Bei der Feier zum 100. Geburtstag schauten die Freunde der Goethe-Universität voraus: Wie können in Zeiten zunehmender Unsicherheit intelligente Antworten auf die drängenden Fragen der Zukunft gefunden werden? Denken über Grenzen hinaus anzustoßen und an konkreten Lösungen mitzuwirken, das motiviert die Freundesvereinigung seit ihrer Gründung. Und dieses Motiv durchzog auch das vielseitige Programm beim Festakt am Donnerstagabend: von der Eröffnungsrede des Vorsitzenden der Freunde Prof. Wilhelm Bender über kurzweilige Talkrunden mit dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, dem Chef von Merck Dr. Stefan Oschmann, dem Frankfurter Bürgermeister und Stadtkämmerer Uwe Becker, der jungen Frankfurter Medizinerin Miena Amiri und der Präsidentin der Goethe-Universität Prof. Birgitta Wolff, moderiert von der Wirtschaftsjournalistin Corinna Wohlfeil, bis zum Festvortrag des renommierten Historikers Sir Christopher Clark.
„Keine Kleingläubigkeit, keine Jammerstimmung, kein Rufen nach Kaiser oder Staat. Selbst tun, es in die Hand nehmen und einfach umsetzen – das war das beeindruckende Motto. Wir sind stolz auf unsere Gründerväter. Ihre Handlungsstärke ist uns Ansporn und Verpflichtung“, so Bender in seiner Begrüßung im bis auf den letzten Platz gefüllten Festsaal des Casinos auf dem Campus Westend; selbst eine Übertragung ins Foyer war erforderlich, weil nicht alle Gäste im Festsaal Platz finden konnten. Wie ernst die Freunde diese Verpflichtung nehmen, machte der Vorstandsvorsitzende erneut deutlich: „100 Millionen Euro in 100 Jahren!“. Und im Jubiläumsjahr konnten die Freunde zu der „‘Alltags-Million‘, die wir jedes Jahr geben, einen weiteren siebenstelligen Betrag einsammeln“.
„Die Welt lässt sich nicht im Twitterformat erklären“ – Aktuelle Probleme als Herausforderung
Aber es geht nicht nur um Geld, das die Universität für vielfältige Projekte bekommt – es geht auch um die Förderung des intellektuellen Diskurses in Zeiten von Fake News und Verunsicherung. Deshalb haben die Freunde zum Jubiläum Gastprofessuren gestiftet, die sich mit Zukunftsfragen beschäftigen werden: „Angesehene Vertreter ihres Fachs werden in Vorlesungen und Bürgerdialogen öffentlich Stellung zu drängenden Fragen in Medizin, Politik und Gesellschaft beziehen“, erklärte Bender und verwies darauf, dass dies in bester Tradition der Vereinigung steht: „Es ist der liberale Geist der Paulskirche und das Selbstbewusstsein einer ehemaligen freien Reichsstadt, die ihre Angelegenheiten selbst auf den Weg bringt. Diese Geisteshaltungen haben unsere Stadt auch unempfindlich gegenüber Radikalisierung und Populismus gemacht. Darauf sind wir stolz! Und das lassen wir uns auch heute in Zeiten aktueller Gefährdung nicht kaputt machen!“, sagte Bender und der Applaus der anwesenden Frankfurterinnen und Frankfurter signalisierte ihm große Unterstützung.
Die Feier war kein Festakt der üblichen Art mit langatmigen Grußworten und Reden; der Vorstand der Freunde wählte bewusst vielfältige und abwechslungsreiche Formate: Zunächst eher klassische, dann moderne extravagante Musikeinlagen des Duo Saxophine mit Anne Siebrasse und Regina Reiter wechselten mit zwei kurzen Videoeinspielungen (zum Campus Westend, zu VFF-geförderten Projekten und Statements Frankfurter Persönlichkeiten) und zu zwei informativen und kurzweiligen Talkrunden. „Was hätte ich sonst heute Abend gemacht? Hier wollte ich dabei sein! Das ist für mich kein Pflichttermin!“, antwortete der hessische Ministerpräsident Bouffier auf die Frage der Moderatorin, ob er wirklich in der heißen Wahlkampfphase für solch einen Termin Zeit habe. „Ich kenne keine deutsche Hochschule, die über eine solch lange Zeit einen so großen Kreis an Freunden an ihrer Seite hat“, sagte Bouffier, als er Bender die Ehrenkachel des Landes Hessen mit dem hessischen Löwen überreichte – mit dem launigen Hinweis: „Übrigens droht die Pranke des Löwen nicht – sie grüßt freundlich!“
„Die Welt lässt sich nun mal nicht im Twitterformat erklären. Es braucht mehr als undifferenzierte Sprüche starker Männer“, so Bouffier zu dem an diesem Abend allseits präsenten Thema. Zu den aktuellen Herausforderungen, insbesondere zu den drei Themen „Digitalisierung, Globalisierung und Migration“, die Bürgerinnen und Bürger in hohem Maße verunsicherten, sei die Kompetenz der Wissenschaftler besonders gefragt, sagte der Ministerpräsident und freute sich, dass die Freunde der Universität mit ihrer Idee der Stiftungsprofessuren diesen Diskurs befördern.
Mit Blick auf die Zukunft: Technologie-Transfer professionalisieren
In der kurzen Talkrunde animierte die Moderatorin mit ihren thematisch ganz unterschiedlichen Fragen und schnellen Einwürfen die Beteiligten zu einem munteren Gespräch. Merck-Chef Oschmann, dessen Unternehmen in diesem Jahr schon seinen 350. Geburtstag feierte („Da sind die Freunde ein junger Verein!“), bekannte sich zu dem Standort Rhein-Main und der engen Kooperation mit den hessischen Universitäten: „Wir brauchen die jungen, gut ausgebildeten Akademiker aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen.“ Und schon kam Miena Amiri, die vor Kurzem ihr Medizinstudium an der Goethe-Universität erfolgreich abgeschlossen hat, mit ihm ins Gespräch und die Koordinaten wurde ausgetauscht. Sie hat als junge Frau mit Migrationshintergrund die Chancen genutzt, mit Ehrgeiz ihr Medizinstudium durchgezogen („und ich hatte eine tolle Betreuung“) und auch in betriebswirtschaftliche Veranstaltungen hineingeschaut. Nun will sie ein kleines eigenes Unternehmen gründen, Näheres verriet sie erstmal nicht. Im Blick auf die Zukunft plädierte Oschmann, dessen Unternehmen weltweit 8000 Wissenschaftler beschäftigt, dafür, die Gründung von Starts-ups zu fördern („wie in Israel, wo ich die Szene aufmerksam verfolge“) und den Technologie-Transfer professionell auszubauen: Da konnte die Universitätspräsidentin gleich berichteten, dass sie wenige Stunden zuvor auch über dieses Thema mit Vertretern der Industrie- und Handelskammer gesprochen habe.
Zu den ältesten Freunden der Goethe-Universität gehört die Stadt Frankfurt. Was wäre gewesen, wenn der Bürgermeister Franz Adickes und der Unternehmer Wilhelm Merton nicht vor über 100 Jahren die Initiative für die Gründung der Stiftungsuniversität ergriffen hätten? Daran erinnerte Bürgermeister Becker und ließ noch einmal Revue passieren, wie die Universität unter Präsident Rudolf Steinberg gemeinsam mit Stadt und Land die Idee der Stiftungsuniversität neu belebt hat.
Nachdenkliche Zeitreise mit dem Historiker Christopher Clark
Mit der Einladung des Historikers Sir Christopher Clark als Festredner war der Freundesvereinigung ein besonderer Coup gelungen. Sein Vortrag „Historische Umbrüche – historische Chancen“ holte seine Zuhörer bei dem Thema ab, das den ganzen Abend begleitete: „Wir befinden uns in unsicheren Zeiten. Was können wir tun?“ Hat es nicht in allen Epochen solche Perioden gegeben, aus denen am Ende etwas Neues erwachsen ist? Diese Frage stellte der in Australien geborene Wissenschaftler, der seit seinem Studium an der FU Berlin hervorragend Deutsch spricht (und noch fünf andere Sprachen, wie die Moderatorin bei der Begrüßung erwähnte), gleich zu Beginn. Er regte die Anwesenden an, eine „eigene kollektive historische Sensibilität“ zu entwickeln, um aus einer beängstigenden Betrachtung der momentanen Situation herauszufinden.
Er nahm das begeisterte Auditorium mit auf eine Zeitreise durch die vergangenen 110 Jahre – mit besonderem Blick auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die er in seinem Bestseller „Die Schlafwandler“ beleuchtet hat. Interessant seine Hinweise auf die jüngere Geschichte: die bipolare Stabilität des Kalten Krieges bis Ende der 1980er Jahre, danach begann „eine neue geopolitische Ordnung im Frieden – erstaunlich!“ Denn, so Clark weiter: „Alle anderen staatlichen Umwälzungen seit dem Dreißigjährigen Krieg wurden kriegerisch gelöst.“ Aber der Frieden war in einigen ost- und südeuropäischen Regionen, aber auch im Nahen Osten nur von kurzer Dauer. Versuchten die Staaten diese Auseinandersetzungen zunächst noch mit herkömmlichem Krisenmanagement international zu lösen, ist spätestens seit Trumps Präsidentschaft Schluss mit diplomatischen Strategien. „Er hat wahr gemacht“, so Clark, „was er schon im Wahlkampf versprochen hatte: ‚Wir müssen sofort unberechenbar werden‘“. Trotz allem wendet sich Clark gegen die überall bemerkbare Endzeitstimmung – und hält es trotz drohendem Brexit und Rechtspopulismus in den östlichen EU-Staaten mit Macron, der in seiner bekannten Rede in der Sorbonne gesagt hat: „Der einzige Weg, unsere Zukunft zu sichern, ist die Neubegründung eines souveränen, geeinten und demokratischen Europas.“
Weitere Berichte über den Festakt in der nächsten Ausgabe des UniReport und des Alumni-Magazins EinBlick)
Autorin: Ulrike Jaspers