Im Gespräch mit … Prof. Henning Blume, Pharmakologe, Unternehmer und Stifter

Kaum ein anderer deutscher Pharmakologe hat die Qualität von Arzneimitteln so geprägt wie Prof. Dr. Dr. h.c. Henning Blume. Vom Frankfurter Pharmaziestudenten über die Leitung des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker bis zur Gründung der SocraTec R&D und schließlich der Frankfurt Foundation Quality of Medicines zieht sich ein roter Faden durch sein Lebenswerk: die Verantwortung für die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten. Im Gespräch mit der Goethe-Universität spricht Blume über Mut zum Risiko, wissenschaftliche Unabhängigkeit, den Wert junger Ideen und die gemeinsame Stiftung mit seiner Frau Dr. Dagmar Walluf-Blume, die heute international Maßstäbe für Arzneimittelqualität setzt.

Prof. Dr. Dr. h.c. Henning Blume; Foto: Heike Jüngst

Herr Professor Blume, Sie haben an der Goethe-Universität Pharmazie studiert, dort promoviert und habilitiert. Was hat Sie damals an diesem Fach fasziniert und was hat die Universität Ihnen mitgegeben?

Ich wollte ursprünglich Medizin studieren. Aber nach dem Tod meines Vaters musste ich finanziell auf eigenen Beinen stehen und Pharmazie bot diese Möglichkeit. Ich konnte in Apotheken arbeiten und mein Studium selbst finanzieren. An der Goethe-Universität habe ich dann gelernt, was Wissenschaft im besten Sinne bedeutet: Neugier, Disziplin und Offenheit aber in den Naturwissenschaften auch harte Arbeit, sprich intensives Lernen von Fakten. Besonders geprägt hat mich die Arbeit in verschiedenen Instituten – Biochemie, Pharmakologie und pharmazeutische Chemie. Dort habe ich früh begonnen, mich mit der Frage zu beschäftigen, wie Arzneistoffe im Körper umgesetzt werden, also mit dem Arzneistoffmetabolismus. Das war damals Neuland in der Pharmazie.

Ihr wissenschaftlicher Weg führte Sie dann an das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL). Was war dort Ihr wichtigster Impuls?

Das war 1983. Kurz darauf fiel das Patent für das Antidiabetikum Euglucon®, seinerzeit das umsatzstärkste Präparat in Deutschland überhaupt. Binnen weniger Wochen kamen 35 Generika auf den Markt. Wir haben sie alle untersucht, ihre Qualität verglichen und festgestellt, dass sie keineswegs alle gleichwertig waren. Das war der Beginn der Bioäquivalenzforschung in Deutschland. Unsere Studien führten dazu, dass 1988 die Bioäquivalenz gesetzlich zum Zulassungskriterium wurde. Damit wurde erstmals verlangt, dass für Generika nachgewiesen werden musste, dass sie wirklich so wirken wie das Original – ein großer Fortschritt für die Patientensicherheit. Also, die Zeit im ZL war für mich der Schritt in die Welt der Biopharmazie, die unser Team entscheidend prägen sollte.

Sie haben damit einen EU-weiten Standard geschaffen, der bis heute gilt. Aber Sie sagen, das Thema sei noch nicht abgeschlossen. Warum?

Weil die klinischen Studien in der Zulassung an einem Prototyp durchgeführt werden, aber dadurch noch nicht sichergestellt ist, dass alle späteren Produktionschargen sich identisch verhalten. Produkte können sich während ihres Lebenszyklus verändern. Laboruntersuchungen zur Chargenfreigabe sagen bisweilen zu wenig über das Verhalten im Körper aus. Das ist nach wie vor oft ein Problem – und genau hier setzt unsere Stiftung an.

1997 gaben Sie Ihre Leitungsposition im ZL auf und gründeten das Unternehmen SocraTec R&D – ohne Businessplan, aber voller Ideen. Warum dieser Schritt?

Ich wollte noch einmal etwas Eigenes schaffen. Nach 15 unglaublich spannenden und erfolgreichen Jahren im Zentrallabor hatte ich das Gefühl, an diesen Punkt gekommen zu sein und dass es nun darum ginge, die Visionen zur Optimierung der Arzneimittelqualität weiter auszubauen. Also habe ich mit einer Kollegin die Herausforderung angenommen, ganz klein begonnen, zu zweit mit einem Faxgerät und einer großen Portion Enthusiasmus. Kein fremdes Kapital, aber ein klares Ziel: Qualität in der Arzneimittelforschung. Diese Freiheit, Dinge neu zu denken, war unbezahlbar. Innerhalb von 20 Jahren ist SocraTec R&D dann zu einem Unternehmen mit mehr als 130 Mitarbeitern geworden.

Würden Sie jungen Wissenschaftlern raten, diesen Weg zu gehen – von der Forschung ins Unternehmertum?

Ja, unbedingt, dies ist zumindest eine aufregende Alternative mit interessanter Perspektive. Aber man muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Wer eine Idee hat, sollte sie umsetzen, solange er jung ist. Man darf auch einmal scheitern, das gehört vielleicht sogar dazu. In Deutschland sehen wir das oft noch zu kritisch. Ich sage: Erfahrung ist wichtig, aber sie darf nicht zur Bremse werden. Wer zu lange wartet, wird zum Bedenkenträger.

2019 gründeten Sie gemeinsam mit Ihrer Frau, Dr. Dagmar Walluf-Blume, die Frankfurt Foundation Quality of Medicines. Wie entstand diese Idee?

Das war ein Prozess, kein spontaner Entschluss. Meine Frau und ich haben unser Berufsleben der Pharmazie gewidmet, sie in der Industrie, ich in der Forschung und dem Engagement für eine Verbesserung der Markttransparenz. Der Valsartan-Fall 2018 war für uns dann der spezielle Auslöser. Millionen Packungen dieses Blutdruckmittels mussten wegen unerwarteter Verunreinigungen vom Markt zurückgerufen werden. Das war für uns ein weiterer Indikator: Es reicht nicht, allein auf die behördliche Überwachung zu setzen. Wir müssen selbst etwas tun. Wir sahen, dass das Zulassungssystem an Grenzen stößt. Arzneimittel werden am Prototyp geprüft und als »Modell« zugelassen. Aber wie wird garantiert, dass später jede Produktionscharge diesem Modell entspricht? Diese Lücke wollten wir schließen, indem wir mit unserer Stiftung Forschungsprojekte auf diesem Gebiet initiieren, zur Aufklärung beitragen und junge wissenschaftliche Talente fördern.

Welche Rolle spielt Ihre Frau in dieser Stiftung?

Eine ganz entscheidende. Sie hat die Idee mit entwickelt, ist wie ich Stifterin und Mitglied des Stiftungsvorstands. Nach Jahrzehnten in der pharmazeutischen Industrie kennt sie die internationalen Produktionsketten und die Marktpositionierung der Produkte aus der Praxis. Ihre Perspektive ergänzt meine wissenschaftliche Sicht ideal. Sie hat mich außerdem beim Aufbau unserer internationalen Kooperationen unterstützt – etwa mit der EUFEPS und der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. Und sie kümmert sich intensiv um unsere Stiftungsgremien, den Vorstand und den wissenschaftlichen Beirat. Ohne sie gäbe es viele unserer Projekte gar nicht. Unsere Stiftung ist also kein Ruhestandsprojekt, sondern aktive Teamarbeit – und sie ist das Ergebnis einer gemeinsamen Überzeugung: Qualität ist kein Nebenprodukt, sie ist die Basis jeder Therapie.

Was fördert die Frankfurt Foundation konkret?

Wir unterstützen experimentelle Forschungsarbeitenmit dem Ziel, die Arzneimittelqualitätzu verbessern, von Stipendienfür Dissertationen über dieEntwicklung analytischer Verfahren zurEntdeckung von Arzneimittelfälschungenoder unerwarteter Verunreinigungen(wie bei Valsartan) bis hin zu klinischorientierten Projekten. Es werden immerneue Wirkstoffgruppen erschlossen, fürdie Qualitätsstandards entwickelt werdenmüssen. So unterstützen wir Projekte imBereich Nanomedicines und zur personalisiertenPhagentherapie gegen antibiotikaresistenteKeime. Wir fördern auchArbeiten, die sich mit Qualitätsproblemenin Entwicklungsländern befassen – dort,wo gefälschte oder minderwertige Präparatedie größte Gefahr sind.

Und der neue Preis der Rhein-Main-Universitäten (RMU) für Nachwuchsforscher – was steckt hinter dieser Förderung von Ihnen?

Diemeisten Preise zeichnen in der VergangenheitGeleistetes aus. Wir wollten einenneuen Weg gehen und ein in die Zukunftgerichtetes Forschungsvorhaben fördern.Der RMU Award for Pharmaceutical Researchand Innovative Medical Therapiesrichtet sich an junge Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler, die ein originellesForschungskonzept entwickelt haben undnicht ein fertiges Projekt einreichen. Erist mit 10.000 Euro dotiert und soll Mutmachen, eigene Ideen umzusetzen. DieAllianz der Rhein-Main-Universitätenbietet dafür ideale Bedingungen: Sie verbindetForschung, Klinik und Gründungsförderung– ein Umfeld, das ich mir 1997gewünscht hätte, als ich den Schritt indie Selbstständigkeit wagte.

Wie kann Forschung verhindern, dass sich Fälle wie der Valsartan-Skandal wiederholen?

Indem sie die richtigen Fragen stellt – undnatürlich passende Antworten findet. Wirmüssen Verfahren entwickeln, die nichtnur bestätigen, was wir schon wissen,sondern entdecken, was wir nicht als naheliegenderwarten. Qualitätskontrollemuss prädiktiv werden – vorausschauend,nicht nur prüfend basierend auf den Erfahrungender Vergangenheit. Genau dasfördern wir mit unserer Stiftung.

Wenn Sie an Ihre Zeit an der Goethe-Universität zurückdenken – was verbinden Sie mit Ihrer Alma Mater?

Dankbarkeit. Dort habeich gelernt, wie man wissenschaftlichdenkt und wie wichtig kritischer Dialogist. Ich wünsche mir, dass die Goethe-Universitätweiterhin jungen Menschen beibringt,Fragen zu stellen, Verantwortungzu übernehmen – und mutig zu bleiben.Wissenschaft ohne Haltung ist wertlos.

Das Interview führte Heike Jüngst

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