Datenschätze heben und analysieren: Das SAFE-Forschungsdatenzentrum im Porträt

Aus hundertseitigen, oftmals verstaubten Büchern zieht er mittels computerlinguistischer Methoden hochspannende Datensätze: Prof. Dr. Alexander Hillert koordiniert als Professor für Finance und Data Science das SAFE-Forschungsdatenzentrum. Jungen Forscherinnen und Forschern eine fundierte Methoden- und Datenkompetenz zu vermitteln, ist ihm ein großes Anliegen.

Foto: Chaay_Tee/Shutterstock

Schon als Schüler war er von den Möglichkeiten eines Computers begeistert. In der Oberstufe konnte er im Fach Informatik bereits grundlegende Kenntnisse in der Programmierung erwerben. Damit war der Grundstein dafür gelegt, dass Alexander Hillert irgendwann in den Wirtschaftswissenschaften mit digitaler Technologie Neuland beschreiten konnte. Er sieht sich selbst als Autodidakt: als jemand, der sich über die theoretische Beschäftigung mit Computerlinguistik selbstständig ein Feld erschlossen hat, in dem es darum geht, Daten, die bislang dem Fach nicht zur Verfügung standen, zu erschließen. Und diese Kompetenz jungen Ökonominnen und Ökonomen zu vermitteln. Alexander Hillert studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und promovierte danach auch dort. Nach Abschluss der Promotion forschte er zunächst noch als Postdoc in der Mannheimer Finance Area. Über ein Forschungsprojekt am Research Center „SAFE – Sustainable Architecture for Finance in Europe“ war er bereits seit August 2016 im House of Finance eingebunden. Im Dezember 2016 übernahm er die House of Finance-Professur für Sustainable Asset Management, zum 1. Dezember 2021 hat er dann eine Professur für Finance und Data Science am heutigen Leibniz-Institut für Finanzmarkforschung SAFE angetreten; in dieser Position hat er zugleich auch die Programmdirektion des SAFE-Forschungsdatenzentrums übernommen.

Aus Bleiwüsten digitale Daten generieren

Hillert erläutert, welche Schritte notwendig sind, um aus Textdokumenten für Forschung relevante Daten zu extrahieren. „Wir möchten als Wissenschaftler beispielsweise die Aktienrückkäufe von Firmen analysieren; dann benötigen wir Informationen wie ‚Im Januar 2020 hat Google 5 Mio. Aktien zum Preis X zurückgekauft, im Februar 7 Mio. Aktien zum Preis Y‘… Einen Datenbankanbieter, der uns diese Infos liefern könnte, gibt es aber noch nicht. Die Angaben findet man in den Jahres- und Quartalsabschlüssen der Unternehmen; das sind mehrere hundertseitige Reports, wo dann in irgendeinem Abschnitt die notwendige Info auftaucht. Ich habe dafür einen Algorithmus, der diesen Abschnitt sucht, entwickelt. Dann können die relevanten Zahlen aus dem Dokument extrahiert und in die Datenbank, die wir für die Analyse nehmen, eingespeist werden.“

Eine zentrale Fragestellung seiner Forschung ist, wie Kapitalmarktteilnehmerinnen und -teilnehmer Informationen verarbeiten und interpretieren. In der Studie „Media Makes Momentum“ hat Hillert mit Kollegen über den Einfluss der medialen Berichterstattung auf die Dynamik von Aktienrenditeentwicklungen geforscht. Anfangs wurde untersucht, welche Aktien sich in den vergangenen Monaten gut und welche sich schlecht entwickelt haben. „Wesentlich sind zwei Effekte, auf die wir gestoßen sind: Eine hohe Anzahl an Medienartikeln führt einerseits dazu, dass die Aktien, die im Wert gestiegen sind, zukünftig noch stärker steigen; andererseits, dass Aktien, die im Wert gefallen sind, künftig noch stärker fallen. Zusätzlich verstärkt der jeweilige Inhalt des Artikels – eine positive oder negative Berichterstattung über das Unternehmen – diesen Effekt.“ Am deutlichsten zeigte sich dies im Sinne einer künftigen Renditeentwicklung bei sogenannten Gewinneraktien, die viel positive Berichterstattung erzielen; umgekehrt würden Verliereraktien, auf die viel und vor allem negative Berichterstattung fällt, besonders tief fallen. Das Interessante daran sei auch, so Hillert, dass diese Weiterentwicklung der Renditen ungefähr ein Jahr anhalte. Dann komme es zu einer langfristigen Renditeumkehr, sodass nach etwa drei Jahren die Gewinner- und Verliereraktien ungefähr am gleichen Punkt rauskämen. „Was wir demnach herausgefunden haben ist, dass Investoren zur Überreaktion neigen. Bei einem positiven Artikel über eine Aktie, die in den letzten Monaten gestiegen ist, könnte es zwar sein, dass diese kurzfristig ihren Wert noch erhöht, aber langfristig fährt man eher nicht gut damit.“ In den Wirtschaftswissenschaften, so erläutert Hillert, herrsche das Paradigma, dass sich die Informationen, die öffentlich zugänglich sind, wie zum Beispiel Zeitungsartikel oder Pressemeldungen, typischerweise sehr schnell in Aktienkursen widerspiegeln. „Wenn mich also als privater Investor so etwas erreicht, haben institutionelle Anleger wie Investmentfonds oder Hedgefonds längst schon reagiert. Damit wäre ich also zu spät dran. Insofern muss eine Handlungsempfehlung an die privaten Investoren lauten, bloß keine unüberlegte Investition auf Grundlage eines Zeitungsartikels zu tätigen.“

Bessere Datengrundlage für europäische Wirtschaftsforschung

Mit dem hauseigenen Forschungsdatenzentrum verfolgt SAFE unter anderem das Ziel, Finanzmarktforschung für Europa zu betreiben: es geht um eine langfristige Finanzmarktstabilität und -regulierung. „Eine Banken- und Finanzmarktkrise wie die von 2007/2008 sollte idealerweise nicht mehr passieren oder zumindest weniger wahrscheinlich werden“, betont Alexander Hillert. Der Großteil der Forschung, die sich mit Fragen der Regulierung beschäftigt, basiere auf US-amerikanischen Daten. Dort seien qualitativ gute und weit zurückreichende Daten verfügbar. Bislang, führt Hillert aus, habe man Daten für die USA analysiert, bestimmte Regulierungsformen bewertet und dann auf die EU bzw. auf Deutschland übertragen. „Das Problem daran ist, dass die Wirtschaftssysteme in den USA und Europa aber überhaupt nicht vergleichbar sind. In den USA gibt es eine viel stärkere Kapitalmarktorientierung und viel mehr börsennotierte Unternehmen. Die Unternehmen dort finanzieren sich eher über den Kapitalmarkt. In Europa und in Deutschland im Besonderen haben wir es eher mit einer bankenbasierten Wirtschaft zu tun; hier dominieren typische Mittelständler – es finden sich zwar große, aber oft nicht börsennotierte Unternehmen. Banken spielen hier eine viel wichtigere Rolle als Kapitalgeber und auch als Kontrollinstanz.“ Mit dem SAFE-Forschungsdatenzentrum, das Alexander Hillert im Rahmen seiner Professur koordiniert, soll eine äquivalent gute Datengrundlage für Europa geschaffen werden, um Politik und Regulierungsbehörden dahin gehend besser beraten zu können, wie eine gute Finanzmarktregulierung hier aussehen kann.

Ein sehr großes Digitalisierungsprojekt ist im Forschungsdatenzentrum gerade an den Start gegangen: Es soll eine Aktienmarkt- und Bilanzdatenbank, die von den Anfängen des Deutschen Reiches im Jahre 1871 bis heute reicht, aufgebaut werden. „Wir scannen beispielsweise alte Zeitungsartikel ein, die Börsenkurse enthalten, und werten diese Scans dann mithilfe von automatischer Texterkennung aus. Ebenso gehen wir mit den Handbüchern der Deutschen Aktiengesellschaften um: Das sind dicke Wälzer, in denen man unter anderem die Bilanzen aller deutschen Unternehmen nachlesen kann. Diese Bücher, die bislang für eine Datenanalyse nicht genutzt werden konnten, werden in digitale Texte umgewandelt. Aus diesen noch unstrukturierten Texten werden dann quantitative Zahlen wie Umsatz, Gewinn, Mitarbeiterzahlen etc. systematisch identifiziert und in eine Datenbank überführt. „Das ist sicherlich ein sehr lang angelegtes Projekt, aber wenn wir das realisiert haben, dann verfügen wir über eine Datenbank, die mit denen in den USA vergleichbar ist“, betont Hillert. Zudem stehe man dazu im Austausch mit anderen europäischen Forschungsinstitutionen, sodass es langfristig nicht nur eine Datenbank für Deutschland, sondern auch für ganz Europa geben soll.

Datenanalyse in der Lehre

Alexander Hillert sieht in der zunehmenden Bedeutung digitaler Technologien auch eine große Herausforderung für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Immer wichtiger werde es, Methodenkompetenzen zu entwickeln, um Daten zu analysieren und daraus Rückschlüsse für die ökonomische Entwicklung ziehen zu können. Hillert erwähnt in diesem Kontext seinen Masterkurs zum Thema „Behavioral Finance“; zwar stünde in diesem Kurs, der aufzeigt, wie man mit Aspekten der Psychologie und der Soziologie die klassische wirtschaftswissenschaftliche Theorie bereichern kann, die Datenanalyse eigentlich nicht im Fokus. Doch machen die Studierenden viele Experimente zum Thema Entscheidungsfindung, deren Ergebnisse im Laufe des Kurses mit den Ergebnissen der Originalstudien verglichen werden. „Das ist ein einfacher Schritt, Studierende an die Analyse von Daten heranzuführen; das hat zwar noch nicht die Größenordnung von Big Data, stellt aber immerhin schon einen statistischen Test dar, den man interpretieren muss. Das Spannende daran ist auch, dass man Wissenschaft mit dem eigenen Verhalten in Verbindung bringen kann; man erkennt, dass man selber mitunter auch irrationale, normativ falsche Entscheidung trifft“, erklärt Hillert.

Nach dem Ausbruch der Pandemie musste er sich wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen erst einmal mit Formen und Formaten der digitalen Lehre vertraut machen. „Ich habe nach und nach die Inhalte aus meinen Vorlesungen in informative ‚Video-Häppchen‘ übersetzt. Nachdem meine Lehrvideos sehr gut bei den Studierenden angekommen sind, möchte ich darüber dauerhaft praktisches Anwendungswissen aus dem Bereich Datenanalyse allen Interessierten zur Verfügung stellen“, hat sich Hillert vorgenommen. Er sieht einen großen Vorteil darin, dass sich Studierende in Selbstlernphasen mit den Methoden seines Forschungsbereiches vertraut machen können; die Präsenzphase in Vorlesungen und Seminaren kann dann viel stärker noch für Austausch und Diskussion genutzt werden.

Weitere Informationen zu Alexander Hillert unter
https://safe-frankfurt.de/alexander-hillert

Prof. Dr. Alexander Hillert. Foto: privat

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 1/2022 (PDF) des UniReport erschienen. 

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