Prominenz für ein drängendes Zukunftsthema: Luisa Neubauer, die wohl bekannteste deutsche Umweltaktivistin, war zu Gast im Seminar „Umweltgeschichte Japans“ des Japanologen Prof. Michael Kinski. „Europa zwischen Klimakrise und Klimaleugnung“ lautete das Thema ihres Vortrages; aufgrund des großen Interesses fand die Veranstaltung im SKW-Hörsaal statt. Das Publikum, darunter auch zahlreiche externe Gäste, wartete mit sichtlicher Spannung auf die junge Publizistin. Lässig, in Lederjacke und Turnschuhen, betrat Neubauer den Saal und zog ihre Zuhörer von Anfang an in ihren Bann, sprach mitreißend, dabei ganz ohne Manuskript.
> Interview mit Luisa Neubauer
Neubauer kam in ihrem Vortrag ohne Umschweife auf ein paradox anmutendes Phänomen zu sprechen: Zwar sei die Klimakrise spätestens seit der Europawahl 2019 im Mainstream-Diskurs angekommen, dennoch seien die Klimaschutzmaßnahmen höchst unzureichend. Zudem würden heute Rechtspopulisten das Thema manipulativ für ihre Zwecke nutzen.
Man habe es gegenwärtig mit verschiedenen Krisen und Großthemen zu tun: Kriegerische Auseinandersetzungen, die Herausforderung der Demokratie, zudem Debatten um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung – da es keine singuläre Krise sei, bedürfe es einer Politik, die „Komplexität“ wage. Man müsse nicht zwangsläufig nur auf die Klimakrise starren. Neubauer kritisierte, dass bei politischen Großthemen oftmals die „Finanzbrille“ aufgesetzt werde, mit dem bekannten Effekt, notwendige Maßnahmen wieder zurecht zu stutzen. Daher forderte sie stattdessen eine „ökologische Brille“, die ein Business as usual der Politik verhindere. 2019 habe viele Beobachter überrascht; plötzlich seien Leute auf die Straße gegangen, um Klimaschutzmaßnahmen einzufordern. Dies habe leider weltweit Klimawandelleugner auf den Plan gerufen. Seitdem würde mit großer finanzieller Unterstützung seitens Energiekonzerne und Medienunternehmen versucht, die Schuld für ökologische Katastrophen absurderweise gerade bei den Klimaaktivisten zu suchen.
Nach ihrem Vortrag diskutierte Luisa Neubauer mit Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität über ihre Thesen, es moderierte Prof. Michael Kinski. Naomi Bi, Wissenschaftlerin im Graduiertenkolleg „Fixing Futures“, wies auf die Gefahr hin, die Klimakrise zu entpolitisieren, wenn nur technokratisch gedacht werde und soziale Aspekte ausgeblendet würden. Im Fokus müsse auch immer die Frage stehen, in welcher Welt die Menschen leben wollten. Prof. Robert Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt sagte, das man als Naturwissenschaftler oft davon ausgehe, dass eindeutige Erkenntnisse aus der Klimaforschung einfach nur umgesetzt werden müssten; das sei aber naiv, denn Maßnahmen zum Klimawandel müssten mit allen ausgehandelt werden, manchmal leider auch mit Diktaturen. Er wünschte sich von der Politik mehr Mut, erforderliche Maßnahmen umzusetzen. Moderator Michael Kinski warf ein, dass man in Deutschland oft ungeprüft davon ausgehe, dass man in Sachen Umweltschutz besonders weit wäre. „Das ist pure Selbstvermarktung, man schaut einfach nicht genug hin“, betonte Luisa Neubauer. Anschließend wurden noch Fragen aus dem Publikum gestellt. Stelle nicht die moderne Konsumgesellschaft ein zentrales Problem dar, fragte beispielsweise ein Studierender der Japanologie. Konsum sei in der Nachkriegszeit durchaus als Garant angesehen worden, die Gesellschaft zu modernisieren, erklärte Neubauer; allerdings habe bereits der Club of Rome im Jahre 1972 auf die zerstörerische Wirkung der Wachstumsgesellschaft hingewiesen. Ein anderer Umgang mit Ressourcen müsse zwar erst noch erlernt werden, meinte die Klimaaktivistin zum Schluss; man müsse aber keine Revolution ausrufen, um sich darauf zu besinnen, was die Menschheit durchaus könne: nämlich die „Liebe zur Welt zuzulassen“.
Luisa Neubauer zu Ihrem Vortrag an der Goethe-Universität
UniReport: Frau Neubauer, wie hat Ihnen die Veranstaltung gefallen?
Luisa Neubauer: Ich fand‘s phantastisch! Der Austausch mit der Japanologie war sehr spannend, und an der Goethe-Universität hatte ich vorher noch nie gesprochen, der Besuch hat sich also wirklich gelohnt.
Sie haben ja erklärt, dass für Ihre Arbeit der Stand der Forschung zum Klimawandel wichtig ist. Sich in den wissenschaftlichen Diskurs zu begeben, ist Ihnen recht vertraut, oder?
L. N. Ich arbeite in der Tat mit Wissenschaftler*innen zusammen, ich will da in einem guten und dauerhaften Austausch stehen. Seit Beginn an sagen wir bei Fridays for Future: “Hört auf die Wissenschaft“, um die Botschaften der Klimawissenschaft breit in den Mainstream zu tragen. Das dies gelungen ist, ist ein Erfolg der Klimabewegung. Wir sind in konstantem Austausch mit Wissenschaftler:innen. An einem Donnerstagabend wie letzte Woche an der Uni zu sein bedeutet für mich aber auch, dass Politik dort stattfindet, dass an der Uni die Realitäten verhandelt werden. Ich möchte an Orten sein, an denen es Leuten so leicht wie möglich fällt, sich mit dem Thema Klima auseinander zu setzen, deswegen bin ich auch in Kitas, Schulen, Clubs, sogar Gartenlauben, aber eben auch an Unis.
Sie sind in einer Zeit an die Goethe-Uni gekommen, in der andere Konflikte, andere krisenhafte Themen im Fokus zu stehen scheinen. Wie schafft man da als Aktivistin noch, Aufmerksamkeit für das Thema Klima zu erzeugen?
L.N. Wir befinden uns in einer Zeit, mit einer Vielzahl an Krisen, die auch medial viel Raum einnehmen. Die größte existenzielle Krise unserer Zeit, die Klimakrise, zum Thema zu machen, ist Aufgabe der Medien, das ist Medienverantwortung und -ethik. Das kommt zur Zeit viel zu kurz. Aber ich würde mich weigern, die Erwartung von konstanter Aufmerksamkeitserzeugung an meine Arbeit zu stellen.
Man hat Sie mal vor Jahren als die ‚deutsche Greta Thunberg‘ bezeichnet. Wie sehen Sie mittlerweile die Rolle Gretas, hat sie mit ihren jüngsten Aktionen die globale Klimabewegung möglicherweise beschädigt?
L.N. Ich erlebe unsere Bewegung in Deutschland als sehr eigenständig, auch die Öffentlichkeit ist sicherlich in der Lage, diese Eigenständigkeit zu erkennen.
Fragen: Dirk Frank