Mittendrin steht ein historisches Relikt

Die Bibliothek Sozialwissenschaften und Psychologie (BSP) feiert in diesem Jahr gerade erst ihr 10-jähriges Jubiläum auf dem Campus Westend. Und doch prägen die Reste eines spannenden Bauwerks aus dem 19. Jahrhundert ganz entscheidend ihr Innenleben.

Bibliotheksleiterin Anette Müller (r.) und ihre Stellvertreterin Julia Gildenstern
vor dem Eiskeller-Denkmal. Foto: Uwe Dettmar.

Wohl in kaum einer anderen Bereichsbibliothek der Goethe-Universität wird man beim Betreten so gefesselt wie in der BSP: Ein auf einem Sockel ruhendes Relikt nimmt die Aufmerksamkeit der Besucher*innen in Beschlag; viele neigen wohl dazu, das historische Denkmal, das seit 2009 unter Denkmalschutz steht, für die Reste eines Turms zu halten. Dies war auch die ursprüngliche Annahme, nachdem bei der Erschließung des Geländes im Rahmen des 2. Bauabschnittes auf dem Campus Westend im Jahre 2007 einige Mauern in einem Erdhügel entdeckt worden waren. Die Vermutung, dass es sich um einen weiteren „Wartturm“ handeln könne, war angesichts anderer Türme (zum Beispiel Eschersheimer Turm) nicht ganz abwegig. Doch eigentlich hat sich unter den Expert*innen eine andere These durchgesetzt: dass es sich gewissermaßen um das Gegenteil eines Turms, nämlich um einen Schacht handelt, der zu einem Eiskeller gehörte. Auf dem Gelände des heutigen PEG-Gebäudes stand nämlich die „Anstalt für Irre und Epileptische“. Deren erster Leiter war Arzt Heinrich Hoffmann, heute vor allem bekannt wegen seines Kinderbuchklassikers „Struwwelpeter“.

Der Archäologe Prof. Hans-Peter Kaehnel spricht daher gerne von „Struwwelpeters Eiskeller“. Eis kam damals bei der Behandlung der Patienten zum Einsatz; wegen noch nicht vorhandener elektrischer Kühlungen musste das Eis in einem ausgeklügelten System hinter mehreren Mauern aufbewahrt werden.

„Man findet weltweit sicherlich zahlreiche Bibliotheken, die in historischen Gebäuden untergebracht sind. Aber dass eine Bibliothek ein historisches Gemäuer in sich beherbergt, dürfte eher selten sein“, sagt Anette Müller, Leiterin der Bibliothek Sozialwissenschaften und Psychologie. Sie sieht das Eiskeller-Denkmal, das das Zentrum der Bibliothek markiert, als eine Bereicherung. Ihre Stellvertreterin Julia Gildenstern ergänzt: „Bei den Führungen durch die Bibliothek sind die Erläuterungen zum Eiskeller das Highlight; das stößt auf großes Interesse, manche sind richtig begeistert.“

Kann es angesichts eines solch außergewöhnlichen Relikts noch andere Besonderheiten geben, die erwähnenswert wären? „Aber klar doch“, sagt Anette Müller. „Unsere sogenannte Testsammlung, die in einem eigenen Raum untergebracht ist, hält Tests für Studierende und Wissenschaftler*innen aus den Fachbereichen 4 und 5 bereit. Diese prinzipiell als Print vorliegenden Testverfahren sind nicht frei zugänglich, das ist eine Vorgabe der Fachgesellschaften, die natürlich kein Interesse daran haben, dass jeder die Tests und die Auswertung sichten kann. Die Validität von Testverfahren hängt nicht zuletzt davon ab, dass sie nicht allgemein bekannt sind. Wer also Zugang zur Testsammlung erhalten möchte, muss sich in Ausbildung oder Beruf mit den Fächern Erziehungswissenschaften und Psychologie beschäftigen sowie ein wissenschaftliches Interesse an psychologischen Tests nachweisen können.“

Die andere Besonderheit, erklärt Anette Müller, ist ein speziell für Blinde und Sehbehinderte ausgestatteter Arbeitsraum, mit der notwendigen Hard- und Software. Eine vorherige Anmeldung ist normalerweise nicht notwendig. „Der Vorteil ist, dass bei uns ein separater Raum dafür vorgesehen ist.”

10-jähriges Jubiläum

„Gefeiert haben wir das Jubiläum noch nicht“, stellen Anette Müller und Julia Gildenstern lachend fest. Seit Frühjahr 2013 befindet sich die BSP auf dem Campus Westend, zog damals gemeinsam mit der Psychologie und den Sozialwissenschaften von Bockenheim ins Westend. 22 Institutsbibliotheken wurden beim Umzug zusammengeführt. Ein Großteil der Medien stammte aus dem 2014 gesprengten AfE-Turm, dem berüchtigten „Soziologen-Turm“. „Diese Zentralisierung ergibt Sinn, denn so ist es möglich, an einem Ort ausgeweitete Öffnungszeiten und einen besseren Service anzubieten. Das schont letztendlich die Ressourcen“, erklärt Anette Müller, Leiterin der BSP.

Lernorte zum Wohlfühlen

Stark gefragt ist die sehr zentral gelegene BSP als Lernort. Gestartet ist man 2013 mit 470 Arbeitsplätzen. „Aber mein Vorgänger Rolf Voigt schrieb bereits damals in einem Fachblatt, dass die Zahl der Arbeits- und Dauerarbeitsplätze nicht reiche“, sagt Anette Müller. Das habe sich auch so bewahrheitet. „Natürlich lassen sich die architektonischen Gegebenheiten nicht ändern. Im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir 2019 aber den nur selten genutzten Altbestand reduziert, sodass wir zusätzliche Regale abbauen konnten und dadurch 36 neue Arbeitsplätze sowie sechs Dauerarbeitsplätze geschaffen haben.“ Um den Bibliotheksbetrieb dem gestiegenen Zulauf anzupassen, konnte in diesem Jahr mit Sondermitteln der Sonntag als zusätzlicher Tag angeboten werden, erwähnt Julia Gildenstern. „Zwar sind die Besucherzahlen am Sonntag nicht ganz so hoch wie in der Woche, aber es lohnt sich definitiv. In der vorlesungsfreien Zeit werden wir auf den Sonntag aber verzichten, um dann wieder ab Oktober sieben Tage die Woche zu öffnen.“

Die Nutzenden sollen sich in der BSP wohlfühlen – das ist der Leitung sehr wichtig. Im Erdgeschoss konnte man durch den Wegfall von Zeitschriftenauslagen, die mittlerweile online zur Verfügung stehen, einen ‚chilligen‘ Bereich mit Sofas einrichten: Das sorgt für eine Gemütlichkeit, aber auch für einen gewissen Schallschutz: „Durch ihre hohen Rückenlehnen bieten die Sofas einen Rückzugsort, denn natürlich kann es in einer großen Bibliothek auch schon mal unruhig zugehen. Wir versuchen, die Akustik auch mit speziellen Paneelen an Decken und Wänden zu verbessern“, erklärt Anette Müller. Zur recht stark befahrenen Hansaallee hin ist die Bibliothek mit Dreifachverglasung gut geschützt – vom Autolärm ist nahezu nichts zu hören.

Lebendes Gebilde

Wie an allen Bibliotheksstandorten hat die Digitalisierung auch in der BSP sehr stark zugenommen. Man sieht sich aber insgesamt in der Mitte: zwischen den klassischen Buchwissenschaften, die im BzG verortet sind (s. UniReport 3/2023), und den in der BNat vertretenen und kaum noch auf Print setzenden Naturwissenschaften, denkt Anette Müller: „Das kann man zum Teil auch innerhalb eines Faches wie der Psychologie sehen: Während die pädagogische Psychologie den Geisteswissenschaften ähnelt und noch auf eine recht hohe Zahl an Monographien kommt, dürfte die Neurosciences recht nah an den Naturwissenschaften und eher artikelbasiert sein.“ Insgesamt aber geht der Trend ganz klar in Richtung digitaler und damit allzeit verfügbarer Literatur. Julia Gildenstern, die unter anderem Kaufvorschläge aus den Gesellschaftswissenschaften bearbeitet, schätzt, dass 80 Prozent der eingereichten Wünsche aus den Fächern digitaler Natur sind. Der Wandel, betont abschließend Anette Müller, gehört für sie zu einer Bibliothek dazu. Nicht immer nimmt man das als Besucher*in vielleicht direkt wahr. Auch bleiben die grundlegenden baulichen Strukturen natürlich gleich. Aber darüber hinaus ist die Bibliothek für sie ein „lebendes Gebilde“: „Wenn man die Bibliothek als eine Gesamtheit betrachtet, nicht nur die Bücher, nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch die Personen, die hierherkommen, um hier zu arbeiten und zu lernen, dann ist es ein lebender Organismus. Das verändert sich ständig. Wir versuchen, unsere Services und Angebote auch an neue Bedürfnisse anzupassen.“ Ihre Kollegin Julia Gildenstern ergänzt: „Aus der Nutzendenforschung wissen wir, dass die Veränderungen in der BSP mit einem sehr positiven Feedback aufgenommen werden. Wir wurden schon oft als Lieblingsbibliothek hier auf dem Campus bezeichnet. Darüber freuen wir uns natürlich.“

Mehr zum Thema Eiskeller auch hier im UniReport.

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