board within the framework of these guidelines. But like any good ministry, we naturally also have a duty to advise the President and make suggestions. And that's what we try to do in the Global Office.

What priorities would you like to set as Head of the Global Office?

Ich habe mir zunächst drei Dinge vorgenommen, die ich wichtig finde. Über das International Mainstreaming sprechen wir ja gleich noch. Erstens denke ich, dass sich die Goethe-Universität als internationale Universität transnational stärker vernetzen sollte. Das heißt, engere Kooperationen mit europäischen und globalen Netzwerken einzugehen. Zum Zweiten finde ich es wichtig, dass die inter­nationalen Studienangebote diversifiziert und flexibilisiert werden. Und zwar sowohl für Frankfurter Studierende als auch für die ­internationalen Austauschstudierenden. Und zum Dritten möchte ich die Mobilitätsförderung in der Wissenschaft ein Stück in den Blick nehmen: Da gibt’s noch Luft nach oben, was das Ausschöpfen von Drittmittelangeboten angeht. Als Global Office möchten wir künftig den Fachbereichen stärker Unterstützung und Beratung bieten, was man noch tun kann, um die Mobilität auch für die Wissenschaftler zu verbessern.

Goethe University has a broad network of partnerships, some centralized at university level, some decentralized in the departments. What role does the Global Office play in each case – how can you provide support? And do you ever advise against new partnerships?

Formally, the Global Office is responsible for overseeing the conclusion of international partnership agreements, both centrally and in the specialist areas. This also has something to do with quality control. Of course, we advise the departments on their wishes and expectations and also answer international cooperation requests that are sent to us from abroad. We do this in a needs-oriented and quality-conscious manner. So, do we need a partnership? And is it the right partner for us? It can happen that we turn down inquiries or give a critical vote to specialist departments – although the specialist departments usually know best who the right partners are for them. We are also increasingly taking the initiative, as the partnership portfolio is to be aligned more strategically. This also involves cutting out old habits. As a rule, however, you don't have to actively do this because these connections simply fall away when there is no longer an exchange. Conversely, we want to expand our transatlantic network and are constantly looking for partners. And we want to focus more on Africa and, in Asia, on Japan, for example. We want to work on these topics together with the specialist departments.

Das »Grundgesetz« der Goethe-Universität ist ihr Leitbild, in dem sie sich zu bestimmten Werten bekennt. Wie ist das bei der Kooperation mit Drittstaaten, in denen zum Beispiel die Menschenrechte nicht respektiert werden – gibt es hier politisch-ethische Grenzen der Zusammenarbeit? Oder ist es gerade umso wichtiger, im Sinne der wissenschaftlichen »Wahrheits­findung« auch dort grenzübergreifend in Kontakt zu bleiben?

Persönlich halte ich viel davon, mit gutem Beispiel voranzugehen. Aber politischen Protest durch Boykott der wissenschaftlichen Zusammenarbeit auszudrücken, ist in der Regel eher kontraproduktiv. Ausnahmen, wie jetzt im Fall Russlands, das sich als Friedensbrecher selbst außerhalb der Weltgemeinschaft gesetzt hat, bestätigen da eher die Regel. Die Regel sollte nämlich sein, dass die Wissenschaftsbeziehungen quasi die letzte Brücke zu den Verständigen sind in Ländern, mit denen wir ansonsten nicht mehr viel zu tun haben wollen. Unter den Wissenschaftler*innen findet man ja oft noch solche, die – womöglich aus der inneren Immigration heraus – noch gesprächsbereit sind. Das nannte man früher Science Diplomacy, als Diplomatie noch die Kunst war, auch bei Sprachlosigkeit im Gespräch zu bleiben. Natürlich gilt immer: Akademische Freiheit ist Meinungsfreiheit. Und das ist auch bei unseren wissenschaftlichen Partnerschaften ein Punkt, bei dem wir keine Kompromisse eingehen. Aber wir sollten die wissenschaftlichen Beziehungen nutzen, um Anders­denkende zu stärken, Horizonte zu öffnen.

Student mobility is traditionally at the heart of the international university – whether it's a semester abroad or an internship abroad. How actively do students at Goethe University take advantage of such opportunities – also in comparison with other German universities?

Unsere Zahlen in Frankfurt sind nicht besser und nicht schlechter als bei anderen Universitäten auch. Wir bewegen uns da im Mittelfeld. Leider stagnieren die Zahlen überall. Und zwar, weil die Angebote nicht mehr auf die heutige Studiensituation in der Weise passen, wie das zum Beispiel früher mit dem Magisterstudium möglich war. Da war es noch unerheblich, ob das Studium 12, 14 oder gar 20 Semester gedauert hat und ein Semester oder ein Jahr im Ausland war eine Möglichkeit, sich noch mal neu zu finden. Heute, bei Bachelor und Master, sinkt die Bereitschaft trotz großem Interesse, weil es auf jedes Semester ankommt und weil es auch finanziell für Studierende schwieriger geworden ist. Deshalb müssen wir unsere Angebote überdenken und mehr dafür tun, dass man auch im Rahmen des Studiums an der Goethe-Universität internationale Erfahrungen sammeln kann. Wir brauchen mehr kurze Angebote, die beispielsweise in den Semesterferien wahrgenommen werden können. Wir brauchen Angebote, die auch von den digitalen Möglichkeiten Gebrauch machen; wir wollen ja eine internationale digitale Universität sein. Man kann vielleicht eine Veranstaltung vor Ort mit einem Auslandsworkshop kombinieren. Dafür gibt es sogar Finanzierungsmodelle. Wir möchten stärker dafür werben, dass die Fachbereiche solche Programme auch nutzen und in den Studienverlauf einbinden. Und wir versuchen, in diese Richtung auch mehr zu beraten.

Conversely, who comes from abroad to study in Frankfurt? And are these more people who want to study here on a regular basis or who are transferring from their home university to the partner university for one or two semesters?

In terms of numbers, there are more foreign students studying here as undergraduates than those who come for exchange studies. For similar reasons. Students from North America in particular, who have to pay the equivalent of 20,000+ euros per year or per semester, think twice about coming to Goethe University, where there may be few English-language courses, no courses that exactly match their study program or perhaps not even a package that picks them up directly as foreign students and offers them added value. So my plea is that we need to make our offerings more attractive so that we can still attract interesting partners. Because only if someone comes to us do we also have the opportunity to send someone, we must not forget that.

As far as I know, only a few departments at Goethe University have their own internationalization experts. How can such a decentralized point of contact boost the internationalization of a department?

Internationalisierung braucht Verbündete und zwar möglichst überall. Auch in der Verwaltung. Für die Fachbereiche würden wir uns wünschen, wenn es überall kleine „international Hubs“ gäbe. Diese sollten aus einem Internationalisierungsreferenten bzw. einer Internationalisierungsreferentin und einem kleinen Administrativteam bestehen, das können auch studentische Kräfte sein, die bei der Betreuung helfen. Andernfalls ist es schwierig, gemeinsam wirklich etwas zu entwickeln. Zum Glück gibt es in den meisten Dekanaten bereits Ansprechpartner. Die Flughöhe ist aber nicht immer die gleiche, und manchmal wäre es schön, man würde die Inter­nationalisierung als ein gemeinsames strategisches Anliegen begreifen, das auch ein bisschen Koordination über das Tagesgeschäft hinaus verlangt.

Mit dem Prinzip des iMainstreaming verfolgt die Goethe-Universität nicht nur das Ziel, die Servicefunktionen mehrsprachig auszurichten, sondern möglichst auch alle Prozesse sowohl aus der deutschen als auch aus der internatio­nalen Perspektive zu durchdenken. Wie sehr lebt das Global Office bereits diesen Gedanken?

Die Idee ist erst mal großartig: dass alle Stellen, die mit internationalen Aspekten zu tun haben, gemeinsam Verantwortung für das Internationale übernehmen und damit auch Prozesse und Strukturen ausgeprägt werden, in denen das Internationale von selber vorangetragen wird. Allerdings: Wenn etwas allgemein auf viele Schultern verteilt wird, dann diffundiert es, und plötzlich trägt keiner mehr Verantwortung. Ohne Koordination wird ein iMainstreaming dauerhaft nicht erfolgreich sein. Deshalb möchten wir uns gerne in die Koordination einbringen und dafür sorgen, dass alle die, die diese Verantwortung tragen wollen und sollen, sich abstimmen und ihre Ideen miteinander um­setzen können. Eine Idee, die wir schon verfolgen, ist beispielsweise eine AG Internationales, die wir zunächst im Bereich Studium, Lehre, Internationales etablieren und da alle Stellen vernetzen. Wir wollen auf diese Weise einen Rahmen schaffen, in dem wir gemeinsam überlegen können, wie wir konkret internationale Themen voranbringen können. Ich muss übrigens sagen, dass diese Art der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit in Frankfurt viel besser klappt als ich das von anderen Universitäten – nicht zuletzt aus Köln – kenne.

Vor Kurzem war den Medien zu entnehmen, dass für viele internationale Fachkräfte Deutschland unter anderem auch deshalb nicht interessant sei, weil sie hier nicht ­besonders herzlich aufgenommen würden. Übertragen auf die Goethe-Universität – was tun wir, um unsere internationalen Wissenschaftler*innen willkommen zu heißen?

Das ist immer die Frage nach der Willkommenskultur. Aber eigentlich brauchen wir eher eine Willkommensstruktur als eine Willkommenskultur. Denn Willkommenskultur kann jeder sofort zeigen, indem er sich einfach offen und freundlich verhält. Was wir brauchen, sind strukturelle Verankerungen, die dazu führen, dass jeder, der Unterstützung verdient, weil er aus dem Ausland kommt und Unterstützung braucht, diese auch bekommt. In diesem Punkt sind wir in Frankfurt aber weit, was die Wissenschaft angeht. Unser Goethe Welcome ­Center versucht systematisch, jedem internationalen Wissenschaftler, ob er nun als Stipendiat, als Doktorand, als Post-Doktorand, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter, ja, sogar als ­technischer Mitarbeiter, an die Uni kommt, Unterstützung zu gewähren. Das GWC hilft schon vor der Ankunft dabei, eine Wohnung zu finden, den Papierkram zu erledigen, sich auf dem Campus zurechtzufinden und sich zu vernetzen. Alles Dinge, die den Anfang ein bisschen leichter machen. Und dieses Angebot wird auch in großem Maße genutzt.

If you yourself were now at the point of being able to go abroad for your studies or research: Where would you be drawn to?

Well, I'm a hopelessly convinced European, and that's how I felt during my own studies, and I actually only traveled in Europe. However, I now believe that Europe needs to open up more to Africa and Asia in particular and perhaps also reinvent itself if it wants to continue to play a creative role in solving global problems. And that's why I would probably look for ways today to establish a connection with these continents on an equal footing and take part in a university exchange there.

Questions: Imke Folkerts

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