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Vicki Baum und Amerika

Die Tagung „Vicki Baum und Amerika“, organisiert von PD Dr. Julia Bertschik und Prof. Dr. Bernd Zegowitz, widmete sich erstmals umfassend Vicki Baums facettenreichem Werk und Leben in den USA.

Studierende bei der Arbeit im Archiv.

Ein Tagungsbericht

Ende März 1932 schiffte sich Vicki Baum auf dem Dampfer „Europa“ ein, der sie in ihre neue Heimat in den USA bringen sollte. Ob es primär berufliche Gründe waren, also die Aussicht auf bessere Zukunftschancen als Autorin, oder politische, die sie veranlassten, Deutschland noch vor der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 zu verlassen, ist schwer zu beurteilen, auch wenn Baum selbst im Rückblick erklärte, dass sie bereits 1931, während ihrer ersten Reise nach Amerika, von ausländischen Korrespondenten vor der Gefahr des Nationalsozialismus gewarnt worden sei. Ebenso wird ihr kaum entgangen sein, dass bereits zu dieser Zeit völkisch orientierte Zeitungsverrisse ihres 1929 erschienenen Bestsellers Menschen im Hotel gegen die ‚jüdische Asphaltliteratin‘ Baum zu hetzen begannen, deren Bücher kurze Zeit später verbrannt werden sollten.

Unbekanntes Werk in und über Amerika

Während Vicki Baums Zeit in Deutschland, vor allem als Redakteurin und Autorin beim Berliner Ullstein Verlag, mittlerweile gut erforscht ist, fehlen umfassendere Untersuchungen zu ihrer Zeit in den USA, wo sie 1938 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt und seit den 1940er Jahren ihre Texte auf Englisch verfasste. Bislang wenig bis gar nicht in den Fokus gerückt ist auch ihr vielfältiges Werk in und über Amerika, welches einerseits (und im Unterschied zu vielen anderen emigrierten Literatinnen und Literaten) an bereits ‚amerikanisierte‘ Konzepte ihrer Weimarer Zeit (Großstadt- und Hotelromane) erfolgreich anschließen konnte, andererseits aber auch ganz neue Themen und Formen in der Begegnung mit anderen Sprachen und Kulturen sowie der Auseinandersetzung mit Faschismus, Krieg, Anpassung und Widerstand in ihrer ‚alten Heimat‘ Österreich und Deutschland hervorbrachte.

Die von PD Dr. Julia Bertschik (Freie Universität Berlin) und Prof. Dr. Bernd Zegowitz (Goethe-Universität Frankfurt) organisierte Tagung „Vicki Baum und Amerika“, die in Kooperation mit dem Deutschen Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek vom 10. bis 12. April 2024 in deren Räumen stattfand, widmete sich diesem Themenkomplex erstmals in konzentrierter Form, um das skizzierte Forschungsdesiderat zu füllen und Anstöße zu weiteren Untersuchungen zu liefern.

Am Beispiel Vicki Baums ließen sich die Begriffe ‚Exil/Exilliteratur‘, die in der neueren Forschung eine stärkere Ausdifferenzierung in transhistorischer wie transnationaler Hinsicht erfahren haben, besonders einlässlich diskutieren. So wurde Baum der Status einer Exilantin zunächst rundweg abgesprochen, da sie bereits vor 1933 und mit Chancen auf eine dortige Karriere in die USA übergesiedelt war. Bei ihrer Herkunft aus dem Habsburgischen Vielvölkerstaat, ihren Wechseln von Österreich in verschiedene Städte Deutschlands und schließlich von Berlin nach New York und Hollywood sowie bei den damit verbundenen Sprachwechseln, der Translingualität ihrer Texte, der Mehrsprachigkeit in ihren Texten und dem Schreiben zwischen verschiedenen Kulturen stellte sich eher die Frage, inwieweit diese Aspekte bei ihr überhaupt als ‚typische‘ Phänomene von Exilliteratur zu werten sind, oder ob es sich bei den polyphonen Schreibweisen der ehemaligen Musikerin Baum nicht eher um eine (von Anfang an) kosmopolitisch und global orientierte (und eben dadurch wohl auch international erfolgreiche) Literatur handeln könnte, was unter US-amerikanischen Exilbedingungen noch einmal eine Zuspitzung erfuhr.

Frühe Ghettoerzählungen

Auch die Frage nach Baums Verhältnis zum Judentum wurde thematisiert. Aus ihren eigenen Aussagen ist eine Auseinandersetzung oder gar Identifizierung mit ihrer jüdischen Familie(ngeschichte) nicht erkennbar, obwohl sie in Kalifornien (wieder) in einer (auch) jüdischen Umgebung lebte. Im Kontrast zu dieser Zurückhaltung oder gar Verweigerung stehen jedoch die Ghettoerzählungen aus dem Frühwerk Baums, denen sie noch im amerikanischen Exil eine entsprechende Filmskizze über das Leben Heinrich Heines und seine Erfahrungen mit der Frankfurter Judengasse zur Seite stellte. Aufschluss konnten hier aber auch Baums späte autobiografische und literarische Auseinandersetzungen mit ihrer Geburtsstadt Wien geben sowie, aus unterschiedlich perspektivierter Sichtweise, ihre Beschäftigung mit Nazideutschland.

Amerika interessierte Vicki Baum eigentlich schon, seit sie sich entschlossen hatte, Ullstein-Autorin zu werden und damit für einen Medienkonzern zu arbeiten, dessen Marktgebaren sich zunehmend an erfolgreichen US-amerikanischen Praktiken ausrichtete. Worum es in Baums Romanen der Exilzeit dann häufig geht, sind (nord)amerikanische Lebensformen und der ‚amerikanische Typus‘ im Hinblick auf europäische Kulturen und nicht zuletzt deutschsprachige Lebenswelten. ‚Amerika‘ als ein von Werk zu Werk durchaus wandelbares und ambivalentes Konzept erweist sich dabei neben aller Kritik als faszinierendes Laboratorium alternativen Lebens. Während Walter Benjamin die Pariser Passagen wie Siegfried Kracauer das Paris des Jacques Offenbach als einfacheres Modell einer komplexen Gegenwart des Spätkapitalismus entschleiern und entschlüsseln wollten, hat Baum den Finger am Puls der Gegenwart: Ihre Romane spielen im Filmbusiness, im großen Warenhaus, in der Automobil- und Ölindustrie.

Broadway-Hit „Menschen im Hotel“

Genauer nachgegangen wurde aber auch den medialen Transformationen ihres Romans Menschen im Hotel (1929). Denn eigentlich erst der überwältigende Erfolg der von William Drake übersetzten Theaterfassung Baums (gleichzeitig die Vorlage für das Drehbuch der 1932 Oscar-prämierten Verfilmung Grand Hotel) als einem der größten Broadway-Hits im New York der 1930er Jahre lieferte die Eintrittskarte für Baums Migration in die USA.

Im Rahmen der Tagung wurde zudem das deutsch-österreichische D-A-CH-Projekt „Vicki Baum: Kommentierte Edition ausgewählter Werke“ (geleitet von PD Dr. Julia Bertschik und Dr. Desiree Hebenstreit) erstmals inklusive der die Bände begleitenden Webseite „vicki-baum-digital“ vorgestellt sowie das von Dr. Sylvia Asmus und Prof. Dr. Bernd Zegowitz kuratierte studentische Ausstellungsprojekt „Schriftstellerinnen im Exil in den USA“ eröffnet. Vier Studierende präsentierten die Konzeption und ausgewählte Beiträge der in einem gemeinsamen Seminar des Instituts für deutsche Literatur und ihre Didaktik der Goethe-Universität und des Deutschen Exilarchiv entwickelten Ausstellung, die einzusehen ist unter: https://kuenste-im-exil.de/KIE/Web/DE/Navigation/Junges-Museum/Uni-Frankfurt/uni-frankfurt-schriftstellerinnen.html.

Eine Lesung aus Vicki Baums autobiografisch angelegtem Exil-Roman Marion lebt (1942) mit der Sprecherin Ingrid El Sigai war in die Tagung integriert. Und da Baum eine professionell ausgebildete Harfenistin war, die unter anderem 1911 bei der Uraufführung von Gustav Mahlers Lied von der Erde unter der Leitung von Bruno Walter mitgewirkt hatte, wurde die Lesung von drei musikalischen Einlagen der Frankfurter Harfenistin Mélie Leneutre umrahmt, was noch einmal einen anderen Einblick in Leben und Werk Vicki Baums ermöglichte.

Julia Bertschik und Bernd Zegowitz


Die wissenschaftlichen Beiträge der von der Dr. Marschner Stiftung und den Freunden der Universität geförderten Tagung sollen in einem entsprechenden Sammelband veröffentlicht werden.

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