Wenn sie über ihre Wissenschaft nachdenkt oder spricht, dann steht Annette Langner-Pitschmann am Rand – so drückt sie es selbst aus: „Theologie hat ja die Aufgabe, die Inhalte eines religiösen Glaubens mit den Mitteln der Vernunft zu reflektieren. Dabei muss es Menschen geben, die sich mit den einzelnen Facetten der jeweiligen religiösen Tradition beschäftigen – im Falle des Christentums zum Beispiel mit der Idee der Dreifaltigkeit“, erläutert Langner-Pitschmann. „Aber es muss genauso diejenigen geben, die an die Außengrenzen dieser Vorstellungswelt gehen und nach dem Verhältnis zu ganz anderen Einstellungen zur Welt fragen – und zu denen gehöre auch ich.“
Gerade dann werde Theologie für sie interessant, sagt Langner-Pitschmann, die am Fachbereich katholische Theologie der Goethe-Universität die Professur für „Theologie in globalisierter Gegenwart“ innehat: „Spannend wird es für mich, wenn die Theologie danach fragt, wie sich die Perspektive einer bestimmten Religion an andere Ideen und Vorstellungen anschließt, und wie sich die Eigenlogik religiöser Deutungen der Wirklichkeit mit der Eigenlogik anderer Menschen und Lebensbereiche ins Gespräch bringen lässt.“
Dabei besitze der Terminus „Globalisierung“ bei Weitem nicht nur eine ökonomische Dimension, auch wenn jede Auseinandersetzung mit der Globalisierung die Geschichte der Kolonialisierung mit im Blick haben müsse, gibt Langner-Pitschmann zu bedenken: „Die gegenwärtige Phase der Globalisierung, die ungefähr in den 1990er Jahren begonnen hat, ist ganz wesentlich dadurch geprägt, dass die globalen Verflechtungen für das Alltagsleben der allermeisten Menschen eine große Rolle spielen.“ Globalisierung bezeichne in diesem Sinne einen Zustand der Vernetzung, der die Dimensionen von Politik und Weltanschauung ebenso betreffe wie Aspekte der Wissenschaft und der Kultur.
Nur eine Option von vielen
„In dieser vernetzten Welt ist Religiosität nur eine von vielen Optionen für den eigenen Lebensentwurf. Man kann sie wählen, aber man muss es nicht“, sagt Langner-Pitschmann. Sie möchte die Frage beantworten, wie sich die vieldimensionale Globalisierung auf das Selbstbild von Menschen auswirkt und wie die Globalisierung insbesondere theologische Zugänge und Denkweisen verändert: „Wie können Theologinnen und Theologen – vernunftbegabte Menschen, für die Globalisierung Alltag ist – religiöse Einstellungen und Überzeugungen reflektieren? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Tatsache, dass sich die Rede von ‚Gott‘ nicht einfach in die Sprache der gängigen gesellschaftlichen Diskurse übersetzen lässt? Kann die Theologie in dieser Situation für sich in Anspruch nehmen, Positionen zu artikulieren, die auch für nichtreligiöse Zeitgenossen verständlich oder gar interessant sein könnten?“
Um eine Antwort darauf zu finden, befasst sich Langner-Pitschmann beispielsweise mit dem Phänomen, dass heutige Menschen in einer immer komplexer werdenden Welt leben: „Überfordert durch diese Komplexität wenden sich viele von ihnen möglichst einfachen Ideologien und Weltbildern zu“, hat sie beobachtet; fundamentalistische Deutungen von Religion würden folglich immer beliebter. Als Beispiel führt sie die Haltung radikaler evangelikaler Gruppen in den USA an. Angesichts der Hochkonjunktur solcher Gemeinschaften, die sich auf ein buchstäbliches Verständnis der Bibel zurückziehen, etwa die Evolution leugnen und daraus ein vormodernes Weltbild ableiten, fragt sich Langner-Pitschmann beispielsweise: „Was sind im Einzelnen die Voraussetzungen dafür, dass eine religiöse Perspektive auf das Leben nicht zu einem geschlossenen Weltbild versteinert? Unter welchen Bedingungen lassen sich Überzeugungen noch an offene Diskurse anschließen? Was ist entscheidend, damit religiöse Deutungen der Wirklichkeit im Zuge der gesellschaftlichen Pluralisierung nicht zu Ideologien versteinern?“
Fünf Jahre »freie Wirtschaft«
Schon in ihrer Dissertation hat sich Langner-Pitschmann religionsphilosophischen Fragestellungen gewidmet – nachdem sie im Anschluss an ihr eigenes Studium fünf Jahre lang das universitäre Umfeld gegen Stellen in der freien Wirtschaft eingetauscht hatte. Nach der Promotion hatte sie zwei Jahre lang die Geschäftsführung eines katholischen Bildungswerks inne und nahm Lehraufträge an verschiedenen katholischen Hochschulen in Österreich wahr, bis sie vor zweieinhalb Jahren dann die – damals neugeschaffene – „Tenure-Track“-Professur „Theologie in globalisierter Gegenwart“ antrat. (Tenure-Track bedeutet, dass Langner-Pitschmann einen im Zuge der Berufung vereinbarten Anforderungskatalog erfüllen muss, damit die Professur, die sie derzeit auf Widerruf innehat, in eine unbefristete Anstellung umgewandelt werden kann.)
Autorin: Stefanie Hense