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Gedächtnis der Literatur

Das Literaturarchiv der Goethe-Universität stärkt die Forschung

Manuskripte, Reden, Briefwechsel, persönliche Preziosen: Das Literaturarchiv beherbergt literarische Vor- und Nachlässe von Autoren wie Eva Demski, Walter Boehlich und F. K. Waechter sowie von Verlagen wie dem Verlag der Autoren, Schöffling & Co. oder dem Eichborn Verlag. Eingebettet in das Universitätsarchiv der Goethe-Universität ist es in Kooperation mit dem Fachbereich Neuere Philologien ein Ort, der sich unter der Leitung von Dr. h.c. Wolfgang Schopf zu einem vitalen Zentrum der Forschung und Lehre entwickelt hat. Hier wird literarisches Erbe studiert und wissenschaftlich erschlossen, aber auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Studierte das »klassische Frankfurter Gedeck« aus Germanistik, Politologie, Pädagogik, Philosophie, Soziologie: Dr. h.c. Wolfgang Schopf, Leiter des Literaturarchivs der Goethe-Universität. Foto: Heike Jüngst

Originalschriften aus der Vergangenheit für die Zukunft bewahren – im Zeitalter der Digitalisierung, Informationsflut und Fake News wirkt ein Literaturarchiv nahezu anachronistisch. Und erhält gerade deshalb eine besondere Bedeutung: Es stellt das literarische Gedächtnis und Erinnerungen an Vergangenes auf eine historisch stabile und textsichere Basis. Für Wolfgang Schopf ist Literatur mehr noch eine Quelle der Erkenntnis und Inspiration, die es zu bewahren und zu feiern gilt. »Ich hatte das Glück, meine große Liebe zu Literatur zum Beruf machen zu können.« Geht es um Literatur, wirkt Schopf »beseelt und besessen« (Zitat Claus-Jürgen Göpfert, Frankfurter Rundschau) zugleich. Mit seinem untrüglichen Gespür für literarische Kostbarkeiten, begleitet von wissenschaftlicher Leidenschaft und der Akribie eines Archivars, verhalf der studierte Germanist dem Literaturarchiv der Goethe-Universität zu bundesweitem Renommee. Schopf leitet das ideengeschichtliche Kleinod seit 2010. Und stärkt seither die Literaturforschung.

Vermittlungsbegabter Kurator

Ein Besuch des Literaturarchivs offenbart die ganze Entdeckerlust von Wolfgang Schopf: Akten und Archivkartons, Bücher und Bilder, Sessel und Sofas, Texte und persönliche Gegenstände erzählen hier die Geschichte ihrer Vorbesitzer. Nachlässe von Lektoren und Autoren wie Walter Boehlich, Horst Bingel oder des Theaterautors Wolfgang Deichsel stehen neben der Bibliothek von Peter Kurzek, dem Archiv des Verlags der Autoren, des Schöffling Verlages, von Stroemfeld oder der Schriftstellerin Eva Demski, dazu Manuskripte des Literaturnobelpreisträgers Dario Fo oder alle Akten und Texte der Frankfurter Poetikvorlesungen seit Beginn 1959 und vieles mehr. »Spannend sind nicht nur die Texte allein«, sagt Wolfgang Schopf, »sondern auch die Bedingungen, unter denen sie entstanden sind.« Strahlend zeigt er deshalb exemplarisch den Wetzstein des Zeichners F. K. Waechter hervor, deutet auf den schwarzen Lederlesesessel des Literarturkritikers Marcel Reich-Ranicki. »Ich möchte Interessierten den Zugang zu Literatur über die Gegenstände und Dinge ermöglichen, über die in den Texten gesprochen wird.« Schopf weiß sich mit diesem didaktischen Schachzug in guter Gesellschaft: Es ist heute gängige Praxis aller renommierten Literaturarchive, über unveröffentlichtes Material, Korrespondenzen und Tagebücher hinaus auch Einrichtungsgegenstände und Gebrauchsgüter des schriftstellerischen Alltags zugänglich zu machen – Werkentwürfe, beiläufige Skizzen und nebenher Notiertes sowieso. Die enge Verbindung von alltäglichem Leben und künstlerischem Werk eröffnet Forschenden und Studierenden neue Perspektiven, findet Wolfgang Schopf. Und nebenbei stärkt der Besitz derlei persönlichen Guts auch das Renommee des Literaturarchivs.

Lesesaal des Universitätsarchivs: Lebendiger Raum des intellektuellen Austauschs und der Inspiration für zukünftige Generationen von Literaturwissenschaftlern und –liebhabern. Foto: Uwe Dettmar

Archivarisches Lebensprojekt

Rückblick: Im Jahr 2000 wandte sich der Frankfurter Suhrkamp Verlag an das Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Goethe-Universität. Helene Ritzerfeld, die engste Vertraute des Verlagsgründers Peter Suhrkamp war gestorben. Es galt, ihre Ablage zu sichten und aufzuarbeiten – gesammelte Dokumente und Korrespondenzen mit Autoren wie beispielsweise Hermann Hesse oder Bertolt Brecht. Die Wahl fiel auf einen Doktoranden der Neuen deutschen Literatur: Wolfgang Schopf. Er hatte schon damals den Ruf eines archivarischen Goldgräbers.

Literaturgeschichtliche Perlen

Was er vorfand, waren verwinkelte Kellergänge mit Kisten, Truhen, Schränke, alle vollgestopft mit Briefen, Zeitungsausschnitten, Rezensionen und Manuskripten. »Es war einfach unglaublich «, sagt Wolfgang Schopf. »In jeder verstaubten Kiste, die ich öffnete, entdeckte ich neue Schätze.« Eine Erstausgabe von Thomas Manns »Doktor Faustus « mit einer Widmung für Suhrkamp. Oder das Ur-Manuskript von »Stiller« von Max Frisch. Zwei Jahre lang tauchte er ab. Als klar wurde, dass diese Aufgabe noch umfangreicher war als ursprünglich angenommen, gründeten Verlag und Universität 2002 gemeinsam das Archiv der Peter Suhrkamp Stiftung an der Goethe-Universität. Es war ein großer Gewinn auch für die Forschung. Die Bestände der Verlage Suhrkamp und Insel wurden der Literaturwissenschaft zugänglich gemacht: erschlossen, editiert, wissenschaftlich bearbeitet und daraus publiziert. Für Schopf persönlich entwickelte sich die Aufgabe zu einem Lebensprojekt.

»Kulturgestützte Aussenrepräsentanz Der Universität«

Die Begeisterung über die Fundstücke von damals ist Wolfgang Schopf auch noch heute anzumerken. Fotos, Dokumente, Objekte: Der umtriebige Literaturwissenschaftler liebt sie alle. Als 2009 der Suhrkamp Verlag nach Berlin umzieht und den Bestand an das Deutsche Literaturarchiv Marbach verkauft, ist das für Wolfgang Schopf ein herber Schlag, sein »Lebensprojekt« schien nach einem Jahrzehnt zu vergehen. Aber das Universitäts-Präsidium entschied, ein eigenes Literaturarchiv zu halten und weiter aufzubauen. Auch dank der Gründungsstifterin Eva Demski und der Autorenstiftung Frankfurt liegt seither die Aufgabe von Wolfgang Schopf in der »archivarischen Bergung und wissenschaftlichen Aufarbeitung des zeitgenössischen literarischen Erbes Frankfurts und dessen Vermittlung gegenüber der Stadtgesellschaft«.

Neue Formate Der Literaturvermittlung

Das trockene Verwaltungsdeutsch täuscht allerdings über die wahre Bandbreite seiner schöpferischen Leistung hinweg. Der Leiter des Literaturarchivs bringt seine Quellen – er nennt sie »physische Überlieferung« – zum Sprechen, in Editionen, Ausstellungen und Lesungen. Das Format der Hauslesung wird über die Jahre zu einem Herzstück seiner Arbeit. Mit großem Erfolg. Bis zu 120 Gäste finden den Weg zu den Veranstaltungen. Mit der Erfindungskraft eines Kulturmanagers etablierte er das Literaturarchiv zu einer festen Größe im städtischen Kulturbetrieb Frankfurts. »Wir hatten von Anfang an nach Wegen gesucht, unsere Fundstücke einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die über das akademische Fachpublikum herausgeht«, sagt Schopf. So kooperiert er mit »Frankfurt liest ein Buch« und konzipiert Ausstellungen und Lesungen passend zum jeweiligen Thema. Mehr als 30 Ausstellungen hat er allein im Restaurant »Margarete« unter dem Motto »Fenster zur Stadt« kuratiert, darunter im letzten Jahrzehnt die Begleitausstellungen zu den Frankfurter Poetikvorlesungen. Schopfs große Begabung ist sein Vermittlungstalent. Und sein unbedingter Wille, sich dem schleichenden Bedeutungsverlust der Literatur im Informationszeitalter entgegenzustemmen. (hjü)

Wolfgang Schopf betreut im Literaturarchiv der Goethe-Universität (Universitätsarchiv & Neuere Philologien) derzeit ca. 40 Bestände: zu Autorinnen und Autoren, Verlagen und der Vermittlung von Literatur in die Wissenschaft und das Kulturleben. Er kuratierte bislang ca. 60 Ausstellungen, dramatisierte die Quellen im Format »Hauslesung« und legte ein Dutzend Editionen vor (darunter Briefausgaben von Theodor W. Adorno, Wolfgang Koeppen, Siegfried Kracauer, Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld). Zuletzt erschienen aus den Beständen des Archivs Fundus. Das Buch vom Verlag der Autoren 1969–2019 und Walter Boehlich, Briefe 1944–2000. Mehr unter: www.archiv.uni-frankfurt.de

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