Sechs Institute hat der Fachbereich Physik. Vier decken fachlich alles von Teilchenphysik über Festkörperphysik bis Astrophysik ab. Einen Brückenkopf in die Lebenswissenschaften bildet die Biophysik; dazu kommen Physik-Didaktik und Schülerlabor.
„Worauf sind Sie im Fachbereich Physik stolz?“ möchte ich von Dekan Owe Philipsen und Studiendekan Reinhard Dörner wissen, und ernte zunächst überraschte Blicke. Also frage ich nach Zahlen. Die hat der Dekan sofort parat. Mit 34 Professoren, darunter vier Frauen, 2000 Studierenden und 250 Studienanfängern liegt die Größe des Fachbereichs bundesweit im oberen Mittelfeld.
Es gibt insgesamt sechs Institute. Vier decken fachlich alles von der Teilchenphysik über die Festkörperphysik bis zur Astrophysik ab. Einen Brückenkopf in die Lebenswissenschaften bildet die Biophysik. Dazu kommen die Physik-Didaktik und das Schülerlabor. Enge Verbindungen bestehen zum Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS).
Ein wenig Stolz kommt auf, als wir über Internationalität sprechen. „Internationalität ist in der Physik nichts Neues und für die Forschung absolut notwendig“, sagt Reinhard Dörner mit Blick auf Prodekan Michael Lang, der an diesem Morgen ein wenig später zur Sitzung erscheint, weil er direkt von einer Tagung in Korea kommt.
„Schon als Doktorand ist es selbstverständlich, dass man auf internationale Konferenzen reist“, sagt der Theoretiker Philipsen. In der Experimentalphysik kommen noch Reisen zu den Experimenten hinzu. Weil Großforschungsreinrichtungen wie das CERN von Ländern auf der ganzen Welt finanziert werden, trifft man dort auf Wissenschaftler vieler Nationalitäten. Solche Großexperimente leisten auch einen Beitrag zur Völkerverständigung und zur Wissenschaftsförderung in Schwellenländern.
Auch im Fachbereich Physik werden Bauteile für Großexperimente auf der ganzen Welt entwickelt und betrieben. So entsteht in der Gruppe von Ulrich Ratzinger am Institut für Angewandte Physik (IAP) Technologie für Teilchenbeschleuniger. Die Gruppe von Harald Appelshäuser am Institut für Kernphysik (IKF) ist am ALICE-Detektor beteiligt, einem der vier Detektoren am Large Hadron Collider des CERN.
Der Detektor hat die Größe eines Einfamilienhauses. Joachim Stroth leitet das internationale Experiment HADES bei der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt, mit dem Eigenschaften von Kernbausteinen vermessen werden können. Bei der GSI entsteht auch der neue Beschleuniger- und Experimentierkomplex FAIR, an dem zahlreiche Frankfurter Experimentatoren und Theoretiker mitarbeiten.
Eine Frankfurter Spezialität ist die Cold Target Recoil Ion Momentum Spectroscopy, kurz COLTRIMS, eine Art Supermikroskop für individuelle Moleküle, das Horst Schmidt-Böcking, der Vorgänger von Dörner, entwickelt hat und das inzwischen Einzug in Labore in aller Welt gehalten hat. In Frankfurt stehen sechs dieser Supermikroskope, der Biophysiker Jens Bredenbeck bringt damit Moleküle zum Schwingen. Aktuell bereitet sich die Gruppe von Dörner auf deren Einsatz am weltweit größten Röntgenlaser, dem European XFEL in Hamburg, vor.
Stichwort Laser: Der Fachbereich besitzt einige leistungsfähige Laser. Die Lichtblitze, die sie für Bruchteile von Sekunden erzeugen, sind so intensiv wenn man die Sonneneinstrahlung auf Europa auf einen Stecknadelkopf fokussieren würde. Diese Laser nutzt zum Beispiel die Gruppe von Hartmut Roskos für die Ultrakurzzeitspektroskopie, bei der kurze Lichtblitze ähnlich wie ein Stroboskop Schnappschüsse von sehr kurzlebigen elementaren Anregungen in Festkörpern machen.
Weitere Großgeräte am Fachbereich gibt es im Labor für hohe gepulste Magnetfelder von Michael Lang am Physikalischen Institut. Seine Arbeitsgruppe untersucht die Eigenschaften von Materie unter extremen Bedingungen: starkem Druck, tiefsten Temperaturen (im Institut befindet sich der kälteste Ort Frankfurts) und Magnetfeldern von bis zu 60 Tesla (ein Permanentmagnet, mit dem man Zettel an den Kühlschrank heftet, hat die Stärke von höchstens einem Tesla.) Ein weiteres Großgerät steht in der Biophysik: Das Elektronenmikroskop von Achilleas Frangakis ist ein „Porsche unter den Elektronenmikroskopen“. Beim Bau des Buchmann-Instituts wurde dafür eigens ein schwingungsisoliertes Labor eingerichtet.
Bleibt noch das Thema Supercomputer: Der Fachbereich beherbergt den Großrechner FUCHS des Centers for Scientific Computing der Goethe-Uni, der mit einer Rechenleistung von um die 100 Teraflops pro Sekunde komplett ausgelastet ist. Kernstück des Centers ist der LOEWE-CSC auf dem Gewerbegebiet von Infraserv in Höchst. Außerdem erhalten die Physiker noch Rechenzeit am Neumann-Institut in Jülich, einem der größten Supercomputerzentren Europas.
Das ist der zweite Punkt, auf den die Physiker stolz sind: „Wir werben jährlich 10 bis 11 Millionen Euro an Drittmitteln ein“, bilanziert Dekan Philipsen. Die Drittmittel stammen vor allem aus Verbundforschungsprojekten und fließen in die Einstellung von wissenschaftlichem Personal und die damit verbundene Infrastruktur. Beim Thema Verbundforschung ist das Eis endgültig gebrochen, denn das ist „unser Ding“. „Verbundforschung wächst aus Kooperationen, die bereits seit vielen Jahren bestehen“, erklärt Philipsen.
Und Lang, dessen Transregio Sonderforschungsbereich (SFB) bereits zum zweiten Mal verlängert wurde, pflichtet ihm bei: „Das Gute an der Verbundforschung ist, dass sie einen auf mehrere Jahre zur Zusammenarbeit verpflichtet. Da wächst viel zusammen, auch auf der Ebene der Doktoranden. Und wir erreichen beim Output eine kritische Masse, die uns international sichtbar macht.“
Der Fachbereich Physik in Zahlen
- 34 Professoren (4 Frauen)
- 283 Mitarbeiter (90 Dauer, 193 temporär, 130 auf Drittmittel)
- Organisation nach Fachgebieten: 6 Institute
- 2000 Studierende
- 250 Studienanfänger
Dazu tragen auch die Mittel für Konferenzen und Gästeprogramme bei. Sie erlauben es, Experten aus aller Welt für einige Tage bis zu einigen Wochen einzuladen. Philipsen berichtet von einer X-QCD-Konferenz zu Kernmaterie unter extremen Bedingungen, die er mit Sprecher Dirk-Hermann Rischke und Kollegen eines weiteren SFB zu Pfingsten ausrichtete.
Die Resonanz war so groß, dass die Organisatoren nicht alle Anmeldungen berücksichtigen konnten. Ein besonderes Highlight war die Poster Session in der Magistrale des Physikgebäudes mit Blick auf die Frankfurter Skyline. Bei Brezeln und Wein wandert man zwischen den Postern umher und tauscht sich aus.
Noch eines wird in diesem Gespräch deutlich: in der Physik sind Teamarbeit und flache Hierarchien wichtig. So kann man als Doktorand am CERN auch schon mal mit einem Nobelpreisträger über die selbst entwickelte Elektronik diskutieren. Auch am Fachbereich kommen die Professoren und Studierenden gut miteinander aus. Das bestätigt Nils Köhne von der Fachschaft Physik.
Während des Semesters sitzt er einmal pro Monat in der Studienkommission und weiß: Mit den Profs kann man über Probleme reden. Überhaupt ist die Diskussionskultur pragmatisch, rational und „komplett nicht-ideologisch“, wie Dörner nicht ohne Stolz berichtet. Zwar gebe es ab und zu Differenzen, aber insgesamt verliefen die Sitzungen des Fachbereichsrats harmonisch und zielorientiert, pflichtet Lang ihm bei.
Teams in der Physik seien wie eine „Herde Katzen“, berichtet Philipsen. Man muss ein guter Teamplayer sein, wenn für die Berufung auf eine Professur braucht man auch ein eigenes Profil. Die Forschung in Verbünden vergleicht er mit den Musikern in einer Band. Für eine wissenschaftliche Karriere müsse man häufiger mal die Band wechseln.
Es überrascht nicht, dass die Doktoranden und Post-Docs in der Physik „viel drive“ haben und ihre „work-life-balance“ deutlich in Richtung Arbeit verschoben ist. Es ist eher so, wie die aktuelle Arbeitspsychologie sagt: Leben findet immer auch bei der Arbeit statt. Für Entspannung sorgt die Tischtennisplatte im Physik-Gebäude. Die Fachschaft hat einen Tischkicker angeschafft und hält Brettspiele bereit. Im Sommer organisiert sie spontane Grillfeiern, oder man setzt sich einfach mal mit der Picknickdecke auf die Wiese. Aber im Semester fordere das Studium schon sehr viel Arbeit, sagt Alexander Lasar von der Fachschaft.
Höhepunkte des Jahres sind das von der Fachschaft organisierte Sommerfest, die Weihnachtsfeiern der Institute und die traditionsreiche akademische Feier des Fachbereichs, bei der besondere Forschungsleistungen durch den Walter Greiner Förderverein ausgezeichnet werden. Nicht zu vergessen: die von den Fachschaften organisierte Night of Science. Die macht auch den Professoren großen Spaß, denn dabei können sie ihrem Spieltrieb freien Lauf lassen.
Dieser Artikel ist im September 2018 im Mitarbeitermagazin GoetheSpektrum erschienen. Zum 1. Oktober 2018 hat sich die Zusammensetzung des Dekaneteams verändert: Dekan ist jetzt Prof. Michael Lang, Prodekan Prof. Owe Philipsen (Amtszeit für beide: 1.10.18 bis 30.9.19), Studiendekan bleibt Prof. Reinhard Dörner (bis 30.9.20).