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Streit und Stabilität

Das Clusterprojekt ConTrust auf der Suche nach Vertrauen im Konflikt

Im ehemaligen griechischen Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos lebten zeitweilig 20.000 Menschen (März 2020); es war Europas größtes Flüchtlingslager. Wegen der Überfüllung herrschten jahrelang katastrophale Verhältnisse. Moria wurde zum Sinnbild für das Versagen der EU im Umgang mit Migration.

Kriege, Klimakrise, Migration, Antisemitismus und die Macht der sozialen Medien: Wie wird der Krieg in der Ukraine enden und wie geht es im Nahen Osten weiter? Wie gehen wir mit den Folgen des Klimawandels um, der vor allem Regionen und Gesellschaften trifft, die kaum zur ökologischen Krise beigetragen haben? Ist Deutschland ein Einwanderungsland oder nicht? Wie viele Flüchtlinge und Migranten sollen aufgenommen werden, wer soll aufgenommen werden und wie sollen sie integriert werden? Wie beeinflussen soziale Medien politische Themen und welche Rolle spielen Influencer bei der Meinungsbildung?

Es sind große Themen, die Gesellschaften heute bewegen. Themen, die die Demokratie auf die Probe stellen. Antworten auf die Frage, wie in Auseinandersetzungen Vertrauen entstehen kann – trotz scheinbar unüberbrückbarer Differenzen –, suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen im Clusterprojekt Contrust.

Ohne sie geht es nicht: Streit und Konflikte strukturieren das demokratische Zusammenleben und ermöglichen gesellschaftlichen Fortschritt – wenn sie konstruktiv ausgehandelt werden. Doch wie müssen konstruktive Konflikte beschaffen sein? Wie können die Konfliktparteien sicher sein, dass der Streit nicht destruktiv wird? Sich an Regeln halten? Das Geheimnis heißt Vertrauen, so die Hypothese des Clusterprojekts ConTrust. Auch im härtesten Konflikt existieren Potenziale von Vertrauen, die aus Krisen heraushelfen können. Vertrauen sei die Voraussetzung dafür, dass Menschen sich auf andere einlassen, Vertrauen sei aber auch das Ergebnis von Konflikterfahrungen. Doch wie müssen solche konstruktiven Konflikte gestaltet und »gerahmt« werden, um Vertrauen zu ermöglichen?

Fake News und Desinformation in der globalen Politik

Bei ConTrust mit im Boot sind Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Sozialpsychologie und Politologie, Philosophie, Film- und Literaturwissenschaft und Informatik. Denn Krisen sind nicht linear kausal: In den letzten 20 Jahren geriet die Welt von der Finanzkrise in die Corona-Pandemie, in den Krieg gegen die Ukraine und befindet sich mit dem Klimawandel in einer globalen Dauerkrise.

Prof. Lisbeth Zimmermann,
Politikwissenschaftlerin Internationale
Institutionen und Friedensprozesse.

Vor diesem Hintergrund ist das Entstehen von Konflikten zunehmend wahrscheinlicher geworden – auf nationaler, aber eben auch auf internationaler Ebene. »Ich wollte immer schon in meiner Forschung verstehen, wie sich das System globalen Regierens über die Zeit verändert, anpasst oder resilient zeigt im Angesicht von Streit und Infragestellung«, erklärt Lisbeth Zimmermann. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Institutionen und Friedensprozesse an der Goethe-Universität und Private Investigator (PI) bei ConTrust. Wie können die zunehmenden Herausforderungen für internationale Organisationen eigentlich beforscht werden? »Wir versuchen zum einen, und das ist ein Trend der letzten zwei Dekaden, viel stärker als früher, quantitative Daten über globales Regieren zu sammeln: über Resolutionen, Wortmeldungen von Staaten, Berichte, Protokolle und vieles mehr. Große Mengen an schriftlichem Material können heute mithilfe neuer quantitativer Methoden viel besser ausgewertet werden.« Zum anderen, erklärt sie, werden auch ganz klassisch mit qualitativen Methoden Politikprozesse engmaschig verfolgt, beispielsweise durch teilnehmende Beobachtung bei Versammlungen und Verhandlungen. Aktuell untersucht Lisbeth Zimmermann in einem großen Projekt die transnationale radikale Rechte und ihren Einfluss auf internationale Organisationen.

Wann ist neues Wissen vertrauenswürdig?

Die Klimakrise steht für die ökologische, politische und gesellschaftliche Krise im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung.

Die Schnittstelle zum Clusterprojekt ConTrust ist die Frage, wann aus Streit und Konflikt ein produktives Moment entstehen kann – und damit auch neues Vertrauen. »Es geht in Contrust um Vertrauen auf ganz verschiedenen Ebenen: um politische Konflikte, um Konflikte über sozioökonomische Verteilung, auch um Konflikte um richtiges Wissen und Expertise. Der letztgenannte ist der Teilbereich, in den ich bei ConTrust eingebunden bin«, erzählt Zimmermann. Es geht dabei um epistemische Konflikte, das heißt Konflikte darum, wann neues Wissen vertrauenswürdig ist. »Das ist für mich ein hoch spannender Bereich, den ich noch stärker beforschen möchte. Denn internationale Organisationen sehen in Fake News und gezielten Desinformationen eines ihrer Hauptprobleme: Wenn ihr Expertenwissen zunehmend infrage gestellt wird, müssen sich Organisationen wie die OECD oder WHO überlegen, welche institutionellen Neuerungen sie durchführen müssen, um wieder als Autoritäten gesehen zu werden. Wie können sie sich zum Beispiel auf Social Media oder durch institutionelle Neuerungen präsentieren, um als bürgernah wahrgenommen zu werden?«

Unterschiedliche Wahrheiten, Gemeinsame Lösungen

Wie könnte der Ukraine-
Krieg enden? Was,
wenn Russland gewinnt?

Zimmermann sieht auch noch einen anderen möglichen Grund dafür, warum die Autorität und Expertise internationaler Organisationen in schwierigeres Fahrwasser geraten ist. »Heute verhandeln in diesen Organisationen immer seltener ausgebildete Diplomatinnen und Diplomaten, dafür immer häufiger Spezialistinnen und Spezialisten aus Ministerien oder Forschungsinstituten. Die Erwartung ist, dass in den internationalen Verhandlungen Leute agieren, die sich auskennen, und dass der politische Aspekt ihrer Arbeit damit zurücktritt. Das ist im Prinzip aber gar nicht so klar, denn wenn bei einer Verhandlung Teilnehmende mit sehr unterschiedlichen Expertisen aus verschiedenen Feldern aufeinandertreffen – welche Rolle spielt dann letztendlich das jeweilige Wissen? Oder anders gefragt: Wie unterschiedlich blicken Menschen mit verschiedenen ‚Wahrheiten‘ auf die Welt und ihre Konflikte? Wenn ein Klimaexperte, eine Klimaexpertin auf einen Wirtschaftsexperten, eine Wirtschaftsexpertin trifft, wie können da gemeinsames Wissen und gemeinsame Lösungen entstehen? Und aus der Perspektive von ConTrust gefragt: Wie kann daraus Vertrauen entstehen?«

Wenn die Wissenschaft hierauf Antworten findet, könnte das auch hilfreich sein für die großen Konflikte unserer Tage.

Dirk Frank, Heike Jüngst

Clusterprojekt Contrust

Vertrauen wird oftmals als Gegenbegriff zu dem des Konflikts verstanden. Die Forscher und Forscherinnen der Clusterinitiative »ConTrust: Vertrauen im Konflikt. Politisches Zusammenleben unter Bedingungen der Ungewissheit « gehen hingegen davon aus, dass sich in modernen Gesellschaften Vertrauen in Konflikten nicht nur bewähren muss und damit gefestigt werden kann, sondern unter bestimmten Bedingungen dort erst entsteht. Zugleich gibt es problematische Dynamiken, in denen Vertrauen in bestimmte Personen oder Parteien Konflikte schürt oder verhärtet. Für ConTrust ergibt sich aus dieser Beobachtung die Aufgabe, die Kontexte von Vertrauen und Konflikt zu beleuchten, um die Bedingungen eines gelungenen Austragens sozialer Konflikte zu bestimmen. Mehr Informationen hier.

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