„Bei mir ist alles gut!“, haben die meisten der 106 geflüchteten Frauen zunächst geantwortet, als sie in ihren Unterkünften von Muttersprachlern und Psychologen der Psychosozialen Beratungsstelle für Flüchtlinge der Goethe-Universität befragt wurden. „Doch in längeren Gesprächen begannen viele der Frauen zu weinen, sprachen über Ängste und Traumata – erlebt in Krieg und Flucht, von Situationen, mit denen sie in Deutschland nicht zurechtkommen. Sie waren aber auch gleichzeitig erleichtert, dass sie ohne Sprachbarrieren zwei bis drei Stunden intensiv reden konnten und ihnen zugehört wurde“, berichtet Dr. Jana Gutermann, Leiterin der Frankfurter Studie zur psychosozialen Lage von geflüchteten Frauen.
In einer Diskussion wies Sozialdezernentin Prof. Dr. Birkenfeld erst kürzlich auf die Bedeutung der psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen in Frankfurt hin: „Wir haben in den Kommunalen Standards für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und in der täglichen Praxis die Personengruppen besonders im Blick, für die eine erhöhte Schutzbedürftigkeit besteht. Dazu zählen geflüchtete Frauen, vor allem, wenn sie allein oder nur mit ihren Kindern in Deutschland angekommen sind“. Dies wird durch das Ergebnis der Studie unterstützt, nach der 60 Prozent der Befragten, die alle noch in Aufnahmeeinrichtungen leben, unter körperlichen und/oder psychischen Problemen leiden, wobei 70 Prozent hiervon angeben, seelische Beschwerden zu erleben. 35 Prozent der Frauen geben an, aktuell keine medizinische und/oder psychologische Unterstützung zu erhalten.
Die von der Arbeitsgruppe der Goethe-Universität Frankfurt durchgeführte Befragung ist Teil einer bundesweiten repräsentativen Studie, die von August bis Dezember 2016 in fünf Städten Deutschlands lief und deren Ergebnisse jetzt vorliegen. Finanziert wurde sie von der Bundesbeauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
In Frankfurt berichten die Frauen über vielfältige traumatische Erfahrungen im Heimatland, darunter nennen 39 Prozent der Frauen, dem Tod nahe gewesen zu sein. Weiterhin geben 63 Prozent der Frauen an, durch ihre Fluchterfahrungen belastet zu sein, wobei sie auch über aktuelle Belastungen berichten. 80 Prozent wünschen sich mehr Unterstützung, dabei rangiert die Wohnungssuche (45 Prozent) mit Abstand vorne, aber Hilfe suchen die Frauen auch beim Erlernen der Sprache (inklusive Kinderbetreuung) (16 Prozent), bei der Verbesserung ihrer Bildung (15 Prozent) und bei der Familienzusammenführung (13 Prozent). Die Mehrzahl macht sich akut Sorgen um ihren Asylstatus, ihre Familienmitglieder und um ihre Unterkunft.
Befragt wurden Frauen zwischen 18 und 61 Jahren aus sechs Ländern: Afghanistan (36 Prozent), Syrien (26 Prozent), Eritrea (15 Prozent), Iran (10 Prozent), Irak (9 Prozent), Somalia (2 Prozent). Mehr als die Hälfte kam gemeinsam mit ihren Ehemännern und Kindern nach Deutschland. Die Frankfurter Psychologinnen und Psychologen haben sich auch damit beschäftigt, wie die Frauen aus den verschiedenen Herkunftsländern mit ihren Emotionen umgehen. „In der Tendenz akzeptieren die Frauen aus dem Iran und Afghanistan ihre negativen Gefühle weniger und unterdrücken diese eher. Arabischsprachige Frauen versuchen eher ihre Emotionen so zu beeinflussen oder auch eine Situation im Voraus so neu zu bewerten, dass unangenehme Emotionen abgeschwächt werden“, erläutert Annabelle Starck, wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt.
Zusätzlich wurden Erhebungen zur Akkulturation durchgeführt. Dabei zeigten sich kulturelle Unterschiede, die jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Lebenssituation und der kurzen Aufenthaltsdauer in Deutschland noch mit Vorsicht zu interpretieren sind. So tendierten Frauen aus Afghanistan und dem Iran eher dazu, die Strategie der Assimilation im Sinne einer hohen Orientierung an der Aufnahmekultur (Deutschland) bei einer niedrigen Orientierung an der Herkunftskultur zu wählen. Syrische Frauen hingegen wählten häufiger die Strategie der Separation.
Zunächst bekundete etwa ein Drittel der Frauen, den Kontakt mit dem Team wieder aufnehmen zu wollen, wobei es letzten Endes nicht bei allen zu einem Termin in der Beratungsstelle kam. Dafür sieht Gutermann verschiedene Gründe: Traumatisierte Menschen suchen oft Rückzug oder Ablenkung, um das Erfahrene auszublenden. Leider können auch kulturelle Besonderheiten wie die Sorge um Stigmatisierung psychischer Erkrankungen oder eine Skepsis gegenüber Psychotherapie ein Hindernisgrund sein, sich professionelle Hilfe zu suchen. „Viele Frauen trauen sich aufgrund ihrer Frauenrolle nicht, aktiv für sich selbst Hilfe zu suchen, weil sie ihre Bedürfnisse denen anderer Familienmitglieder unterordnen müssen, oder weil sie befürchten, dass ihre Ehemänner dies nicht akzeptieren“, so eine der studentischen Mitarbeiterinnen im Projekt, Hourvash Nadimi.
Nicht zu unterschätzen sind die bürokratischen Hemmnisse, denn für jede psychologische und ärztliche Behandlung müssen sich die Geflüchteten einen Krankenschein im zuständigen Amt besorgen; eine Gesundheitskarte gibt es erst nach der Anerkennung oder nach einer Aufenthaltsdauer von 15 Monaten in Deutschland. „Der Zugang zu einer traumafokussierten Psychotherapie muss sich unbedingt verbessern. Auch für das Wohlergehen der Kinder ist die besondere Unterstützung der geflüchteten Frauen eine wesentliche Voraussetzung“, so Prof. Ulrich Stangier, Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Goethe-Universität.
Die vorgestellte Studie wirft somit viele Fragen zur besonderen Situation von geflüchteten Frauen auf. Weitere Forschung ist notwendig, um deren Probleme besser angehen zu können. An Kompetenz und Expertise bei der Behandlung von Traumata mangelt es an der Goethe-Universität nicht.
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Mehr Informationen auf der Homepage der Psychosoziale Beratungsstelle für Flüchtlinge
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Quelle: Pressemitteilung vom 7. August 2017