Nachbericht: Lehrer*innenbildung für die inklusive Schule

Foto: Susanne Kock

Um aktuelle Entwicklungen, Erfahrungen und Herausforderungen der inklusiven Lehrer*innenbildung zu diskutieren, lud die Arbeitsstelle für Diversität und Unterrichtsentwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main am 2. Februar zu einem internationalen Fachgespräch ein. Mehr als achtzig Vertreter unterschiedlicher Schulformen, des Kultusministeriums, der städtischen und staatlichen Schulämter, der hessischen Universitäten und mehrerer Stiftungen waren der Einladung gefolgt.

2009 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention. Seither gibt es hierzulande einen verbrieften Rechtsanspruch auf Inklusion. Die Konvention sieht vor, dass Kinder „nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden“ (Artikel 24 Abs.2 a). Das Bildungssystem soll für jeden Menschen zugänglich sein und der gemeinsame Schulbesuch von behinderten und nicht behinderten Kindern der Normalfall.

Teilhabe für alle

Bei der Verwirklichung der inklusiven Schule geht es Lehrer*innen und Pädagog*innen längst nicht mehr nur um die Teilhabe von Behinderten. In einem weiteren Sinne von Diversität soll jedes Schulkind, z.B. auch mit Fluchthintergrund, gleichberechtigt einbezogen werden. Inklusion, die bereits in der Schule beginnt, soll helfen, gesellschaftliche Trennungen und stereotype Etikettierungen zu überwinden bzw. zu vermeiden.Die Vorstellung eines „Drinnen“ gegenüber einem „Draußen“, wie sie der Integrationsdebatte anhaftete, ist für die Inklusionsbefürworter von heute längst Geschichte. Ihnen geht es um Teilhabe, nicht um Grenzziehung.

Doch welche Kompetenzen benötigen Lehrer*innen, um alle Schüler*innen in ihrem Lernprozess zu fördern? Wie kann es gelingen, Verschiedenheit als Ressource und Bereicherung für Bildung wahrzunehmen? Und wie können Lehrer*innen dazu beitragen, dass alle Lernenden Diversität als Normalität erleben?

Dr. Thomas Barow, Associate Senior Lecturer in Special Education von der University of Gothenburg, und Prof. Dr. Judith Hollenweger-Haskell von der Pädagogischen Hochschule Zürich stellten auf dem internationalen Fachgespräch an der Goethe-Universität die inklusive Lehrer*innenbildung in Schweden und der Schweiz vor. Prof. Dr. Vera Moser von der Humboldt-Universität zu Berlin zog den Vergleich zur Situation in Deutschland.

Wie wichtig ist Sonderpädagogik für Inklusion?

Wie in Deutschland spielt auch in Schweden und in der Schweiz die Sonderpädagogik eine tragende Rolle bei der Verwirklichung der inklusiven Schule. Anders als in Deutschland und der Schweiz ist Sonderpädagogik in Schweden nicht grundständig studierbar, sondern nur als Aufbaustudium möglich. Insgesamt, so Barow, seien in Schweden die sonderpädagogischen Ausbildungsanteile in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Auf der anderen Seite gebe es in Schweden staatlich geförderte Fortbildungen, in denen sich Lehrer*innen berufsbegleitend Wissen und Kompetenzen zur Inklusion im Unterricht aneignen und zu „Speziallehrern“ fortbilden könnten.

In der Schweiz haben die pädagogischen Hochschulen den kommunalen Entwicklungsauftrag, den Anspruch auf Inklusion in die Praxis umzusetzen. Anders als in Deutschland gebe es aber keine öffentliche Debatte über Inklusion, so Hollenweger-Haskell, und auch über die 2014 von der Schweiz ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention werde kaum diskutiert.

Die pädagogischen Hochschulen in der Schweiz legten den Fokus darauf, das „Mindset“ der Lehrer*innen zu verändern und darauf hinzuwirken, dass Haltungen und Einstellungen die Umsetzung von Inklusion begünstigen, so Hollenweger-Haskell. Barow betonte, dass Inklusion allgemein-pädagogische Arbeit sei, die Fachlehrer*innen miteinbeziehen müsse. Es sei ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Inklusion nur mit Sonderpädagogik zu tun habe, so auch Moser. Gleichzeitig solle aber die Sonderpädagogik als Motor für Inklusion nicht abgeschafft werden.

Im Anschluss an die Impulse aus Schweden, der Schweiz und Deutschland hatten die Teilnehmer*innen mit ihren individuellen Erfahrungshintergründen Gelegenheit, sich in Gesprächsgruppen auszutauschen. Folgende Leitfragen standen bei der Diskussion im Fokus: Welche Bedarfe gibt es in Schulen? Und wie sollte sich die Lehrer*innenbildung verändern, um inklusive Bildung in der Schule zu ermöglichen?

Multiprofessionelles Team-Teaching von Regelschullehrer*innen und Förderschullehrer*innen kristallisierte sich als eine Hauptforderung heraus. Auch kleinere Schulklassen könnten eine Möglichkeit bieten, um individuelle Lernbedingungen zu schaffen. In der Lehrer*innenbildung sollte Inklusion stärker verankert sein, zum Beispiel in Form von Pflichtmodulen im grundständigen Studium. Auch ein besserer und reflexiver Austausch zwischen Fachdidaktikern und Sonderpädagogen über Inklusion „vom 1. Semester bis zur Pensionierung“ wurde von den Teilnehmer*innen befürwortet.

„Vor zehn Jahren hätte es eine Diskussion wie heute nicht geben können“, fasste Thomas Barow seine Eindrücke zusammen. Die Organisatorin des Fachgesprächs, Ulrike Suntheim, Koordinatorin der European Agency for Special Needs and Inclusive Education, war mit den Ergebnissen sehr zufrieden. „Das sind gute Anregungen, die alle Teilnehmer*innen in ihre unterschiedlichen Arbeits-, Forschungs- und Entwicklungskontexte einbringen kann. Wir planen, die Impulse in einem anknüpfenden Fachgespräch noch in diesem Jahr zu vertiefen“, so Suntheim.

[Autorin: Laila Nissen]

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