»Wir sind eigentlich Ermöglicher« / Wie kommen Wissenschaft und Praxis zueinander?

Wie kommen Wissenschaft und Praxis zueinander? Unter dem Motto »Bridging the gap« stellte das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) am 25. April auf einem Festival neue Formate der Wissenschaftskommunikation vor. Der UniReport sprach mit den FGZ-Referenten für Wissenstransfer Katja Maasch und Manuel Steinert.

„Sprichst du die Sprache deiner Zielgruppe?“: User Experience Designer Julian Preissinger auf dem Transferfestival. Foto: Katja Maasch

UniReport: Das FGZ beschäftigt sich mit der Frage, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht. Ihr Festival fragte nun, wie Wissenschaft und Praxis zueinanderfinden. Warum spielt dieses Thema für Ihr Forschungsdesign so eine große Rolle?

Katja Maasch (KM): Das FGZ ist vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert worden, damit es interdisziplinäre Grundlagenforschung, gleichzeitig aber auch angewandte Forschung zu Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts betreibt. In diesem Sinne hat es zwei Standbeine: Forschung und Wissenstransfer spielen eine gleichberechtigte Rolle – unsere Forschung sieht sich also im Dienst der Gesellschaft.

Manuel Steinert (MS): Wir generieren Wissen zu gesellschaftlich hochrelevanten Fragen, zum Beispiel welche Spaltungstendenzen sich derzeit in der Gesellschaft erkennen lassen und wie gesellschaftlicher Zusammenhalt gestärkt werden kann. Die Ergebnisse sind entsprechend nützlich für verschiedene Zielgruppen wie politische Entscheidungsträger*innen oder die Zivilgesellschaft. Allerdings haben wir uns bei der Gründung des Instituts bewusst dagegen entschieden, uns „Forschungsinstitut für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu nennen, um unsere Forschungsagenda nicht von vorneherein mit einer Wertung aufzuladen. Zusammenhalt kann auch destruktiv wirken, beispielsweise wenn bestimmte Gruppen ausgeschlossen werden. Es gehört zu unserer Transferarbeit, auch über solche Ambivalenzen aufzuklären.

UniReport: Bei den Kooperationsprojekten geht es auch darum, Wissen aus der Gesellschaft für die Wissenschaft fruchtbar zu machen?

KM: Ja, beim FGZ gibt es neben den Forschungsprojekten sogenannte Transferprojekte. Wissenschaftler*innen arbeiten mit Praxispartnern zusammen, die ein relevantes Interesse an dem Forschungsgebiet haben und ihre eigenen Erfahrungswerte beisteuern können. Auch wenn das natürlich kritisch betrachtet werden kann, wird durch eine solche Ko-Produktion sichergestellt, dass unsere Forschung auch wirklich auf die Bedarfe der Praxis abgestimmt ist und Ergebnisse nutzbar werden.

MS: Transfer ist bei uns immer dialogisch angelegt – das ist die große Klammer über unserer Transferstrategie. Wir wollen nicht nur Wissen im Sinne einer Einbahnstraße vermitteln, sondern gleichzeitig immer Impulse aus der Gesellschaft in unsere Forschung aufnehmen. Das ist natürlich mit einigen Herausforderungen verbunden, aber wir haben in den letzten vier Jahren viele Erfahrungen gesammelt, auf denen wir aufbauen können.

UniReport: Welche Formate haben sie jetzt auf dem Festival vorgestellt?

MS: Neben unseren regulären Transfervorhaben hatten wir am FGZ die Möglichkeit, durch einen speziellen Fonds auch kleinere, innovative, experimentelle Transferprojekte umzusetzen. Dadurch konnten wir auf dem Festival eine sehr breite Mischung spannender Formate vorstellen.

KM: … wie zum Beispiel die Dorfgründungssimulation. Sie wurde von dem Politikdidaktiker Andreas Petrik aus unserem Teilinstitut an der Universität Halle entwickelt. Das Projekt richtet sich an Schulklassen, auch der Berufsschule. Es wurde für uns von einer Woche auf drei Stunden gekürzt. Die Idee ist, dass eine Gruppe ein fiktives Dorf gründet. Das Projekt beginnt mit einer Fantasiereise – die Gruppe erreicht ein leer stehendes Bergdorf in den französischen Pyrenäen. Da muss dann entschieden werden: Welche Gesellschaftsform wollen wir eigentlich haben? Soll Wohlstand verteilt werden? Wer möchte eigentlich welche Rolle übernehmen? Und wie wird man Bürgermeister? Dieses Projekt gelebter Demokratie wollen wir auf jeden Fall weiterführen. Es gibt die Idee, Multiplikatoren auszubilden. Und vielleicht werden wir es auch in einer abgespeckten Variante als Online-Spiel anbieten.

MS: Ein anderes Format sind die Escape Bubbles, die wir am Frankfurter FGZ-Standort anlässlich des Paulskirchenjubiläums 2023 entwickelt haben. Es handelt sich um zwei zusammengesetzte, Bubble-artige Escape Rooms, in denen die Spieler*innen gemeinsam die Demokratie der Zukunft retten müssen. Story und Rätsel wurden von Studierenden der Uni Frankfurt entwickelt. Die eine Bubble spielt im Jahr 2029: Demokratiefeindliche Parteien haben in Deutschland zunehmend die Macht übernommen, und Aktivisten stehen kurz davor, mit einer Demo einen letzten Rettungsschlag für die Demokratie auszuführen. In der anderen Bubble sind wir schon im Jahr 2035, hier tauchen die Spieler*innen ein in die Rollen von Wissenschaftlern, die die Demokratie durch eine Zeitmaschine retten wollen, indem sie den Aktivisten Wissen über Demokratiefragilität zukommen lassen. So müssen die beiden Gruppen in jeweils verschiedenen Zeitebenen Rätsel lösen. Das Projekt wird inzwischen von verschiedenen Kooperationspartnern angefragt und ausgeliehen – wie zum Beispiel demnächst an das Museum für Kommunikation.

UniReport: Haben Sie diese kleinen Formate auch entwickelt, um verschiedene Zielgruppen zu erreichen? Das Stichwort genaue Zielgruppenanalyse zog sich ja wie ein roter Faden durch die Veranstaltungen.

KM: Selbstkritisch muss ich vorausschicken, das wir selbst in Zukunft auch da noch viel genauer werden müssen. Wir haben oft gesagt, unsere Formate richten sich an eine breite Öffentlichkeit. Wenn wir aber mal kritisch draufschauen, sind die Zielgruppen, die wir bisher erreichen, wissenschaftsnah. Und auch wenn wir mit Schulklassen zusammenarbeiten, sind das immer Gymnasialstufen. Das müssen wir ändern. 

UniReport: Haben Sie auf der Tagung auch Formate der Wissenschaftskommunikation für einzelne Wissenschaftler vorgestellt?

KM: Ja, es gab zum Beispiel den Hackathon „Sprichst du die Sprache deiner Zielgruppe?“. Dazu hatten wir mit Julian Preissinger einen User Experience Designer eingeladen, der selbst keinen wissenschaftlichen Hintergrund hat. Er sollte ein ganz anderes Fenster im Kopf aufmachen, indem er zum Beispiel erzählt hat, wie es bei TikTok läuft. Zentrales Thema war, sich die Zielgruppe der Kommunikation sehr genau anzusehen. Das hat einige der Teilnehmer ziemlich frustriert, weil diese Klärung oft gar nicht so einfach ist.

UniReport: In der Abschlussdiskussion gab es klare Forderungen von Marketingexperten und Podcastern: Wissenschaft soll Kommunikation in die Gesellschaft liefern.

MS: Wir haben für das Abschlusspodium extra Leute von außen eingeladen, die Expertise in Marketing, Massenkommunikation, aber auch Evaluation mitgebracht haben. Gerade um unsere Wissenschaftler*innen zu inspirieren und zu zeigen, in welche Richtungen es gehen könnte.

UniReport: Andererseits wurde eben auch deutlich, wo Wissenschaftskommunikation an Grenzen stößt und gar nicht mitmachen kann und will.

KM: Ja, der Anspruch, Wissenschaft solle sich den Regeln kommerziellen Marketings unterwerfen, wurde durchaus kontrovers aufgegriffen. Von einem Wissenschaftler auf dem Podium wurde gefragt: Was soll ich eigentlich noch alles machen? Ich forsche, beziehe Praxispartner ein, evaluiere und soll auch noch in die Gesellschaft kommunizieren. Und damit hat er recht. Ich glaube, wir müssen zwischen den Kompetenzen von Wissenschaft und uns als Kommunikatoren differenzieren, also klarmachen, dass wir eigentlich Ermöglicher sind und eher zu einer Entlastung der Wissenschaftler beitragen. Diese müssen dann aber auch bereit sein, ihre Forschung verständlich zu kommunizieren.

Die FGZ-Referenten für Wissenstransfer Katja Maasch und Manuel Steinert. Fotos: privat

Fragen: Pia Barth und Dirk Frank

Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)
ist ein Verbundinstitut mit 11 Standorten in ganz Deutschland. Über 200 Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen forschen zu Fragen und zentralen Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Gefördert wird das FGZ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Der Frankfurter FGZ-Standort ist am Forschungszentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität angesiedelt und beherbergt als eine von drei Geschäftsstellen
die zentrale Abteilung Wissenstransfer am FGZ.
https://fgz-risc.de/

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