Die Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg im Porträt

In den „Katakomben“ der UB: Bibliotheksleiter Dr. Heiner Schnelling mit seiner Stellvertreterin Dr. Angela Hausinger im zweigeschossigen Archiv unter der Zeppelin-Allee, das 1998 in Betrieb ging; Foto: Dettmar

Auf Knopfdruck geht es sekundenschnell in die Tiefe. Als sich die Aufzugstür drei Stockwerke unter der Erde öffnet, tauchen im Licht von Neonröhren unendlich lang erscheinende Regale auf. Viele sind vollgestellt mit Büchern. Andere warten darauf, dass sich ihre Reihen noch füllen. Etwa 2,7 Millionen Bände lagern in unterirdischen Magazinen der Universitätsbibliothek (UB) Johann Christian Senckenberg am Campus Bockenheim. Der Name UB umfasst zum einen die Zentralbibliothek (ZB) am Campus Bockenheim, zum anderen die fünf Bereichsbibliotheken Naturwissenschaften, Recht und Wirtschaft, Sozialwissenschaften und Psychologie, Geisteswissenschaften sowie Medizin.

Ein Magazin der ZB in Bockenheim verläuft parallel zur U-Bahnstrecke U4, unter der Straße und über den Schienen. Wer hier unten arbeitet, ist häufig mit dem Dienstfahrrad unterwegs. „Die Gänge sind 225 Meter lang. Die Kollegen fahren erst an der einen Seite vorbei, um die Bücher, die die Studierenden bestellt haben, aus dem Magazin zu holen. Auf dem Rückweg werden die Bücher auf der anderen Gangseite eingesammelt“, erzählt UB-Mitarbeiterin Petra Schneider. Das ausgeklügelte System gewährleistet, dass die gewünschten Publikationen schnell auf dem Ausleihtresen landen.

2,34 Millionen ›reale‹ Besuche pro Jahr

Die Attraktivität der Bibliothek ist trotz der elektronischen Medien ungebrochen. Die Nutzungszahlen steigen. Vergangenes Jahr zählte das Team um UB-Direktor Heiner Schnelling 2,34 Millionen Besuche (s. „Bibliothek in Zahlen“), obwohl der Zugriff auf viele Medien über die Goethe-Card auch vom heimischen Computer aus möglich ist. Die UB ist praktisch überall präsent: Sie versorgt die Mitglieder der Goethe-Universität nicht nur mit elektronischen und analogen Informationen, sondern unterstützt sie auch bei Nutzung und Recherche.

Zudem ist „die Bibliothek ein Lernort, der mehr ermöglicht als Medien bereitzustellen“, sagt Schnelling. In der ZB auf dem Campus Bockenheim gibt es sowohl Gruppenarbeitstische für Studierende als auch Einzelplätze und Lesesäle sowie Arbeitskabinen, in denen Studierende ganz klassisch ruhig und konzentriert arbeiten. Mit Medientechnik ausgestattete Räume können gebucht und kostenlos genutzt werden. Das Café in der Eingangshalle der ZB ist ein beliebter Treffpunkt, der wie die Bibliothek selbst auch an Wochenenden geöffnet ist. Wissens- und Kaffeedurst können an insgesamt 347 Tagen im Jahr gestillt werden.

Die Kombination von Lernen und Kommunizieren ist ein Konzept mit Zukunft. Heiner Schnelling möchte es ausbauen. „Die Bibliothek ist vorstellbar auch mit anderen Einrichtungen, die Bezug zur Universität haben“, sagt er. Zum Beispiel die Schreibwerkstatt und das Student Service Center, mit denen die Uni-Bibliothek bereits zusammenarbeitet. Der Ort, eine noch engere Kooperation zu leben, könnte künftig der Campus Westend sein. Dorthin soll die ZB von Bockenheim aus umziehen. Geplant ist ein Neubau. „Der Neubau ist unser größter Wunsch. Der Platz dafür ist lange vorgesehen“, sagt Schnelling.

Das Land Hessen hat im Frühjahr 100 Millionen Euro aus dem Verkaufserlös des alten Frankfurter Polizeipräsidiums zugesagt. „Das ist mal eine Hausnummer. Damit weiß jeder, dass nicht alle Ansprüche erfüllbar sind“, sagt der UB-Direktor. Konkrete Pläne existieren noch nicht. Schnelling hat jedoch eine Zeitvorstellung. „In zehn Jahren wird die Bibliothek einen Neubau haben.“ Zehn Jahre – so lange dauerte auch die Errichtung der Universitätsbibliothek der Universität Marburg vom Ideenwettbewerb bis zur Fertigstellung in diesem Frühjahr.

Ideen für eine neue UB

Das neue Quartier der Frankfurter ZB soll noch stärker als das aktuelle den Ansprüchen der Studierenden und dem Wandel des Studiums Rechnung tragen: Mehr Räume für Gruppenarbeit und Diskussionen sowie Computerarbeitsplätze müssten sein, meint Schnelling: „Architektonisch umsichtige Planung berücksichtigt das.“ Aktuell ist das Angebot knapp; Studierende können bei Bedarf Räume in den Bereichsbibliotheken nutzen. Das nach Plänen des Architekten Ferdinand Kramer errichtete ZB-Gebäude wurde 1964 eröffnet. Damals war Gruppenarbeit weder im Studium noch in der Bibliothek vorgesehen. Stattdessen war stilles Lernen des Einzelnen geboten.

In der zukünftigen Bibliothek könnte es merklich lebhafter zugehen: Eventuell ließe sich sogar die Vision einer Shoppingmall realisieren. Das ins Auge gefasste Gelände östlich der Hansaallee ist jedenfalls nicht nur für Uni-Angehörige gut erreichbar, sondern auch für Frankfurter Bürger. Schon jetzt machen die „Stadtnutzer“ ein Drittel der Bibliotheksbesucher aus. Somit wirkt die Bibliothek, wie die gesamte Goethe-Universität, über ihre Aufgaben für Forschung und Lehre hinaus in die Stadtgesellschaft hinein.

Die UB ist mit ihren vielfältigen Wurzeln in der Stadt älter als die Goethe-Universität. In Teilen geht die UB zurück auf die Frankfurter Ratsbibliothek aus dem 15. Jahrhundert. Auch die 1763 gegründete Bibliothek des Naturforschers Johann Christian Senckenberg und die Rothschild-Bibliothek des ausgehenden 19. Jahrhunderts bilden wichtige Bestandteile. Hinzu kommen Bestände und Stiftungen von anderen Frankfurter Bürgern.

Ihnen verdankt die Bibliothek eine Reihe von Spezialsammlungen: Die aus Spenden der Frankfurter Familien Rothschild, Speyer und Hallgarten entstandene Judaica-Sammlung ist die größte in Deutschland. In der Handschriftenabteilung wird neben einigen Stücken aus dem Gründungsbestand der Ratsbibliothek von 1484 auch eine Gutenberg- Bibel aufbewahrt. Sie ist das wertvollste Buch unter den rund sieben Millionen Bänden der UB. Im Archivzentrum sind Vor- und Nachlässe von Arthur Schopenhauer bis zu den Vertretern der Frankfurter Schule wie Max Horkheimer, Herbert Marcuse oder Jürgen Habermas zusammengetragen.

Neben Büchern auch Kostüme

Der Frankfurter Weinhändler Friedrich Nicolas Manskopf (1869 –1928) dagegen hatte ein Faible für das Theater. Er trug Erinnerungsstücke an Sänger, Schauspieler und Komponisten zusammen und richtete damit ein Privatmuseum ein. Seit 1947 ist der Bestand einschließlich zahlreicher Kostüme Teil der Musik- und Theatersammlung der UB, wo ebenfalls das Archiv der Städtischen Bühnen bewahrt wird. Solche Schätze der Öffentlichkeit zugänglich zu machen ist eine Herausforderung. Zum einen fehlt es an Ausstellungsfläche.

Zum anderen ist die Digitalisierung dreidimensionaler Objekte komplizierter als das elektronische Verfügbarmachen historischer Buchbestände. „Mit Büchern haben wir Routine, mit Kostümen nicht. Wir sind im Grunde genommen Laien“, bedauert Bernhard Wirth von der Stabsstelle Ausbildung und Öffentlichkeitsarbeit der UB. In Abstimmung mit anderen universitären Sammlungen kümmert sich seit Kurzem die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Judith Blume darum, das Manko zu beseitigen. Ziel ist es, „die Sammlungen und ihre Bestände sichtbarer zu machen und damit auch neue Nutzungen anzustoßen. Im digitalen Raum ebenso wie im analogen“, erläutert die Koordinatorin.

Die Bibliothek Naturwissenschaften im Otto-Stern-Zentrum auf dem Campus Riedberg; Foto: Dettmar

Mit Gründung der Goethe-Universität 1914 teilten sich zunächst mehrere Bibliotheken die Versorgung von Studenten und Professoren mit Büchern. Bis 2004 übernahm die als städtisches Amt geführte Stadtund Universitätsbibliothek (StUB) diese Aufgabe. Die Naturwissenschaften bedienten sich parallel der Senckenberg-Sammlung. 2005 fusionierten StUB und Senckenbergische Bibliothek zur Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg. Bereits zuvor hatte die Goethe-Universität begonnen, das jahrzehntelang gewachsene Bibliothekenwirrwarr an Instituten und Seminaren sowie bei Professoren zu strukturieren. Geschätzt 200 wurden in die „Stub“ bzw. in die UB integriert. Sie bilden seither die Basis der fünf Bereichsbibliotheken auf den Campus Westend, Riedberg und Niederrad (Medizin). Die sechste Bereichsbibliothek soll 2021 fertig sein.

Bereichsbibliotheken und ZB der Universitätsbibliothek teilen ihre Arbeit auf. Während die Bereichsbibliotheken Studierende, Forschende und Lehrende standortnah mit Literatur versorgen, übernimmt die ZB zentrale Aufgaben. Zum Beispiel das Beschaffen digitaler Medien. Ziel ist es, bei den Lizenz gebenden Verlagen bestmögliche Konditionen für alle zu erreichen – statt Printabos zählen inzwischen meistens Zugriffszahlen und Zugangsoptionen (Remote Access). Heiner Schnelling hört den Begriff Marktmacht nicht gerne, im Kern aber geht es darum, wenn die UB im Verbund mit den Universitätsbibliotheken Marburg, Gießen, Kassel, Darmstadt und Mainz als Einkaufsgemeinschaft auftritt. Sie streitet derzeit mit Elsevier um Lizenzgebühren und hat deshalb den Vertrag gekündigt. Über Subito-Bestellungen verhindert die UB, dass Studierende und Lehrende der Goethe-Universität darunter leiden. Die Gebühr von sieben Euro pro Bestellung teilen sich UB und Fachbereiche.

»Die papierlose Bibliothek wird nicht kommen«

Die Online-Medien verdrängen zunehmend gedruckte Bücher und Zeitschriften. Das ist an Zahlen ablesbar: Von 2016 auf 2017 verdoppelten sich die Aufrufe aus E-Books auf mehr als acht Millionen, die Zahl der Lizenzen stieg auf mehr als 300.000. Die Abos gedruckter Zeitschriften sanken dagegen um rund 200. Ob Regal oder Server, sei eine Frage des Zugriffs, meint Schnelling. Die Verfügbarkeit physischer Bücher ist eingeschränkt.

Über Server ist Literatur für alle Mitglieder der Goethe-Universität jederzeit von überall recherchier- und erreichbar: „Der darin bestehende Mehrwert beschleunigt den Systemwandel.“ Von den Kosten her sind Regal und Server etwa pari. Der Bucherwerb zieht Ausgaben beispielsweise für Binden, Ein- und Ausleihe sowie Magazinfläche nach sich. Das Buch wird trotzdem bleiben. „Die papierlose Bibliothek wird nicht kommen“, ist Heiner Schnelling überzeugt. Große Fachbereiche der Goethe-Universität arbeiten weiterhin Print-orientiert. Im Life Sciences-Bereich erscheinen so gut wie alle wichtigen Publikationen lediglich elektronisch, Geisteswissenschaftler und Juristen sind noch auf dem Weg dorthin – Platz für Regale wird die Bibliothek weiter brauchen.

Dieser wird sich nicht nur mit wissenschaftlicher Literatur füllen, sondern auch mit Belletristik. Sämtliche Frankfurter Verlage haben ein Pflichtexemplar ihrer Werke an die UB zu liefern. Diese legt die Exemplare ins Magazin. Der Bestand elektronischer Veröffentlichungen ist im Aufbau. Unter anderem werden Publikationen der Stadt Frankfurt erfasst, womit sich der Wirkungskreis der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg zwischen Campus, City und Kultur schließt.

Digitale Welt der Bücher

Auf dem Campus Riedberg, wo die Naturwissenschaftler der Goethe-Universität forschen und lehren, ist auch die Bereichsbibliothek Naturwissenschaften angesiedelt. Vor allem Studierende kommen hierher. Denn die Bibliothek besitzt neben gut ausgestatteten Arbeitsplätzen ein umfangreiches Angebot an gedruckten Lehrbüchern, über die sich die Studierenden die Grundlagen der Physik, Chemie, Biologie und Geologie erschließen. Auf die Lehrbuchsammlung entfallen drei Viertel der Ausleihen.

Je weiter das Studium voranschreitet, desto häufiger werden digitale Medien genutzt. Was wirklich wichtig ist in den Naturwissenschaften, wird als Aufsatz in online verfügbaren Zeitschriften publiziert. Damit unterscheiden sich Naturwissenschaftler und Mediziner von ihren Kollegen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die ihre Erkenntnisse traditionell vielfach auch in Fachbüchern veröffentlichen.

Weil sie die benötigte Literatur im Netz finden, sind Lehrende und Forschende selten in der Bereichsbibliothek. Sie arbeiten stärker vom Schreibtisch aus. Die Universitätsbibliothek stellt die Zugriffsrechte auf die digitale Literatur bereit. Inzwischen fließt bibliotheksweit mehr Geld in Online-Medien als in gedruckte Bücher und Zeitschriften. Mit der Goethe-Card können Mitglieder und Angehörige der Goethe-Universität die Online-Literatur auch von zuhause aus nutzen. Die Bibliothek Naturwissenschaften betreut den Open Access-Publikationsfonds der Goethe-Universität. Dieser Fonds unterstützt Uni-Angehörige, indem er bei Online-Veröffentlichungen in Zeitschriften, die für alle Leser weltweit frei zugänglich sind, eventuell anfallende Publikationsgebühren ganz oder teilweise übernimmt.

Analoge Welt der Bücher

Die Bibliothek Sozialwissenschaften und Psychologie, kurz BSP, ist auf dem Campus Westend zuhause. Entstanden aus neun Bibliotheken verfügt sie inzwischen über einen Bestand von rund 355 000 Bänden. Anders als in den Naturwissenschaften, in denen schnell aktuelles Wissen verfügbar sein muss, setzen sich Sozial- und Geisteswissenschaften auch stärker mit grundlegenden, älteren Arbeiten auseinander, zum Beispiel den Werken der Frankfurter Schule. Dieses Wissen liegt häufig in gedruckten Monografien vor. Der Anteil elektronischer Medien, sowohl in Form von e-Books als auch von e-Journals, wächst jedoch stetig.

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KOSTBAR UND WINZIG, HISTORISCH UND MODERN

Unter den mehr als sieben Millionen Büchern und Zeitschriften sind einige Kuriositäten zu finden. Darunter das kleinste Buch: „Almanach auf das Jahr 1824“ misst nur 17 x 13 mm (auf dem Foto ganz rechts). Das größte bringt es dagegen auf 111 x 80 cm. Sulpiz Boisserée veröffentlichte 1821 Ansichten des Kölner Doms unter dem Titel „Vues, plans, coupes et détails de la cathédrale de Cologne“. Schwerstes Exemplar ist mit 16,5 Kilogramm das von Klaus Schweier erstellte Künstlerbuch „Visionen − Blätter zu einem Zitat von Emil Schumacher“ aus dem Jahr 2000 [zu Arbeiten des Malers Emil Schumacher]. Das älteste Buch ist der aus dem 9. Jahrhundert stammende „Fuldaer Psalter“. Das wertvollste ist eine Gutenberg-Bibel, die in zwei Bänden vorliegt.

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Den Studierenden bietet die BSP insgesamt 485 Leseplätze. Hinzu kommen fünf Gruppenarbeitsräume, von denen vier online gebucht werden können, sowie 20 Dauerarbeitsplätze mit Containern zum Aufbewahren der Bücher. Ihre Türen öffnet die BSP von montags bis samstags. Als besonderen Service während der Prüfungsphasen jeweils zum Ende der Vorlesungszeit des Sommer- und Wintersemesters können Studierende auch an zwölf Sonntagen in der Bibliothek arbeiten.

Dieses Angebot wird gerne angenommen. Die Arbeitsplätze sind begehrt. Wer keinen Platz findet, sucht sich einen zwischen den Regalen oder auch am Rande des „Affensteins“. Die so genannten Mauerreste weisen entweder auf einen ehemaligen Wehrturm der Frankfurter Landwehr auf dem früheren „Affensteiner Feld“ hin oder auf einen Eiskeller aus dem 19. Jahrhundert. Damals stand auf dem Areal des Campus Westend die von Struwwelpeter- Autor Heinrich Hoffmann geleitete psychiatrische Anstalt; der Einsatz von Eis war in der damaligen Medizin üblich.

[Autorin: Monika Hillemacher]

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5.18 des UniReport erschienen. PDF-Download »

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