Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende,
„postfaktisch“ ist das Wort des Jahres 2016. Gemeint ist damit eine Haltung, die die Geltung belegbarer Fakten und Argumente schlichtweg bestreitet. Im zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf in den USA haben sogenannte „Fake-News“ – also frei erfundene Nachrichten – eine wahlentscheidende Rolle gespielt. An der Goethe-Universität wie auch an allen anderen Wissenschaftsinstitutionen kann uns diese Entwicklung nicht gleichgültig sein. Der „Wahrheitsanspruch“ von Wissenschaft basiert auf nachprüfbaren Ergebnissen oder nachvollziehbaren Argumenten. Immer mehr Menschen – auch in Deutschland – scheinen jedoch nicht mehr bereit zu sein, das bessere Argument, eine belegbare Tatsache anzuerkennen. Stattdessen folgen sie immer häufiger Verschwörungstheorien, die über die „sozialen“ Medien verbreitet werden und verbinden sich mit anderen, die der gleichen Verschwörungstheorie folgen. Schon wurde aus der rechtspopulistischen Ecke der Versuch unternommen, mit einer gezielten Falschmeldung auf die Gremienwahlen unserer Universität Einfluss zu nehmen – ein kleiner Vorgeschmack darauf, was uns im Großen auch beim Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr drohen könnte?
Als Universität haben wir hier in mehrfacher Hinsicht eine besondere Verantwortung. Die „Kritische Theorie“, für die die Goethe-Universität aus Sicht vieler steht, hinterfragte nicht nur vordergründige Gewissheiten und gesellschaftspolitische Schönfärberei, sondern auch den dahinter stehenden, oft verborgenen Macht- und Herrschaftsanspruch. Was lässt sich heute daraus lernen? Wem nützt eigentlich die Verwirrung, die Fake-News stiften? Wem nützt die täglich im Netz stattfindende Hetze gegen Menschen – aber auch gegen die Demokratie und ihre Institutionen? Wer profitiert davon, dass Menschen diskriminiert werden? In der wechselvollen Geschichte und Gegenwart unserer eigenen Universität finden wir auf solche Fragen – im Guten wie im Schlechten – immer auch Ansätze zu Antworten. Wir sollten sie noch intensiver suchen und andere einladen, an dieser Suche teilzunehmen.
Besonders aber sollten wir als Universitätsgemeinschaft vertrauensvoll und tolerant miteinander umgehen, andere und ihre Argumente respektieren, selbst wenn sie nicht in unser Weltbild zu passen scheinen. Die Universität ist der Ort, an dem ständig um das bessere Argument gerungen wird. Und genau an diesem Punkt sind wir auch verletzbar. Der offene Diskurs ist nur möglich, wenn zwischen vielen Menschen ein Grundvertrauen besteht. An diesem Vertrauen müssen wir arbeiten und immer wieder dafür werben.
Gute Wissenschaft funktioniert nur mit offenem Visier. Was wir hier – im gar nicht so Kleinen – vorleben, hat auch Auswirkungen auf die Gesellschaft, in deren Mitte wir als Universität stehen. Darum sind unsere im zu Ende gehenden Jahr begonnenen Third Mission-Aktivitäten nicht nur ein Lippenbekenntnis. Die Goethe-Universität versteht sich als Uni, die gesellschaftliche Entwicklungen um sie herum nicht kalt lassen, und die sich daher – mit den Mitteln und Möglichkeiten der Wissenschaft – einmischt. Eine solche Lotsen-Rolle wird angesichts der aktuellen Zuspitzungen im Meinungsdschungel immer wichtiger. Wie wir einem solchen Anspruch gerecht werden können, werden wir zu diskutieren haben. Dazu lade ich Sie schon jetzt herzlich ein.
Ich danke Ihnen auch im Namen des Präsidiums für den unermüdlichen Einsatz und die hervorragende Arbeit, die unsere Universität prägen, und den Studierenden für ihr Vertrauen, das sie der Goethe-Universität als Bildungsinstitution entgegenbringen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien frohe Festtage und einen guten Start in ein hoffentlich friedvolles Jahr 2017!
Birgitta Wolff
Universitätspräsidentin