Wie speichern wir in Zukunft Sonnenenergie? An der Goethe-Universität wird eine ganz neue Technologie erforscht

MOST-Schema

Unsere künftige Wirtschaft wird immer stärker von erneuerbaren Energien geprägt sein, da braucht es unbedingt gute leistungsstarke Energiespeichertechnologien. Zum Beispiel eine ganz neue Technologie wie MOST. Das steht für Molecular Solar Thermal Energy Storage Systems. Es handelt sich um eine vielversprechende, noch in den Kinderschuhen steckende Sonnenenergie-Speichertechnik – eine Art Wärmebatterie, bestehend aus vielen synthetisch hergestellten Molekülen, die gemeinsam Sonnenenergie speichern. Im Rahmen des interdisziplinären Projekts FORMOST werden sie aktuell untersucht.

Bei Kontakt mit Sonnenlicht verändern sich die Moleküle strukturell: Chemische Bindungen werden gebrochen, geknüpft oder verdreht. Da diese Prozesse durch Licht ausgelöst werden, spricht man von photoinduzierten Reaktionen. Der Clou: Unter Einfluss von Licht nehmen die Moleküle Energie auf – sie wechseln in den Speicherzustand. Die Energie lässt sich anschließend wieder gezielt freisetzen, und das Molekül begibt sich in den ursprünglichen Zustand zurück. Es ist also ein An- und Ausschalten, und da Licht den Mechanismus auslöst, werden die Moleküle auch als Photoschalter bezeichnet. Drei im Labor hergestellte Photoschalter werden bei FORMOST erforscht: Norbonadiene, Azaborine und Azobenzole. Alle drei schalten mit Licht vom Ursprungszustand in einen Speicherzustand und ändern dabei ihre molekulare Struktur und zum Teil auch ihre Farbe.

Da wären zum einen Norbonadiene, ringförmige Kohlenwasserstoffe mit sieben Atomen. Bei Lichtanregung verknüpfen sich Atome miteinander, sodass zwei neue Bindungen entstehen. Es gibt nun mehrere 3er- oder 4er-Ringe. Dadurch spannt sich das Molekül wie eine Spannfeder – das ist der Speichervorgang. Die Energie in dieser „Feder“ kann später als Wärme wieder abgegeben werden. Das passiert unkontrolliert langsam, lässt sich aber auch steuern. Azaborine sind eine relativ neue Art Photoschalter, auch hier wird eine neue Bindung geknüpft: Ein molekular entspannter 6-Ring spannt sich zu zwei 4-Ringen. Diese lassen sich relativ leicht zu einem Energiespeichermolekül machen. Die Reaktion bei Azobenzolen läuft etwas anders ab. Das Molekül verdrillt sich wie eine Schraube und geht so in den Speicherzustand über.

Ressourcenschonend

MOST-Moleküle bringen einige Vorteile mit. Zum einen bestehen sie vornehmlich aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff. Sie sind also ressourcenschonend, es braucht weder Seltene Erden noch Schwermetalle noch Plastik. Zudem besticht MOST durch die Einfachheit des Prozesses. „Alle Schritte – Umwandlung, Speicherung und Freisetzung der Energie – sind in einem Molekül vereint“, sagt Josef Wachtveitl, Leiter der an FORMOST beteiligten Wachtveitl-Gruppe für ultraschnelle Spektroskopie am Institut für Physikalische Chemie der Goethe-Universität.

Da die Wärme direkt gespeichert wird, gibt es auch keine Umwandlungsprozesse, von Strom in Wärme zum Beispiel. Somit fallen die durch jede Umwandlung von Energie entstehenden Energieverluste komplett weg – ein weiterer Pluspunkt. Vergleicht man MOST direkt mit einer herkömmlichen Wärmespeichertechnik, der Solarthermie, schneiden die Moleküle deutlich besser ab. Solarthermie bedeutet, tagsüber Wärme mit schwarzen Kollektoren zu sammeln und dann in Form von warmem Wasser zu speichern. Was ein zeitlich sehr begrenzter und dazu noch unkontrollierter Prozess ist, da erhitztes Wasser die Wärme spontan wieder abgeben kann. Bei MOST-Molekülen muss die Abgabe der Wärme dagegen aktiviert werden, durch einen Katalysator, Licht anderer Wellenlänge oder Wärme. Der Zeitpunkt der Abgabe ist frei wählbar – wie beim Betätigen eines Schalters. Die Wärme lässt sich auch viel länger speichern als bei Solarthermie, über Wochen, sogar Monate. Hinzu kommt die räumliche Kontrolle: Durch den langen, frei bestimmbaren Speicherzeitraum sind die Speichersysteme gut transportierbar. Und auch die Intensität lässt sich regulieren, über die Menge an zugesetztem Aktivierer. „MOST gibt uns viel mehr Flexibilität bei der Sonnenwärmespeicherung“, so Wachtveitl.

Die Moleküle müssen allerdings vier Eigenschaften haben, um als Wärmespeicher einsetzbar zu sein. Erstens sollten sie einen Großteil des Sonnenlichts absorbieren können. Im Moment absorbieren die Moleküle aber eher nur im UV-Bereich des Lichts, also in den Randbereichen von 200 bis 400 Nanometer Wellenlänge. Dieses Licht ist zwar sehr energiereich, hat aber im Sonnenspektrum eine recht niedrige Intensität. Die maximale Intensität der Sonne liegt im Bereich des grünen Lichts, zwischen 500 und 600 Nanometern Wellenlänge. „Genau da setzen wir an und versuchen, die Photoschalter so zu modifizieren, dass sie in diesem Bereich absorbieren – das ist unser wichtigstes Ziel“, erklärt Jonas Lienert, der zur Wachtveitl-Gruppe gehört und auch am FORMOST-Projekt beteiligt ist. Zweitens sollen die Moleküle viel Wärme speichern, dafür muss der energetische Unterschied zwischen Ursprungszustand und Speicherzustand möglichst groß sein. Drittens dürfen sich die Moleküle nicht spontan entladen, der Speicherzustand muss möglichst lange halten, zudem stabil und kontrollierbar sein. Viertes Kriterium: Die Wärmespeicher sollten möglichst klein und leicht, aber trotzdem effizient sein. Am besten löst jedes Lichtteilchen (Photon) die Reaktion zum Speicherzustand aus. „Dann hätten wir maximale Effizienz.“ Im Rahmen des Projekts werden die Moleküle so modifiziert, dass sie bei möglichst vielen Kriterien möglichst gut sind. Momentan ist keines perfekt. Norbonadiene etwa zeichnen sich durch einen großen energetischen Unterschied zwischen Ursprungs- und Speicherzustand aus, absorbieren aber nur einen kleinen Teil des Sonnenlichts.

Beteiligt am Projekt sind Gruppen mehrerer deutscher Universitäten, die jeweils Spezialaufgaben haben und ihre Erkenntnisse in den nächsten Jahren zusammenführen werden, um ein Gesamtbild zu bekommen. Wachtveitls Gruppe schaut sich die rasend schnell ablaufenden Ladeprozesse der Photoschalter genauer an. Um abbilden zu können, was währenddessen im Molekül passiert, braucht es eine zeitliche Auflösung im Femtosekundenbereich. Eine Femtosekunde entspricht 10–15 Sekunden. Eine schwer fassbare Zeiteinheit, aber ein Vergleich macht es anschaulich: Das Licht braucht von der Erde zum Mond etwa eine Sekunde. In einer Femtosekunde würde es nur die winzige Strecke von 0,3 Mikrometern (0,0003 Millimeter) zurücklegen.

pump-probe

Wachtveitls Gruppe arbeitet mit der Anreg-Abtast-Spektroskopie (pump-probe). Die Methode dient der zeitlichen Auflösung von dynamischen, lichtaktivierten Prozessen. Damit lässt sich vieles untersuchen, der Einfluss von Licht auf Blattfarbstoffe wie Chlorophyll oder auf die Rezeptoren im menschlichen Auge zum Beispiel. Oder eben der ultraschnelle Wechsel vom Ursprungszustand zum Speicherzustand im MOST-Molekül. Bei pump-probe wird ein Laserstrahl über einen teildurchlässigen Spiegel in zwei Laserstrahlen oder Laserpulse aufgeteilt. Der erste regt die Moleküle an (pump), der zweitet tastet das Molekül ab (probe). Der Trick: Zwischen Anrege- und Abtast-Puls gibt es eine zeitliche Verzögerung. In immer größeren zeitlichen Abständen werden Bilder vom Molekül aufgenommen und am Ende zu einem „Film“ zusammengesetzt. Wie bei einem Daumenkino. „Indem wir molekulare Filme mit einer zeitlichen Auflösung von wenigen Femtosekunden zwischen den einzelnen Bildern aufnehmen, können wir genau sehen, was mit dem Molekül nach der Lichtanregung passiert“, erklärt Lienert. Wichtig dabei ist noch, dass der Abtast-Puls aus weißem Licht besteht, da weißes Licht alle anderen Farben des Spektrums enthält – so zeigen die einzelnen Fotos alles, was im Molekül vor sich geht. Der Entladeprozess, ausgelöst durch Katalysator, Licht oder Wärme, lässt sich in gleicher Weise beobachten. Da er viel langsamer abläuft, wird die Abbildung dieses Prozesses einfacher sein. Wachtveitl und Lienert wollen herausfinden, wie gut die Moleküle das Licht in Energie umsetzen: Was sind unerwünschte Nebenreaktionen? Wie lässt sich die Effizienz erhöhen? Was ist die maximale Speicherdauer? „So kommen wir dahin, Auswirkungen der molekularen Struktur auf die vier gewünschten Eigenschaften besser zu verstehen“, erklärt Wachtveitl. „Dann können wir zum Beispiel den synthetisch arbeitenden Kollegen bei FORMOST Hinweise geben, wie sich die molekulare Struktur anpassen lässt, um die Eigenschaften der Moleküle zu verbessern.“

Erste Anwendungsversuche

Wohin führt diese Grundlagenforschung? Bereits jetzt gibt es erste Anwendungsversuche für MOST. Zum Beispiel werden die Moleküle auf Glasoberflächen gesetzt. Daraus sollen später Fenster werden, die tagsüber Energie speichern und nachts abgeben können. MOST-Moleküle, die in einem geschlossenen Kreislauf gepumpt werden können, sind auch schon in der Entwicklung. Diese könnten als Panel auf Dächern verteilt und durch die Sonne in den Speicherzustand gebracht werden. Mit einem großen Tank ließen sich die Wärmespeicher dann lange lagern und bei Bedarf aktivieren. Generell könnten MOST-Speicher überall da zum Einsatz kommen, wo geheizt werden muss, also bei Autos, Häusern, Fabriken, Ställen für Nutztiere.

„Jede Alternative zu Öl und Gas ist sinnvoll und trägt zu einem klimafreundlicheren Heizen bei“, sagt Wachtveitl abschließend. Und MOST-Systeme seien da sehr aussichtsreich. Einmal hergestellt, können sie lange genutzt werden und sind in ihrem Prozess der Speicherung, Umwandlung und Freisetzung völlig CO2-neutral. Hinzu kommen sekundäre Effekte: MOST-Wärmespeicher sind dezentral und können überall aufgebaut werden, da alle Prozesse in einem Molekül ablaufen – große Fabriken zur Produktion werden nicht benötigt.

Andreas Lorenz-Meyer

Am Projekt FORMOST sind neben der Universität Frankfurt noch die Universitäten in Tübingen, Gießen, Heidelberg und Erlangen-Nürnberg beteiligt. Wachtveitls Gruppe erforscht die molekularen Mechanismen der Energiespeicherung und -freisetzung bei MOST-Molekülen. Andere Gruppen kümmern sich um die Synthese der Moleküle oder die Modellierung. Das Projekt läuft von 2023 bis 2027 und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit insgesamt rund 4,8 Millionen Euro gefördert.

Zur Freisetzung der gespeicherten Energie kommen bei den MOST-Molekülen Katalysatoren, Licht anderer Wellenlänge oder Wärme zum Einsatz. Bei Wärme als Energiefreisetzungsinitiator gibt es die Idee, eine Kettenreaktion auszulösen, sodass die freiwerdende Wärmeenergie von wenigen Molekülen immer mehr und immer schneller die Freisetzung der restlichen Moleküle bewirkt – eine sogenannte Autokatalyse.

FORMOST auf YouTube
Die Forschungsgruppe FORMOST hat nun einen YouTube-Kanal, auf dem spannende Einblicke in die Forschung, aber auch in Themen rund um Forschung und Universität geboten werden sollen.
www.youtube.com/@YTFORMOST5499

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