Silke Scheuermann sprach in ihrer ersten Frankfurter Poetikvorlesung über die Ausdrucksdimensionen des Gedichts.
Ihr letzter Roman „Wovon wir lebten“ liegt gut sichtbar auf dem Büchertisch neben der Bühne. Aber über den mag die Schriftstellerin heute Abend nicht sprechen. Romane seien „soziale Kunstwerke“, an denen man beständig arbeite. Gedichten hingegen widme man sich „in Schüben“, steuere auf die großen Fragen zu, bedürfe dafür aber bestimmter Stimmungen.
Silke Scheuermann schildert den Abend nach einer Lesung in der Nähe von Frankfurt: Mit dem Einbruch der Nacht wird sie in ihrer Offenbacher Wohnung von einer Stimmung erfüllt, die vom Gefühl des Einverständnisses mit der Welt geprägt ist. Die in Schwarz gekleidete Poetikdozentin ruft in der ersten Frankfurter Vorlesung ihre lyrischen Gewährsleute auf, darunter vor allem Rainer Maria Rilke, der die Nacht als wichtige Inspirationsquelle schätzte.
Auch die düsteren Nacht-Motive, die von der Schwächung des Menschen in der Dunkelheit zeugen, werden von Scheuermann angesprochen. Sie erinnert sich an eine Ausstellung zum Thema Schwarze Romantik im Städel Museum. Schwarz gekleidete Gothics mischen sich unter die Besucher, auch die Popkultur mag wohl die Abgründe einer anderen Romantik.
Scheuermann rezitiert im Folgenden Robert Frosts Gedicht „Acquainted with the night“, um es dann einer Analyse zu unterziehen. Sie beschreibt die „depressive“, die Welt nur noch als eintönig wahrnehmende Haltung des lyrischen Ichs. Dabei bleibe dieses eine Leerstelle, erst dadurch erhalte ein Gedicht aber sein identifikatorisches Potenzial: „Das Gedicht wird zum Freund.“
Scheuermann kommt aber auch auf die Wissenschaft als wichtige Inspirationsquelle zu sprechen. Als Kind hat sie ein nächtliches Erlebnis im Garten mit ihrem Vater, der ihr den Sternenhimmel als naturwissenschaftliches Phänomen nahebringt. Trotz ihres „mathematischen Unverstandes“ sei ihr Interesse an der Welt der Astronomie seitdem ungebrochen.
Die Schriftstellerin kokettiert mit ihrer Ferne zu den Naturwissenschaften, erinnert sich an eine Begegnung mit einem Physiker, der ihr mit großer Mühe versucht, Schwarze Löcher und Gravitationswellen näherzubringen. Auch wenn möglicherweise das Nichtwissen mit dem Wissen anwachse, ist sie davon überzeugt: „Ich profitiere als Dichterin von den Erkenntnissen der Naturwissenschaft.“
Metaphorisches Sprechen, führt sie weiter aus, sei nicht auf die Lyrik beschränkt. Im Alltag sei die Bildlichkeit immer stark vom Physischen geprägt. Lyrik hingegen beziehe sich auf eine innere Wirklichkeit. Dichtung sei, mit Paul Valery gesprochen, gewissermaßen eine Sprache in der Sprache, mit unerschöpflichen Ausdrucksmöglichkeiten. Scheuermann kommt auch auf eigene lyrische Werke zu sprechen, wie auf den Gedichtband „Skizze vom Gras“.
Dass sie darin die Farbe Grün nicht als eine der Hoffnung, sondern als eine des Schmerzes charakterisiert, habe unter den Lesern für Irritationen gesorgt. Sie spricht von Grenzüberschreitungen, auch davon, dass ein Gedicht nicht paraphrasierbar sei, wohl aber analysierbar. Gedichte könnten einem Leser aber auch fremd werden – das sei ihr selbst mit einigen ihrer Werke so gegangen.
[dt_call_to_action content_size=“small“ background=“fancy“ line=“true“ animation=“fadeIn“]
Silke Scheuermanns Vorlesungstext wird bereits im Februar 2018 im Verlag Schöffling & Co erscheinen.
Die weiteren Termine der aktuellen Frankfurter Poetikvorlesungen:
- 6. Februar, 18.15 Uhr, HZ 1, Campus Westend: „Zwielicht oder träumen Zebras von karierten Löwen“
- 7. Februar, 19.30 Uhr, Abschlusslesung im Literaturhaus Frankfurt
Im Sommersemester 2018 wird Christian Kracht die Poetikdozentur übernehmen. Er wird am 15., 19. und 22. Mai lesen.
[/dt_call_to_action]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.18 (PDF-Download) des UniReport erschienen.