Die Archäobotanische Sammlung der Goethe-Universität ist eine der weltweit größten ihrer Art. Bis zu 60.000 Jahre alt sind die Pflanzenfunde. Sie ermöglichen der Archäologie Rückschlüsse über die Lebensweise erforschter Kulturen.
Die schönsten Momente sind für Prof. Katharina Neumann, wenn sie am Mikroskop sitzt und sich im Anblick von bis zu 60.000 Jahre alten Pflanzenfunden verliert. »Ich versinke dann in der Schönheit der Strukturen, versuche herauszufinden, um welche Art es sich handelt und stelle mir vor, in welchem Höhlenfeuer diese Pflanze wohl verkohlt sein mag, wie die Vegetation in der Umgebung ausgesehen hat, was die Leute damals gemacht, was sie gegessen haben, « schwärmt sie.
»Diese Faszination hat mich durch meine ganze Karriere hindurch begleitet.« Seltene Momente eigener Forschungsarbeit, für die die Wissenschaftlerin allerdings kaum noch Zeit hat. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Astrid Stobbe betreut sie die Archäobotanische Vergleichssammlung am Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung III Vor- und Frühgeschichte.
Die Sammlung von Früchten, Samen, Hölzern und Pollen aus Afrika und Eurasien gilt als eine der weltweit größten ihrer Art. Durch die Vergleichssammlung und die personelle Kompetenz der beiden Wissenschaftlerinnen ist die Archäobotanik ein wichtiger Partner für interdisziplinäre Forschungsprojekte der Archäologen am Institut für Archäologische Wissenschaften.
»Wir sind am Institut ein starker Motor für die Akquise von Drittmittelprojekten«, sagt Astrid Stobbe. Seit 1981 werden in der Archäobotanischen Vergleichssammlung Früchte, Samen, Hölzer und Pollen von modernen Pflanzen aus den Arbeitsgebieten der interdisziplinären Projekte zusammengetragen. Die prähistorischen Pflanzenfunde können dann mit Merkmalen heutiger Pflanzen verglichen und bestimmt werden.
Die Sammlung verfügt mittlerweile über rund 20.000 Objekte und wird beständig erweitert. Eine zweite Sammlung besteht aus den Funden vorgeschichtlicher Pflanzenreste, die im Rahmen der zahlreichen Drittmittelprojekte in vielen Regionen der Erde geborgen worden sind. Großreste, d.h. mit dem bloßen Auge sichtbare Pflanzenreste, werden bei der Ausgrabung zunächst aus der Erde ausgeschwemmt, danach gereinigt, bestimmt und archiviert.
Eine weitere Quelle archäobotanisch relevanter Daten sind Mikroreste, also nur unter dem Mikroskop sichtbare Pflanzenteile, z.B. wie in Mooren oder Flussablagerungen konservierte Pollen, die in Form von Bohrkernen im Institut ausgewertet werden. »Die Archäobotanik ermöglicht der Archäologie über das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein bestimmter Kultur- oder Wildpflanzen Rückschlüsse über die Lebensweise der erforschten Kultur«, erklärt Stobbe.
Ein Beispiel ist die unter der Leitung von Prof. Peter Breunig untersuchte Nok-Kultur im Gebiet des heutigen Zentralnigeria, die 400 v.Chr. aus bisher ungeklärten Gründen verschwand. »Aufgrund der Pflanzenfunde vermuten wir, dass einer der Gründe für den Niedergang der Nok-Kultur ihre konservative Lebensweise gewesen sein mag«, sagt Prof. Katharina Neumann.
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»Die Nok-Leute nutzten ein Kulturpflanzenspektrum aus ihrem Herkunftsgebiet im Norden, haben es aber nach ihrer Migration in südlichere Regionen nicht den wechselnden Umweltbedingungen angepasst, waren nicht offen für Innovation.« Die Archäobotanik ist in der Archäologie mittlerweile so etabliert, dass kaum noch eine Grabung ohne archäobotanische Begleitung stattfindet.
Am Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität ist die Archäobotanik mit zwei festen Wissenschaftlerstellen verankert und zum Pflichtfach in der Grundausbildung der Studierenden geworden – in Deutschland ein Alleinstellungsmerkmal. Für die Ausbildung wurde extra eine eigene Lehrsammlung angelegt.
All die archäobotanischen Aktivitäten sind nicht denkbar ohne technische Unterstützung für die Betreuung der Sammlung, das Auswerten der Funde und die Datenbanken. Dies können die Wissenschaftler alleine nicht leisten, vor allem beim Umgang mit den Mikroresten. Die Pollenreste müssen in einem aufwändigen Verfahren mit Laugen und Säuren aus den Sedimentschichten im Bohrkern herausgelöst werden – ein sensibler und komplizierter Vorgang, der ohne entsprechende Spezialausbildung nicht zu machen ist.
Das Institut beschäftigt daher zwei technische Assistentinnen, die diese für die Forschung so grundlegenden Arbeiten verantworten. Dass die technische Assistenz nicht als feste Stelle verankert ist, sondern immer wieder über externe Drittmittel finanziert werden muss, ist ein großer Unsicherheitsfaktor für die Forschungsarbeiten. »Ohne diese Expertise läge unsere Arbeit hier lahm«, stellt Neumann klar. »Und damit leider auch viele Drittmittelprojekte.«
[Text und Bild: Melanie Gärtner]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.17 der Mitarbeiterzeitung GoetheSpektrum erschienen.