Fotografische Spurensuche

Ein Workshop in Kooperation mit der VHS Frankfurt erkundet »Religiöse Nachbarschaften«

Ein Gottesdienst in einer Kirche. © Dr. Christa Oppenheimer
© Dr. Christa Oppenheimer

Der Hauptsitz der Frankfurter Volkshochschule befindet sich in einem nüchternen, modernen Gebäude, an dem wenig an Religion erinnert. Ähnlich funktional wirken die umliegenden Bauwerke nahe der Ostendstraße. Als markantes Wahrzeichen sticht kein Kirchturm, sondern der Glasklotz der Europäischen Zentralbank ins Auge. Lässt man sich allerdings auf die Gegend ein, stellt man fest, dass von der Volkshochschule aus ein jüdischer Friedhof, eine Moschee und mindestens eine Kirche fußläufig zu erreichen sind. Die Gegend ist damit durchaus charakteristisch für die religiöse Vielfalt, die Hessen prägt – und das zweite Hingucken, das das Entdecken dieser religiösen Nachbarschaften in der Großstadt erfordert.

Hier setzte ein Foto-Workshop an, den die „Schnittstelle Religion“ gemeinsam mit dem Forschungsverbund „Dynamiken des Religiösen“, der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) und der Volkshochschule diesen Sommer veranstaltete: Durch den Austausch mit Forschenden von „Dynamiken des Religiösen“ und dem Fotojournalisten Julius Matuschik lud er die Teilnehmenden ein, religiöse Nachbarschaften fotografisch zu erschließen und in einem eigenen Projekt vorzustellen. Denn „Religiöse Nachbarschaften“ ist nicht nur ein suggestiver Begriff, er ist auch das zentrale Forschungskonzept für den Verbund „Dynamiken des Religiösen“, an dem Forschende der Goethe-Universität gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Universitäten Marburg, Gießen und Mainz arbeiten.

Inhaltliche Verflochtenheit

Der Begriff „Religiöse Nachbarschaften“ geht auf den US-amerikanischen Historiker David Nirenberg zurück, der das Konzept eng mit den drei großen monotheistischen Religionen verknüpft hat: Folgt man Nirenberg, haben Judentum, Christentum und Islam nicht nur stets in großer räumlicher Nähe zueinander gelebt. Vielmehr hat dieses konstante Neben-, Mit- und auch Gegeneinander ebenfalls dazu geführt, dass sich die drei Religionen in enger inhaltlicher Verflochtenheit entwickelt haben.

© Lale Dilktas
© Lale Dilktas

Doch welche Vorstellungen verbinden Bürgerinnen und Bürger mit dem Begriff „Religiöse Nachbarschaften“? Welche neuen Facetten werden sichtbar, wenn man sich mit der Kamera auf die Suche nach ihnen macht? Einblick in diese und ähnliche Fragen geben die Projekte der Workshop-Teilnehmer*innen, die im kommenden Jahr auch in einer Ausstellung in der Volkshochschule gezeigt werden.

Der Workshop startete mit einem Eröffnungswochenende, in dem Principal Investigators von „Dynamiken des Religiösen“ in die wissenschaftlichen Hintergründe des Projektes einführten: Armina Omerika, Professorin für Ideengeschichte des Islam, stellte den konzeptuellen Rahmen der „Dynamiken“ vor, Xenia von Tippelskirch, Professorin für Religiöse Dynamiken, präsentierte mit den Hugenotten in Friedrichsdorf ein lokales, historisches Beispiel für eine religiöse Nachbarschaft und Susanne Fehlings, Außerplanmäßige Professorin am Institut für Ethnologie, berichtete über die Nutzung von Fotografie in der Ethnologie und deren in Teilen problematische historische und koloniale Hintergründe.

Abbildung ohne Stereotype

Damit leitete sie bereits zum zweiten Teil des Workshops über, der durch den Fotojournalisten Julius Matuschik gestaltet wurde: Neben technischen und ästhetischen Aspekten legte Matuschik besonderes Augenmerk darauf, wie die Abbildung religiösen Lebens gelingen kann, ohne dass Stereotype reproduziert werden. Diese Überlegungen mündeten in einer ersten praktischen Übung, die sich die Lage der Volkshochschule zunutze machte: Ein Fotospaziergang führte zur katholischen Allerheiligenkirche, zum ehemaligen jüdischen Friedhof Battonnstraße und in die unabhängige, sunnitische Hamidiye-Moschee.

Im Juli und August präsentierten die Teilnehmenden erste Ergebnisse ihrer eigenen Projekte. Angeregte Diskussionen ergaben sich besonders um ein Projekt, das religiöse Nachbarschaften erschließt, indem es auf die aus Sicht der Fotografin problematische Rolle der Frau in allen großen Religionen scharfstellt. Einigkeit herrschte darüber, dass die fotografische Bearbeitung von Religion auch die kritische Auseinandersetzung mit ihr ermöglichen muss, jedoch gab es unterschiedliche Blickwinkel darauf, was eine geeignete Darstellungsform ist. Wie können Kritikpunkt transportiert werden, ohne dass Religion und die Porträtierten auf eine Facette allein reduziert werden? Als ein Weg, der beiden Aspekten Raum gibt, zeichnete sich die Bearbeitung des Themas durch künstlerische Kollagen ab: So kann sowohl das Ausschnitthafte der Darstellung als auch der spezielle Blickwinkel der Fotografin unterstrichen werden.

Schaut man die weiteren Projekte, wird diese kritische Sicht auf Religion zudem durch genau gegenteilige Ansätze erweitert: So findet sich bespielweise ein Projekt, das religiöse Orte als „Wohlfühlnachbarschaften“ begreift und die Menschen verbindende Anziehung unter anderem von Kirchen und Moscheen herausarbeitet. Ein anderes Projekt verdeutlicht durch das Ausblenden religiöser Symbole und Gebäude, was in einer städtischen Nachbarschaft alles fehlen würde, wenn Religion keinen Platz mehr hätte, während ein weiteres Projekt friedliches religiöses Miteinander in der Familie thematisiert.

Grenze zur Kultur?

Trotz ihrer unterschiedlichen Zugänge einte die Teilnehmer*innen eines: die Erfahrung, wie viel an Religion, Religiosität und religiösen Symbolen im Stadtraum sichtbar wird, wenn man ihnen mit der Kamera nachspürt – woran sich auch Fragen der Abgrenzung anschlossen: Wenn Religion(en) immer auch durch die Nachbarschaften, in denen sie sich entwickeln, geprägt sind und Spuren in diesen hierlassen: Wo verläuft eigentlich die Grenze zur Kultur? Aber auch das Gefühl, dass Religion ein sehr privates Thema ist, der geringe eigene Kontakt zu religiösen Räumen als auch die Schwierigkeit, Religionen in tatsächlicher Interaktion oder „Co-Kreation“ zu beobachten, wurden durch die Teilnehmenden als Erfahrungen während ihrer fotografischen Erkundung beschrieben.

Louise Zbiranski, Forschungsverbund „Dynamiken des Religiösen“

© Jasmin Nawal
© Jasmin Nawal

Einblick in das Projekt von Jasmin Nawal
„In meiner Fotoserie wird die Verbindung zwischen Religionen und Nachbarschaften nicht im öffentlichen Raum, sondern im Privaten portraitiert. Dies geht mit dem Gedanken einher, dass gelebte Religion nicht immer im öffentlichen erkennbar ist, sondern sich auch in private Räume verlagert. Religion ist somit nicht unbedingt mehr der Hauptgrund, aus dem Menschen zusammenkommen, vielmehr sind es gemeinsame Aktivitäten, die Menschen unterschiedlicher oder gleicher Religion verbindet. Es stellt sich also die Frage, inwiefern Religion heutzutage noch sichtbar ist. Hat sich das Religiöse in private Räume verlagert? Und was sagt das über religiöse Nachbarschaften aus? Die Idee geht aus persönlichen Erfahrungen hervor, in denen Religion weniger durch äußere Symbole nach außen getragen wurde, sondern vielmehr durch gelebte Werte wie etwa Nächstenliebe, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft zu einem verbindenden Element im Miteinander wurde.

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