Sternenforscher und Schwerkraftversteher

200 Jahre Physikalischer Verein

Am Anfang war er so etwas wie eine selbstverwaltete Volkshochschule:
Der Physikalische Verein wurde 1824 gegründet, damit sich interessierte Bürger treffen und informieren konnten. Über Physik, über Astronomie, über Chemie. Frankfurt nahm damals als Freie Stadt eine Sonderstellung unter den deutschen Großstädten ein. Seit dem 18. Jahrhundert gibt es hier ein wohlhabendes, selbstbestimmtes Bürgertum, das seine Kultur und Wissenschaft durch Stiftungen weitgehend eigenständig finanziert – das passende Umfeld für den Physikalischen Verein. 200 Jahre lang hat die Institution zahlreiche Entdeckungen nicht nur begleitet, sondern z. T. selbst aktiv vorangetrieben. Heute sind viele ehemalige Aufgaben des umtriebigen Vereins Teil des Forschungs- und Lehrbetriebs der Goethe-Universität. Der Physikalische Verein besinnt sich daher wieder auf sein ursprüngliches Selbstverständnis: Wissen an Interessierte zu vermitteln, Bildung und Forschung zu fördern. Ein Schlaglicht von Prof. Dr. Panagiotis Kitmeridis-Bondas.

Ort einer »anderen Wirklichkeit«: Auch heute begeistert der Blick durch das Teleskop der historischen Sternwarte in Frankfurt-Bockenheim. Foto:

Mit seiner breiten Zielgruppe und seinem seit 200 Jahren unangefochtenen Bildungsangebot für alle Frankfurter ist der Physikalische Verein bis heute ein Bindeglied zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Im Laufe seiner wechselvollen Geschichte ist es dem Verein gelungen, mehrere Bildungsziele miteinander zu verbinden. Einerseits wurde er immer mehr zu einer wissenschaftlichen Einrichtung, in der Forschung betrieben wurde. Er blieb aber auch immer Bindeglied zwischen Gesellschaft und Wissenschaft und erfüllte zu jeder Zeit den Auftrag der Allgemeinbildung. Insbesondere die populärwissenschaftliche Arbeit des Vereins war entscheidend für seinen anhaltenden Erfolg. Von Anfang an war es das Ziel des Vereins, die Frankfurter Bürgerinnen und Bürger für die Naturwissenschaften zu begeistern. Und damit einen Gegenpol zur vorherrschenden humanistischen Bildung an den Gymnasien zu schaffen. So bot der Physikalische Verein ab 1836 auch regelmäßig Vorträge für Schüler der Frankfurter Gymnasien an. Dabei wurde vor allem der praktische Nutzen der Physik vermittelt, um das Interesse der Schüler zu wecken. Auch für die Söhne und sogar Töchter [sic!] der Mitglieder gab es seit Vereinsgründung 1824 Vorlesungen.

Erfolgsrezept: Wissenschaft verständlich erklären

Das Besondere am Physikalischen Verein war, dass er von Anfang an Forschung und Popularisierung miteinander verband. Mit seiner Arbeit förderte er das Interesse an Wissenschaft und Technik und machte sie für die Stadtgesellschaft nutzbar. Die populärwissenschaftliche Arbeit war nicht nur den Mitgliedern vorbehalten, sondern stand allen Interessierten offen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Physikalische Verein Ideengeber für die Internationale Elektrotechnische Ausstellung 1899 war und die Stadtväter 1909 davon überzeugen konnte, die Internationale Luftschifffahrt-Ausstellung nach Frankfurt zu holen.

Von Telefonen, Teleskopen und Zündhölzern

Seit seiner Gründung 1824 ist der Physikalische Verein zu Frankfurt mit seiner Ausrichtung auf Physik und Chemie einmalig in Deutschland. Der Verein ist den Naturwissenschaften in den letzten 200 Jahren ununterbrochen treu geblieben. Von Anfang an verband er wissenschaftliche Arbeit, zu deren Höhepunkten das Stern-Gerlach-Experiment oder der Telefonapparat von Philipp Reis zählen, mit populärwissenschaftlichen Angeboten. Für die Frankfurter Wissenschaftsgeschichte spielt der Physikalische Verein vor allem deshalb eine wichtige Rolle, weil er mehrere Institute in die Gründung der Universität Frankfurt 1914 einbrachte.

Der Physikalische Verein: Bindeglied zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

Der Physikalische Verein hat es immer wieder verstanden, auf zeitgenössische Entwicklungen zu reagieren und sich den Bedürfnissen der Gesellschaft und der wissenschaftlichen Institutionalisierung anzupassen. So erstellte der Verein lange Zeit Gutachten für die Stadt Frankfurt, lange bevor ein staatliches technisches Prüfamt eingerichtet wurde. In der »Oberpostamtszeitung « wurden über mehrere Jahrzehnte meteorologische Daten als Wetterberichte veröffentlicht. Auch astronomische Beobachtungen gehören seit der Gründung des Vereins zur Tradition.

Plakatwerbung für Fesselballonflüge. Passagierfahrten wurden erstmalig während der Ausstellung angeboten.

In jeder historischen Phase fand der Verein Antworten, richtete sich neu aus, vertiefte und erweiterte sein Angebot. Im Zuge der Professionalisierung wurden Lehrbeauftragte eingestellt. Er erkannte die Notwendigkeit, neue Institute und Arbeitsgruppen zu gründen. Und neue wissenschaftliche Erkenntnisse wie die Entdeckung der Röntgenstrahlen wurden sofort nutzbar gemacht, in diesem Fall durch die Gründung eines »Röntgenlaboratoriums « in der physikalischen Abteilung des Physikalischen Vereins, das Röntgenbilder für Ärzte anfertigte. Die Ergebnisse wurden populärwissenschaftlich aufbereitet und verbreitet. Aber auch baulich wusste der Verein dem wachsenden Raumbedarf gerecht zu werden und errichtete schließlich einen Neubau mit modernen Laboratorien für Physik, Chemie, Physikalische Chemie und Metallurgie. Im Turm befand sich die Sternwarte. Unter der Kuppel fand ein modernes achtzölliges Refraktor-Teleskop seinen Platz. Noch heute steigen jeden Freitagabend große und kleine Besucher die Wendeltreppe hinauf, um den Nachthimmel zu studieren.

Eine Keimzelle der Universität Frankfurt

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, insbesondere ab 1871, platzte der Verein förmlich aus allen Nähten: Neue Institute entstanden und die Mitgliederzahlen stiegen beträchtlich. Dazu trug zweifellos auch die Eröffnung des ersten eigenen Vereinsgebäudes im Jahre 1887 in der Stiftstraße im Zentrum Frankfurts bei. Der große Hörsaal hatte mit 200 Plätzen eine deutlich höhere Kapazität. Die moderne räumliche und technische Ausstattung verbesserte zudem die Arbeitsbedingungen. (Die Finanzierung erfolgte fast ausschließlich durch Spenden und belastete die Vereinskasse in keiner Weise.) Das Angebot umfasste nun ein sehr breites Spektrum wissenschaftlicher Arbeiten und populärwissenschaftlicher Vorträge. Der Verein verfügte über eine »Elektrotechnische Abteilung«, ein »Röntgen-Institut«, ein »Institut für Meteorologie und Geophysik « und auch über eine »Astronomische Sektion«. Im Jahr 1891 fand die »Internationale Elektrotechnische Ausstellung« statt, die weiteres Interesse an der Arbeit des Vereins weckte. Erwähnenswert ist auch die Gründung der »Elektrotechnischen Lehranstalt« (1889), die als erste ihrer Art in Deutschland bis in die 1970er Jahre eine technische Berufsausbildung ermöglichte.

Der Verein war eine Art naturwissenschaftliche Fakultät, als es in Frankfurt noch keine eigenständige Universität gab. Von großer Tragweite war seine Bereitschaft, 1914 mehrere wichtige Institute auszugliedern und der neu gegründeten Universität zur Verfügung zu stellen. Die Mitglieder gingen bewusst das Risiko ein, dass der Verein durch den Verlust der Institute an Bedeutung verlieren würde. Mit der Übergabe mehrerer Institute (Physik, Chemie, Astronomie, Elektrotechnik, Meteorologie, Sternwarte), Laboratorien und Hörsäle an die neu gegründete Universität (1914) erreichte der Physikalische Verein den Höhepunkt seines Bildungsauftrages für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Frankfurt. Wenn auch verkleinert, blieb der Verein doch ein fester und wichtiger Bestandteil der naturwissenschaftlichen Bildung. Noch vor der Gründung der Universität wurden 1902 auf dem Großen Feldberg ein Aussichtsturm und 1908 eine Beobachtungsstation als Außenstelle des Vereins errichtet. Trotz aller Veränderungen besteht der Physikalische Verein Frankfurt seit nunmehr 200 Jahren und ist heute eine moderne und zukunftsorientierte Institution wie bei seiner Gründung 1824. Zwischen dem Physikalischen Verein und der Goethe-Universität bestehen zahlreiche Kooperationen.

Den ausführlichen Beitrag von Prof. Dr. Panagiotis Kitmeridis-Bondas finden Sie in der Festschrift »Stillt Wissensdurst – 200 Jahre Physikalischer Verein«. Ein Exemplar können Sie gewinnen, wenn Sie die richtige Antwort auf folgende Frage haben: Von wem stammt die sinngemäße Anregung »Man möge sich in Frankfurt mit der Physik beschäftigen«? Ihre Antwort unter dem Stichwort »Physik« schicken Sie bitte an: alumni@redaktion.de

Am 24. Oktober 2024 feiert der Physikalische Verein seinen 200-jährigen Geburtstag. Bis dahin erwarten Sie zusätzlich zu den regulären Vorträgen, Seminaren, astronomischen Beobachtungen und Science Slams viele andere Highlights! https://www.physikalischer-verein.de/ aktuelles/jubilaeum-200-jahre.html

Relevante Artikel

Der Kopf kommt ins Herz

Neubau der Universitätsklinik schafft Synergien Das Universitätsklinikum Frankfurt hat den zweiten Bauabschnitt seines umfangreichen Erweiterungsprojekts abgeschlossen. Auf einer Fläche von

»Frankfurt ist meine Heimat«

Nachruf auf Dr. Rolf-E. Breuer Die Goethe-Universität trauert um einen ihrer herausragenden Unterstützer und eine ihrer prägendsten Persönlichkeiten – Dr.

Lemuren-Laute und Giraffen-Gewohnheiten

Tierische Verhaltensforschung mit Software und KI Die faszinierende Welt der Zootierbiologie profi tiert zunehmend von innovativen Technologien wie der Künstlichen

Steht, treibt aus und produziert Sauerstoff

Goethe-Universität wird grüner durch Patenbäume auf dem Hochschulgelände Die Goethe-Universität setzt auf eine grünere Zukunft! Mit Baumpatenschaften auf dem Hochschulgelände

Öffentliche Veranstaltungen

You cannot copy content of this page