Die renommierte Juristin und Publizistin Constanze Stelzenmüller sprach am Forschungskolleg Humanwissenschaften über den schicksalsträchtigen US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 und die fatale Begeisterung vieler Menschen in den USA und auch im Ausland für Trump.
»Flirt mit der Diktatur? US-Präsidentschaftswahlen im Krisenjahr 2024« lautete der Vortrag, den Constanze Stelzenmüller im Rahmen der bereits dritten John McCloy Lecture am Forschungskolleg Humanwissenschaften hielt. Sie blickte zu Anfang auf das Verhältnis Deutschlands zu den USA, um, wenn auch mit einigen Einschränkungen, zu konstatieren, dass „ohne den Schutzschirm und die großzügige Freundschaft der Amerikaner die Geschichte für uns hätte sehr anders ausgehen können“. Ihr Rückblick war auch gespickt mit vielen autobiografischen Episoden und Details, bei denen Frankfurt und
Bad Homburg eine nicht unwichtige Rolle spielten.
Sie wandte sich dann der „geopolitischen Großwetterlage“ zu, zeichnete eine vom Krieg Russlands gegen die Ukraine, dem Konflikt in Nahost und den zunehmenden Spannungen in Südostasien geprägte Situation. Angesichts des Schulterschlusses vieler autoritärer Staaten habe sich der Westen an den Verlust der politischen und moralischen Hegemonie zwar gewöhnt. Was die freie Welt dagegen noch nicht wirklich begriffen habe, betonte Stelzenmüller, sei die Tatsache, dass es autoritäre Rivalen gebe, die die Staaten der freien Welt als Feinde sehe – als absolute Feinde in dem Sinne, wie Carl Schmitt es im „Begriff des Politischen” definiert habe.
Darüber, wie die amerikanische Präsidentschaftswahl ausgehen werde, wollte die Vortragende nicht spekulieren; fast alles sei möglich. Die Wahl könnte über die Zukunft der amerikanischen Demokratie und Amerikas Rolle in der Welt entscheiden, denn es stünden sich zwei komplett unterschiedliche „Wahrnehmungswelten“ gegenüber.
Bidens Bilanz als Präsident sei in vielen Punkten beeindruckend, etwa mit Blick auf die Wirtschaft und das Infrastrukturprogramm. Seine Regierung habe so eng mit der Europäischen Union zusammengearbeitet wie kaum eine andere vor ihr, wie beispielsweise bei den Sanktionen und Exportkontrollen zur Unterstützung der Ukraine. Doch möglicherweise sei es gerade das Problem der Biden’schen Regierung, dass sie vernunftbetont und der Welt zugewandt regiere, aber zugleich für die „archaischen Aspekte der Politik“ keine Antworten biete, so lautete Stelzenmüllers interessante Diagnose. Demgegenüber beruhe Trumps „infernalische Anziehungskraft“ gerade darauf, dass er für eine unregulierte Aggression stehe; das erlaube es seinen Anhängern gewissermaßen, die eigenen Gefühle ebenfalls ohne Hemmungen zu entsichern. Nicht in der Außenpolitik einer neuen von Trump geführten Regierung sieht Stelzenmüller die größten Gefahren; vielmehr gehe es der MAGA (Make America great again)-Rechten um den Umbau der liberal-repräsentativen amerikanischen Verfassungsordnung.
Zwar sei ein mögliches Ende der amerikanischen Demokratie eine schockierende Vorstellung; nicht ausschließen wollte Stelzenmüller aber auch, dass gerade diese Aussicht zu einer „demokratischen Renaissance“ führen – und auch die Europäer und die Deutschen dazu bringen könnte, endlich Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen. In ihrem letzten Redeteil sprach die Inhaberin des Fritz Stern Chair über Europa und Deutschland; zwar habe Europa in den letzten zwei Jahren zunehmend gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Die von Kanzler Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ sei mittlerweile selbst in Amerika als Begriff vielen Menschen geläufig. Aber sie sei noch unvollendet. Deutschland habe zu lange an einer „Strategie einer hyperglobalisierten Volkswirtschaft“ festgehalten; die militärische Sicherheitsvorsorge habe man an die USA ausgelagert, die Energiesicherheit an Russland und den Export- und Wachstumsmotor an China. Dahinter verbarg sich die optimistische Annahme, dass die alten Systemrivalitäten im Zuge dieser friedlichen Wirtschaftsordnung irgendwann verschwinden würden. Bestimmte Frühwarnzeichen, dass eine globale Friedensordnung vielleicht nur eine Illusion gewesen wäre, habe es einige gegeben. Stelzenmüller schloss ihren Vortrag mit der Prognose, dass die Deutschen werden lernen müssen, ihre Sicherheit, Demokratie und Freiheit in instabilen, ungeordneten Verhältnissen neu zu verankern. Zum Nulltarif sei das nicht zu stemmen; es werde Zumutungen geben, und Opfer. Vielleicht stelle dies aber auch, wie Fritz Stern es für das Jahr 1989 gesagt habe, eine „zweite Chance“ Deutschlands dar.
df
Die Wissenschaftlerin und Publizistin Constanze Stelzenmüller ist seit 2014 in Washington D.C. an der US-amerikanischen Denkfabrik Brookings Institution tätig, wo sie seit 2020 Direktorin des Center on the United States and Europe und Inhaberin des Fritz Stern Chair für Deutschland und transatlantische Beziehungen in Washington D.C. ist. Die promovierte Juristin kommentiert regelmäßig in deutschen und internationalen Zeitschriften aktuelle Entwicklungen der deutschen, europäischen und transatlantischen Außen- und Sicherheitspolitik. Als Expertin ist sie auch oft zu Gast in Nachrichtensendungen und politischen Talkshows. Der Vortrag kann auf dem YouTube-Kanal des Kollegs @FKHbadhomburg nachgehört werden.
Das John McCloy Transatlantic Forum, das nach dem amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy benannt ist, wurde 2022 am Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt gegründet. Es fördert den Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit und richtet sich an alle, die sich für die transatlantischen Beziehungen unter dem Vorzeichen eines geteilten Verständnisses von Demokratie interessieren.
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