Christin Siegfried, frisch gebackene »New Horizon-Preisträgerin«, über den schwierigen Weg, wirtschaftliche Kompetenz ins Klassenzimmer zu bringen.
UniReport: Frau Dr. Siegfried, Sie sind mit dem »New Horizon- Preis« dafür ausgezeichnet worden, dass Sie einen »wichtigen Beitrag zur Entwicklung des mündigen Wirtschaftsbürgers« leisten. Wie sieht diese/r für Sie persönlich aus?
Christin Siegfried: Mir ist natürlich klar, dass zum mündigen Bürger mehr als nur ökonomische Kompetenz gehört. Aber ökonomische Kompetenz ist meines Erachtens eine ganz wichtige Stellschraube. Obwohl wir alle tagtäglich in einem ökonomischen Kontext agieren, sei es privat oder beruflich, ist die ökomische Kompetenz noch nicht ausreichend ausgebildet. Für mich ist wichtig, dass man über gewisse Grundkenntnisse der Wirtschaft verfügt: Man sollte verstehen, wie die Wirtschaftssubjekte miteinander agieren und auch agieren müssen, welche Auswirkungen bestimmte Entscheidungen, sei es aus privater Sicht oder aus Sicht eines Unternehmens oder des Staates, haben können. Nehmen wir eine wirtschaftspolitische Entscheidungssituation: Was bedeutet es eigentlich, wenn man den Mindestlohn einführt? Aus privater Sicht sorgt diese Maßnahme erst einmal dafür, dass man über ein bestimmtes Einkommen verfügt. Aber es gibt auch viele andere Effekte, die mit zum Tragen kommen und die man für die eigene Einschätzung und Bewertung berücksichtigen können sollte, zum Beispiel die höheren Lohnkosten für Unternehmen, die Anreize schaffen könnten, weniger Personal einzustellen. Ein solches Wissen führt nicht automatisch zu einer bestimmten wirtschaftspolitischen Entscheidung, vielmehr geht es darum, sich der verschiedenen möglichen Folgeeffekte einer politischen Maßnahme bewusst zu sein.
Würden Sie für ein eigenes Schulfach Ökonomie votieren?
Es gibt viele Argumente dafür und dagegen, daher kann ich das überhaupt nicht ad hoc beantworten. Was aktuell für ein Fach Wirtschaft spricht, ist, dass die sogenannte Verbundfachlösung, also eine Kombination beispielsweise der Fächer Politik und Wirtschaft wie in Hessen, noch nicht so gut funktioniert. Das liegt unter anderem daran, dass im Rahmen der akademischen Lehrpersonenausbildung die zu erwerbenden Credit Points aufgeteilt werden müssen unter zwei Fächern. Man studiert ein Fach also nur zur Hälfte. Grundsätzlich sehe ich aber auch Potenziale in der Verbundfachlösung: die Verknüpfungsmöglichkeiten nahe beieinanderliegender Themen, beispielsweise Wirtschaft, Politik, aber auch Arbeit und Technik. Die aktuellen Herausforderungen der Verbundfachlösung sprechen aber eher für eine Einzelfachlösung für die Förderung ökonomischer Kompetenz.
Warum werden ökonomische Inhalte an Schulen noch so wenig unterrichtet, wie ist das zu erklären?
Lange Zeit stand im schulischen Kontext der Aspekt Selbstverantwortung, wie er immer stärker im Kontext der Verbraucherbildung diskutiert wird, nicht so im Fokus. Das hat sich aber geändert. Es geht immer mehr darum, dass der/die Einzelne sich selbst mit Informationen versorgen muss, um kompetent eigene Entscheidungen treffen zu können. Diese Verschiebung hin zur größeren Eigenverantwortung wie wir sie zum Beispiel im Rahmen der Rentenversicherung sehen, betrifft natürlich auch die ökonomische Kompetenz. Im schulischen Kontext dauert es aber eben immer etwas länger, bis auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert werden kann, so gilt es auf jeden Fall erst einmal, die Lehrpersonen entsprechend auszubilden. Ich hatte vorhin von den Schwierigkeiten in der Lehrpersonenbildung gesprochen, hier wird der Aspekt Wirtschaft häufig noch nicht ausreichend berücksichtigt. Und in der Schule kann ja auch nicht einfach etwas obendrauf gepackt werden. Man muss stattdessen schauen, wo man Wirtschaft verankern kann, ob als Einzelfach- oder als Verbundfachlösung.
Sie haben ein Netzwerk aufgebaut aus Mitstreiterinnen und Mitstreitern – was ist dabei Ihr Ansatz, wie wollen Sie Ihr Ziel weiter verfolgen?
Es wurde zwar schon früher untersucht, wie es um die ökonomische Bildung in den Schulen steht, aber kaum, was man nun tun kann, um diese zu verbessern. Ich habe daher in den letzten Jahren ein Netzwerk aufgebaut mit Forschergruppen, die sich damit beschäftigen, wie man die ökonomische Kompetenz ins Klassenzimmer bringen kann. Ein Themenschwerpunkt stellen dabei Gruppendiskussionen dar, also Schüler* innen gemeinsam über wirtschaftliche Problemstellungen sprechen zu lassen. Entscheidungen im wirtschaftswissenschaftlichen Kontext sind nämlich gerade im Austausch mit anderen gut zu bewerkstelligen. Wir werden daran arbeiten, wie man Diskussionen erfolgreich gestalten kann. Im Sommer werde ich den Antrag auf eine Netzwerkgruppe zu diesem Thema fertigstellen.
Eine letzte Frage: Wirtschaftsminister Robert Habeck wird von vielen Seiten gelobt wegen seiner kommunikativen und offenen Art, wirtschaftspolitische Entscheidungen zu erklären, dabei auch Probleme nicht zu verschweigen. Wie sehen Sie das als Wirtschaftspädagogin?
Grundsätzlich finde ich das gut: Wenn ich als Politiker Entscheidungsprozesse transparent mache, eröffne ich dem anderen die Möglichkeit, die Entscheidungsfindung nachvollziehen zu können. Die Frage dabei ist nur, wie kritisch und wie kontrovers diese Entscheidungsfindung diskutiert wird, ob verschiedene Stimmen im Diskurs einbezogen werden. Werden auch andere Entscheidungswege offengelegt, kann sich die Öffentlichkeit wirklich eine eigene Meinung bilden?
Die Fragen stellte Dirk Frank