Best-Practice-Austausch: Wissenstransfer in der Rhein-Main Region

Das Thema Wissenstransfer in Politik und Gesellschaft ist hochkomplex. Viele Faktoren spielen eine Rolle, von Botschaft und Tonalität bis zur Zielgruppe. Das Selbstverständnis und der Auftrag einer Institution sind ebenso wichtig wie Budgets und (Wo)Manpower. Auf Initiative der Goethe-Universität trafen sich nun bereits das vierte Mal in Folge Transfer-Expert*innen unterschiedlichster Forschungs- und Bildungseinrichtungen aus der Rhein-Main-Region, um ihre neuesten Projekte vorzustellen und in Kleingruppen Antworten auf gemeinsame Herausforderungen zu erarbeiten. Eine besondere Art des Wissenstransfers.

Es ist Ende September, einige gelbe Blätter liegen bereits im Innenhof, von dem aus man das ISOE betritt. Das Institut für sozial-ökologische Forschung war heute Vormittag Gastgeber für ein Treffen von rund 20 Expert*innen unterschiedlichster Forschungs- und Bildungseinrichtungen aus dem Rhein-Main Gebiet. Organisiert wurde es vom Bereich Research Support (RS) der Goethe-Universität im Rahmen des EU Projekts ENGAGEgreen, genauer gesagt von Tome Sandevski, der am Research Support das Teams Transfer in Politik und Gesellschaft leitet.

Seit dem ersten Treffen im Jahr 2022 hat der Austragungsort immer wieder gewechselt. Auch das ist Teil von Wissenstransfer: Die Arbeitsumgebung der Kolleg*innen kennenlernen, die an ähnlichen Projekten arbeiten und sich oftmals mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert sehen – zum Beispiel, ein Netzwerk zu etablieren, um bei der Suche nach Rat einfach zum Hörer greifen zu können.

Es sind einige neue Gesichter dabei – ein weiterer Indikator, wie dynamisch sich der Bereich Transfer entwickelt und wie viele unterschiedliche Ebenen er umfasst. Neben der Goethe-Universität sind heute auch das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung PRIF, das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE, das ISOE, das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, die Hochschule Geisenheim sowie Repräsentant*innen der RMU-Partneruniversitäten JGU Mainz und TU Darmstadt repräsentiert, teilweise in mehrfacher Besetzung.

Menschen vor einem Gebäude. © ISOE
Alte und neue Gesichter kamen beim vierten Treffen der Transfer-Expert*innen aus der Rhein-Main Region zusammen. Der Best-Practice-Austausch hat sich bewährt. © ISOE

Wie gewohnt beginnt das Treffen mit einer Vorstellungsrunde, gefolgt durch einen Vortrag des gastgebenden Instituts. Dieses Mal präsentiert Dr. Verena Rossow (ISOE) ein gemeinsames Transferprojekt mit der Hochschule Geisenheim University (HGU): Bei „GeisTreich“ dreht sich alles um den artenreichen, multifunktionalen Weinbau und die charakteristische Kulturlandschafts des Rheingaus in Zeiten des voranschreitenden Klimawandels. Die Zielgruppen des Projekts, erklärt Rossow, die für den Wissenstransfer am ISOE zuständig ist, sind ähnlich divers wie die Rebsorten, die in Geisenheim – einer Hochschule, die sich auf den Weinbau spezialisiert hat – angebaut werden. Angesprochen werden alle Akteure des Rheingaus, mit verschiedenen innovativen Formaten. „Wir entwickeln im Projekt einen Forschungspfad durch die Versuchsweinberge der Hochschule. Denn auf einer Wanderung kann man Forschung mit allen Sinnen erfahren“, erklärt Rossow und zeigt anhand einer eindrucksvollen Präsentation, wie viel Mehrwert ein Wassergraben, Pflanzenvielfalt in sogenannten „Maxigassen“, Totholzecken, sowie Sitzmöglichkeiten bieten – für Mensch wie Natur. Die Kooperation zwischen dem ISOE und der Hochschule Geisenheim läuft sehr erfolgreich, aber die Formatentwicklung braucht deutlich mehr Zeit als gedacht – „auch, weil das Projekt gezeigt hat, welch hoher Abstimmungs- und Kommunikationsaufwand innerhalb der Hochschule von Nöten ist“, erklärt Katja Röser, Projektkoordinatorin von GeisTreich an der Hochschule Geisenheim.

Im Anschluss an die Präsentation berichtet Organisator Sandevski von den neuesten Transfer-Entwicklungen im Bereich RS. Bis Ende des Jahres wird er insgesamt 12 Workshops zum Thema wissenschaftliche Politikberatung abgehalten haben, bei denen Forschende der Goethe-Universität und ihrer RMU-Partner mit Repräsentant*innen der Politik zusammenkommen. Letztere kommen ebenso wie die Partner aus der Wissenschaft aus allen möglichen Verantwortlichkeitsbereichen und arbeiten meist entweder in der Landeshauptstadt Wiesbaden oder der Bundeshauptstadt Berlin. Auch Brüssel lässt Sandevski nicht unerwähnt; hier unterhält die Goethe-Universität ein Büro, das unter anderem für Treffen zur Planung und Durchführung von EU-Projekten genutzt wird. Dem Kollegen aus RS ist es besonders wichtig das Mercator Science-Policy Fellowship-Programm hervorzuheben. Das von der Stiftung Mercator und der RMU in Kooperationen mit zahlreichen Wissenschaftseinrichtungen ausgerichtete Programm stellt die Weichen für den persönlichen Austausch zwischen Führungskräften aus Politik, öffentlichem Sektor, Medien und Zivilgesellschaft sowie Wissenschaftler*innen im Rhein-Main-Gebiet. Als deutschlandweit einzigartiges Programm geht es direkt auf die Bedarfe der Führungskräfte ein, bietet ihnen unabhängigen wissenschaftlichen Sachverstand und unterstützt sie in der Findung neuer Perspektiven für ihre jeweils relevanten Themenkomplexe.
Mehr Informationen →

Workshops

Menschen sitzen in einem Stuhlkreis zusammen und unterhalten sich angeregt. © Leonie Schultens
Drei Workshops lieferten Einblicke in unterschiedliche Erfahrungen und Ansätze, aber vor allem auch gemeinsame Herausforderungen, wie im Bereich Policy Briefs. © Leonie Schultens
Menschen hören interessiert eine Person zu. © Leonie Schultens
© Leonie Schultens

In den anschließenden drei Workshops diskutieren interdisziplinäre Kleingruppen drei spezifische Fragestellungen. Damit alle Teilnehmenden an allen Fragestellungen arbeiten können, wird nach einer vorgegebenen Zeit gewechselt.

  • Hopp oder Top? Welche Formate klappen (nicht) gut?
    Das „Panel-Format“ ist ein Klassiker vieler wissenschaftlicher Veranstaltungen, das allerdings – wie die Diskussionsteilnehmenden nur allzu gut wissen – mit den unterschiedlichsten Erwartungen verknüpft ist. Eine vielen Teilnehmer*innen bekannte Herausforderung ist die Tendenz unter Forschenden, sich bevorzugt mit Peers und nicht mit der breiten Öffentlichkeit auszutauschen. Auch zeigen viele der bisherigen Erfahrungen, dass Veranstaltungen im kleinen Kreis effektiver sind als eine breite Kommunikation. „Mit einer begrenzten Anzahl an Multiplikator*innen verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Botschaft verwässert“, so ein mehrfach geteiltes Fazit. Einigkeit herrscht auch über den Wert bestehender wiederkehrenden Formate, wie z.B. dem World Café in Brüssel, die mit wenig personellem und zeitlichen Aufwand einen guten Zweck erfüllen und bei den gewünschten Zielgruppen oftmals bereits etabliert sind. Als einige Teilnehmer*innen von Schwierigkeiten mit der Platzierung forschungsrelevanter Themen in Berlin berichten, zahlt sich der Best-Practice-Ansatz direkt aus: Wie sich in der Diskussion herausstellt, haben andere bereits viel Erfahrung mit Lobbyarbeit. Man beschließt kurzum, sich bilateral zu vernetzen. Und nebenbei erfahren die Workshopmitglieder von der Möglichkeit, über die hessische Staatskanzlei einen Raum in der Hauptstadt für Transferzwecke zu mieten.
  • Wissenschaftskommunikation / Transfer Kooperationen und Austausch
    Neben Ausschreibungen und Antragsstellungen bestimmen sogenannte „Policy Briefs“, sprich Stellungnahmen durch eine Regierung oder politische Vertreterorganisation, die Diskussion. Es herrscht Einigkeit darüber, dass eine institutionsübergreifende Datenbank unterschiedlicher Policy Brief-Formate hilfreich wäre, gerade um konkretes Wissen direkt anzuzapfen und dadurch Kontakte zu anderen Institutionen herzustellen. Ein solcher Informationsfundus würde nicht nur gemeinsame Konsultationen vereinfachen – immerhin sind die Kommunikationsziele von Forschungsinstituten anders als die von Beratungsagenturen, Banken und Verbänden beispielsweise, die ihrerseits Policy Briefs für die Politik vorbereiten. Eine gemeinsame Vorgehensweise würde es zudem ermöglichen, Aufgaben aufzuteilen, konzertiert abzustimmen und die gewünschten Maßnahmen sowohl gezielt als auch schneller umzusetzen. Von den Überschneidungen und wichtigen Querschnittsthemen wie Nachhaltigkeit, Wohnraum, oder Förderung ganz abgesehen. Die Diskussion dreht sich weiter: „Wenn wir es in der Zukunft schaffen, Schnittstellen und/oder Stabsstellen innerhalb unserer Organisationen aufzusetzen, die eine konzertierte Vorgehensweise ermöglichen: Wie messen wir anschließend die Auswirkungen auf unsere Zielgruppen? Wird die Wissenschaft beispielsweise genug gehört, wenn es um Finanzthemen geht?“
    Die Herausforderung, nachweislich effektiv mit externen Zielgruppen zu kommunizieren, ist aber nur eine Seite der Medaille, wie der weitere Diskussionsverlauf zeigt. Auch innerhalb der jeweiligen Forschungsinstitute gibt es unterschiedliche Sprachen, Kulturen, Traditionen und Vorgehensweisen. Für die Transfer-Verantwortlichen gestaltet sich die Erstellung eines einheitlichen Dokuments aus all diesen unterschiedlichen Informationen oft als äußerst herausfordernd.
  • Wie klappt der interne Wissenstransfer zwischen der Transfer-Einheit und den Forschenden?
    Schnell zeigt sich in der Diskussion, dass die Aufstellung je nach Institution und Forschungsverbund variiert. Nichtsdestotrotz gibt es auch hier Gemeinsamkeiten, allem voran das persönliche Netzwerk. „Es bedarf Vertrauen in die Vermittlerrolle der Transfer-Einheit“, ist ein Fazit. Im Idealfall gibt es zentrale Transfer-Ansprechpartner*innen, die Forschende unterstützen und ein gemeinsames Sprachniveau sichern. Dabei sind sich alle Teilnehmenden bewusst, dass es auch unter Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Unterstützung bedarf. Während einige weitestgehend eigenständig agieren, benötigen andere spezifischen Support.
    Auf Meta-Ebene hält der Workshop fest: Zu den wichtigsten Bedingungen für einen reibungslosen internen Wissenstransfer gehören neben umtriebigen Forschenden genügend Zeit und Ressourcen in der Transfer-Einheit sowie niedrigschwellige Formate.
Menschen in einem Vortrag © Leonie Schultens
Die regelmäßigen Treffen mitsamt Impulsvorträgen an wechselnden Austragungsorten sowie der offene und wertschätzende Austausch prägen die Transfer-Community der Rhein-Main Region. (© Leonie Schultens)
Menschen diskutieren © Leonie Schultens
© Leonie Schultens

Was sie von dem heutigen Treffen mitgenommen haben, fragt Sandevski die Runde, nachdem alle die drei Workshops durchlaufen haben. Und auch hier herrscht Einigkeit unter den Teilnehmenden: Der Austausch im Kleingruppenformat zwischen Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und weiteren Stakeholdern wird als durchweg produktiv und auch ermutigend wahrgenommen. Trotz der unterschiedlichen Themen gibt es viele Gemeinsamkeiten, wie den Wunsch, die Arbeit in Kleingruppen fortzusetzen, eine gemeinsame Plattform aufzubauen und die Kolleg*innen bei Kontakten in die Politik mitzudenken. Vorfreude besteht auch das bald erscheinende ENGAGEgreen Policy Engagement Toolkit, welches Forschenden und Mitarbeitende im Transfer zahlreiche Handreichungen und Praxisbeispiele bieten wird.

Da trifft es sich gut, dass Sandevski bereits mit der Planung für die nächste Zusammenkunft begonnen hat, bei dem sich die Gruppe unter anderem intensiver mit dem Thema Policy Briefs auseinandersetzen will. Ganz im Sinne des Transfers.

Relevante Artikel

Buchcover "Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung", Katja Beck, Rosa Anna Ferdigg, Dieter Katzenbach, Julia Klett-Hauser, Sophia Laux, Michael Urban (Hrsg.), Waxmann Verlag

„Transfer kann nur im Dialog gelingen“

Ergebnisse des Metavorhabens Inklusive Bildung In der Förderrichtlinie »Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Öffentliche Veranstaltungen
Kind auf einem Roller © Irina WS / Shutterstock

Wie junge Menschen unterwegs sein möchten

Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt fördert Nachwuchsgruppe CoFoKids an der Goethe-Universität „Von der ‚Generation Rücksitz‘ zu den Vorreitern der

You cannot copy content of this page