Das jahrzehntelang verschwiegene Thema wird inzwischen öffentlich verhandelt: Wie konnte es sein, dass Bischöfe und ihre Mitarbeiter sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen vertuscht, die Aufklärung der Taten verschleppt und die Opfer ignoriert haben? Die interdisziplinäre Tagung „Machtlegitimation, Machtausübung und Machtmissbrauch“ am Fachbereich „Katholische Theologie“ der Goethe-Universität am 10. und 11. Juni 2021 geht nun den theologischen Machtkonstellationen auf den Grund, die Machtmissbrauch begünstigen.
Auch wenn noch immer Akten vorenthalten und verweigert werden, die dokumentierte Gewalt von Klerikern gegen Minderjährige und die systematische Vertuschung dieser Gewalt durch leitende kirchliche Verantwortliche lassen keine Zweifel: Es gibt einen systematischen Missbrauch von Macht im kirchlichen Kontext. Wissenschaftliche Untersuchungen von Kindesmissbrauch widmeten sich bislang vor allem Fragen unmittelbar zu den untersuchten Übergriffen, etwa wie viele Beschuldigte und Betroffene es gibt und welche Strategien zur Tatanbahnung und Vertuschung genutzt wurden. Nun stellt die Tagung „Machtlegitimation, Machtausübung und Machtmissbrauch“ am 11. und 12. Juni die strukturellen theologischen Hintergründe und theologischen Denkmodelle des Machtmissbrauchs in den Vordergrund.
Was lässt sich über theologisch begründete Machtausübung von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern lernen, die soziale Machtverhältnisse bereits seit langem systematisch reflektieren? Hierzu kooperieren die Veranstalter:innen aus dem Fachbereich Katholische Theologie mit renommierten Wissenschaftler:innen der Goethe-Universität, wie etwa der Familien- und Kindheitsforscherin Sabine Andresen, dem Historiker Hartmut Leppin und der Rechtswissenschaftlerin Ute Sacksofsky. Sie sprechen in ihren Beiträgen zur Rolle des Vertrauens bei Missbrauch, zum sexualisierten Umgang mit Kindern im antiken Christentum und zur Legitimation kirchlicher Macht aus staatlicher Perspektive. Über den grundlegenden Begriff der Pastoralmacht sowie aktuelle philosophische Debatten über Foucaults Machtbegriffe informiert darüber hinaus der ausgewiesene Foucault-Kenner und Sozialphilosoph Martin Saar. Das vollständige Programm gibt es hier (PDF).
Die Tagung kann als Livestream über den YouTube-Kanal des Fachbereichs öffentlich verfolgt werden. Zudem gibt es die Möglichkeit, über den YouTube-Livechat oder über Twitter unter dem Hashtag #MuMTagung Fragen zu stellen und direkt in Kontakt zu treten. Der Livestream beginnt am 10. Juni um 9:45 Uhr und am 11. Juni um 10:15 Uhr.
Das Forschungsfeld „Macht und Missbrauch“ gehört zum Forschungsprofil des Fachbereichs „Katholische Theologie“ an der Goethe-Universität. In den vergangenen zwei Jahren haben bereits mehrere Veranstaltungen zu diesem Thema stattgefunden, wie etwa eine Tagung im Juni 2020, deren Beiträge auf dem YouTube Kanal des Fachbereichs abgerufen werden können. Die Beiträge sind inzwischen im Sammelband „Gefährliche Theologien. Wenn theologische Ansätze Machtmissbrauch legitimieren“ veröffentlicht.