Katajun Lindenberg, Professorin für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Goethe-Universität, erklärt, warum der Serienhit „Squid Game“ für Kinder und Jugendliche nicht geeignet ist.
UniReport: Frau Professorin Lindenberg, die koreanische Serie „Squid Game“ erfreut sich gerade einer sehr großen Beliebtheit. Es handelt sich wohl um die bislang erfolgreichste Netflix-Serie. Bevor wir zur Wirkung auf Kinder und Jugendliche zu sprechen kommen: Welchen Eindruck haben Sie persönlich von der Serie, sehen Sie einen Grund für die große Anziehungskraft auch auf erwachsene Zuschauerinnen und Zuschauer?
Katajun Lindenberg: Über die Erfolgsfaktoren kann ich nur spekulieren. Mir ist insbesondere das einzigartige Design aufgefallen und die Kombination aus Gegensätzen und Grenzüberschreitungen. Die Serie greift gesellschaftskritische und ethische Fragen auf und steckt voller sozialpsychologischer Mechanismen, die faszinierend sind. Zum Beispiel die Fragen, wann und unter welchen Umständen sich Menschen offensichtlich irrational verhalten, wie und mit welchen Mechanismen Entscheidungen manipuliert werden können und wie in einer Gruppendynamik ethische Grenzen und Toleranzgrenzen für Gewalt verschoben werden können.
Sehr beliebt ist die Serie bei Jugendlichen, aber auch bei Kindern. Wo sehen Sie dabei die Gefahren, warum und wodurch sind junge Zuschauer besonders gefährdet?
Die Serie ist eindeutig für Erwachsene und absolut nicht für Kinder geeignet. Sie enthält viele brutale Gewaltszenen, die Kinder weder kognitiv noch emotional gut verarbeiten können. Ich weiß auch nicht, ob Kinder, die bei diesem Trend mitreden wollen, die Serie tatsächlich gesehen haben oder einzelne Ausschnitte nur irgendwo aufgeschnappt haben.
Das Nachspielen von Szenen aus Filmen ist nicht unbedingt ungewöhnlich, oder?
Kinder probieren sich gerne in Rollenspielen aus und ahmen ihre Helden aus Filmen und Serien nach. Die Kombination aus knallbunten Farben, Kinderspielen, Mutproben und Nervenkitzel bietet auch viel Potenzial dafür.
Reicht die Netflix-Altersfreigabe ab 16 Jahre? Könnten Verbote nicht den Reiz erhöhen, die Serie heimlich zu schauen?
Die Frage nach der Altersempfehlung möchte ich gerne den Fachgremien überlassen, die dazu ausführliche Gutachten erstellen. Wichtig ist aus meiner Sicht, die Eltern zu ermutigen, ihre Monitoring- Funktion in Bezug auf Jugendschutzmaßnahmen erst zu nehmen. Natürlich können Kinder bei Jugendschutzmaßnahmen mogeln und zum Beispiel die Serie heimlich schauen. Aber diese Option befreit nicht von der elterlichen Pflicht, stets ihr Bestes zu geben, um ihrer Schutzfunktion nachzukommen.
Nicht immer lässt sich verhindern, dass Kinder und Jugendliche die ganze Serie oder zumindest Teile davon gesehen haben. Was können Eltern dann tun? Was wäre Ihrer Meinung nach die Aufgabe der Medienpädagogik in einem solchen Fall?
Ich finde es wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern über den Sinn von Jugendschutz sprechen und ihre Position begründen. Sie können erklären, dass es ihr Job als Mutter oder als Vater ist, alles dafür zu tun, was in ihrer Macht steht, damit die Kinder vor Gefahren geschützt werden, und dazu zählen auch altersinadäquate Medieninhalte, die emotional belastend sein können. Die Medienpädagogik kann diese Themen auch aufgreifen und beispielsweise mit Kindern besprechen, nach welchen Kriterien und mit welchen Begründungen Altersempfehlungen vergeben werden.
Fragen: Dirk Frank
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 6/2021 (PDF) des UniReport erschienen.