Lernverluste mit Langzeitfolgen: Der Bildungsökonom Ludger Wößmann über die Auswirkungen der Corona-Pandemie

Prof. Ludger Wößmann, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Bildungsökonomik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, stellte im Rahmen der GRADE Lecture Series „Corona und Schule – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Bildungssystem“ zwei groß angelegte Elternbefragungen vor, die das ifo Zentrum für Bildungsökonomik durchgeführt hat. Eine Befragung stammt aus dem Frühjahr 2020, die andere aus dem Frühjahr 2021. Wie Wößmann ausführte, habe es zu Beginn der Pandemie wenig valide Daten über die Situation an den Schulen gegeben. Laut der ersten Elternbefragung verbrachten Schulkinder vor der Pandemie ungefähr 7,4 Stunden täglich mit Schule und Lernen, in der Pandemie mit Schulschließungen waren es nur noch 3 ½ Stunden. Beim zweiten Lockdown habe sich zwar die Zeit für schulisches Lernen erhöht, sei aber dennoch deutlich unter der Vor-Corona-Zeit geblieben. Die Mehrheit der befragten Eltern schätze den Lernerfolg zuhause geringer als in der Schule. Corona verstärke die soziale Spaltung, fielen doch die Lernverluste bei Akademikerkindern deutlich geringer aus. In der ersten Phase hätten gerade einmal sechs Prozent der Eltern von einem täglich stattfindenden Online-Unterricht ihrer Kinder berichtet. Anderslautende Verlautbarungen aus den Kultusministerien bezeichnete Wößmann als reine „Rhetorik“. Dabei steigere ein täglicher gemeinsamer Online-Unterricht die Lernzeit bei Kindern deutlich.

Eher „entwicklungshinderliche“ Aktivitäten wie Fernsehen, Computer- und Handynutzung hätten bei Kindern im Lockdown zugenommen. Die fehlenden Treffen mit Freunden bezeichnete zwei Drittel der Eltern als große Belastung. Was die sozial-emotionale Entwicklung angehe, seien Kinder aber insgesamt resilienter als angenommen und würden wahrscheinlich, so Wößmanns Einschätzung, gut aus der Pandemiephase wieder herauskommen. Allerdings seien insgesamt, so Wößmanns Bilanz, in Deutschland 12 Jahrgänge von dem Lernverlust betroffen. Es gäbe keinen Automatismus, diese Verluste wieder aufzuholen. Auch in einem Land wie den Niederlanden, das kürzere Schulschließungen gehabt hätte und für den Distanzunterricht digital besser aufgestellt sei, betrage laut einer Studie der Lernverlust 20 Prozent eines Schuljahres. In Deutschland, so Wößmanns Forderung, müsse „massiv“ gegengesteuert werden. Wenn ein Drittel der Kompetenzen innerhalb eines Schuljahres nicht ausgebildet werden konnten, bedeute das auf das ganze Erwerbsleben hochgerechnet ein Verlust von ca. drei Prozent – das seien 1,5 Prozent des künftigen Bruttoinlandsproduktes. Für Konjunkturpakete sei einiges ausgegeben worden – auch für die Schulen müsse nun etwas getan werden.

Lecture und Workshop-Series „Corona und Schule – Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Bildungssystem“https://www.uni-frankfurt.de/61215047/102_Veranstaltung

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