Cornelia Goethe Colloquien diskutierten über radikale Rechte in Europa

(v.l.n.r.): Prof. Birte Siim, Prof. Sandra Seubert, Prof. Bozena Choluj u. Dr. Petra Ahrens

Im Rahmen der Cornelia Goethe Colloquien „Gender unter Druck“ diskutierte gestern im Festsaal auf dem Campus Westend ein Roundtable mit Politik- und Kulturwissenschaftlerinnen kurz vor der Europawahl über rechtspopulistische Parteien im Europaparlament. Die Moderatorin, Prof. Sandra Seubert, Politikwissenschaftlerin an der Goethe-Universität, erinnerte daran, dass auch das an diesem Tage gefeierte 70jährige-Jubiläum des Grundgesetzes gewissermaßen einen Bezug zum Cornelia Goethe Colloquium habe. Damals hätten nämlich die vier Frauen im 65-köpfigen Parlamentarischen Rat dafür gesorgt, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz aufgenommen wurde, so Seubert. Kurz vor der Europawahl sei unübersehbar, dass auch in den etablierten Demokratien Risse sichtbar werden würden. Rechte Parteien wollten auf ganz unterschiedliche Weise Frauenrechte beschneiden; eine Disziplin wie die Gender Studies würde als unwissenschaftlich gegeißelt. Die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nach der Wahl werde auch darüber entscheiden, wie die Themen Geschlechter- und Familienpolitik künftig behandelt werden.

Bedeutung der Europawahl zugenommen

Dr. Petra Ahrens, Senior Researcher im ERC-geförderten Forschungsprojekt „Gender, Party politics and democracy in Europe“, stellte einleitend fest, dass dem Europäischen Parlament Grenzen bei der Gestaltung von Politik gesetzt seien; die Europäische Kommission und der EU-Rat seien zwei politisch sehr mächtige EU-Organe. Die Richtlinien der EU-Politik würden von der Kommission ausgehen. Bei einem Thema wie beispielsweise dem Mutterschutzrecht sei eine eigene Position des EU-Rates leider ausgeblieben. Allerdings räumte Ahrens ein, dass mit dem Lissabon-Vertrag die Macht des Parlaments zugenommen habe. Bei Fragen der Gleichstellung seien die Ausschüsse des Parlaments insgesamt progressiver als die Mitgliedsstaaten. Die bevorstehende Europawahl werde, so Ahrens, im Vergleich zu früheren Wahlen von den Bürgerinnen und Bürger insgesamt als wichtiger empfunden.

Bozena Choluj, Professorin für Deutsch-Polnische Kultur- und Literaturbeziehungen und Gender Studies an der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder), stellte die politische Situation in Polen dar: Die Regierung tue zu wenig, um der drohenden Polarisierung der Gesellschaft entgegenzusteuern; stattdessen werde eine „Geldverteilungspolitik“ betrieben, die populistisch ausgeschlachtet und mit dem Hinweis auf die Mehrheitsverhältnisse im Parlament legitimiert werde. Die Frauen in Polen seien insgesamt von der Politik enttäuscht, protestierten beispielsweise gegen eine restriktive Abtreibungspolitik. Zwar seien in Polen öffentliche Proteste nach wie vor möglich, gleichwohl zeige sich, wie kürzlich noch am polnischen Nationalfeiertag, eine hohe Präsenz rechter Gruppen. Die von Brüssel ausgehende Gleichheitspolitik trage durchaus Früchte, so Choluj, wenn diese auch mit Sanktionen durchgesetzt werden.

(Nur) beim Thema exklusiver Nationalismus vereint

Birte Siim, emeritierte Professorin für Genderforschung in den Sozialwissenschaften an der dänischen Aalborg Universität, sprach in ihrem Impulsvortrag über rechtspopulistischen Parteien, die ein „exklusiver Nationalismus“ verbinde, die aber in Geschlechter- und Familienfragen ganz unterschiedliche Positionen vertreten würden. Bezeichnend sei, dass von vielen rechten Parteien die geschlechtliche Gleichstellung instrumentalisiert werde; Frauen würden aufgeteilt in ‚gute‘ einheimische Frauen und ‚schlechte‘ fremde Frauen. Die übergeordnete Botschaft sei immer die Hierarchie zwischen „uns“ und „ihnen“. Wohlfahrtssysteme dienten in der rechten Ideologie einzig und allein einer nationalen Nachhaltigkeit. Zwar seien die rechten Parteien im Europäischen Parlament häufig zerstritten gewesen, aber es gebe neue Versuche, eine Einigung unter ihnen herzustellen. Zudem verlören die alten sozialdemokratischen und christdemokratischen Blöcke an Kraft.

Moderatorin Sandra Seubert wollte vom Roundtable wissen, wie ein Erfolg der rechtspopulistischen die Arbeit im Parlament beeinflussen werde. Petra Ahrens machte dies davon abhängig, ob die Rechten sich zu einer gemeinsamen Politik zusammenfinden können. Bozena Choluj wies darauf hin, dass die rechten Parteien, sofern sie sich im Parlament nicht selbst zerfleischen wollten, ihr Feinddenken aufgeben und stattdessen Allianzen bilden müssten. Die Politik der EU könne sich möglichweise insgesamt nach rechts bewegen; dies liege auch daran, dass der Neoliberalismus keine Idee habe, wie er sich verändern könne.

Bei der anschließenden Einbeziehung des Publikums in die Diskussion ging es unter anderem um die Durchsetzung einer gendersensiblen Sprache. Sandra Seubert wies darauf hin, dass Brüssel bei vielen Bürgerinnen und Bürgern als „bürokratische Monstrum“ gesehen werde; eine Sprache, die von ‚oben‘ diktiert werde, könnte unter Umständen den Eindruck noch verstärken. Prof. Helma Lutz, Geschäftsführende Direktorin des Cornelia Goethe Centrums, wollte von den Expertinnen wissen, warum rechte Parteien überhaupt einen so erstaunlichen Zuspruch auch von Frauen erhielten. Die Katholische Kirche habe in Polen die Bedeutung der Frauenbewegung erkannt, erläuterte Bozena Choluj; Frauen erhielten zunehmend die Möglichkeit, auch im katholischen Kontext zu reden. In der rechten Szene gebe es nicht nur ‚brave‘ Mütter, sondern auch viele berufstätige Frauen, die sich in der rechten Politik engagierten. Die Kirche betone zwar auf sprachlicher Ebene die Gleichstellung von Mann und Frau, allerdings nicht mit einer emanzipatorisch-genderpolitischen Ausrichtung, so Choluj. Zum Ende der Diskussion rief der Roundtable die Zuhörerinnen und Zuhörer auf, am Sonntag unbedingt wählen zu gehen.

Informationen: www.cgc.uni-frankfurt.de/cornelia-goethe-colloquien/

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