Muslime müssen selbstkritisch nach dem Zusammenhang von Religion und Gewalt fragen. Wie sich die islamische Theologie in Frankfurt damit auseinandersetzt, schildert Armina Omerika in der aktuellen Ausgabe von Forschung Frankfurt.
Nach den von islamischen Extremisten begangenen Terroranschlägen und dem Wüten des IS seien bloße Distanzierungen von Gewalt nicht ausreichend, so die Kritik. Sie kam zunächst von außen, wird aber zunehmend auch innerhalb der muslimischen Gemeinschaften geübt.
Vereinfachende Erklärungen, die vordergründig auf die islamischen Lehren abzielen, sind nicht ausreichend, um die komplexen Entstehungsursachen von Gewalt- und Terrorbereitschaft zu ergründen oder ihre Anziehungskraft auf eine wachsende Zahl von Jugendlichen aus europäischen Staaten zu erklären. Faktoren wie soziales Umfeld, politische Kontexte, biografische Erfahrungen, Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung spielen hierbei eine wichtige, von der Forschung noch genau zu eruierende Rolle ebenso wie individuelle Prädispositionen zu Gewalt oder Kriminalität.
[dt_quote type=“pullquote“ layout=“leftt“ font_size=“big“ animation=“fancy“ size=“2″]»Eine historisch-kritische Koranhermeneutik erscheint vielen als der sicherste Weg, gewaltzentrierte Deutungen des Islam zu entkräften.«[/dt_quote]
Die Frage nach religiösen Bezügen und Begründungen von Gewaltakten, die im Namen des Islam verübt werden, steht gleichwohl insbesondere für eine wissenschaftliche islamische Theologie im Raum. Ein wichtiger und populärer Erklärungsansatz bezieht sich auf die zentralen religiösen Texte des Islam – den Koran und das verschriftlichte Korpus der Propheten Tradition (Sunna, Hadith) – sowie auf spezifische Lesarten dieser Glaubensquellen. Eine historisch-kritische Koranhermeneutik erscheint vielen als der sicherste Weg, gewaltzentrierte Deutungen des Islam zu entkräften. So plädierten unmittelbar nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo im Januar 2015 nicht nur säkulare Islamwissenschaftler, sondern auch manche Verfechter des traditionalistischen Islam offen für die historisch-kritische Methode in der Koranforschung, eine Methode, die bislang von vergleichsweise wenigen islamischen Theologen in Deutschland wissenschaftlich glaubhaft praktiziert wird. Was genau darunter zu verstehen ist, wird in diesen Forderungen allerdings selten näher ausgeführt.
Gewaltbezogene Verse im Koran – Vorsicht beim Umgang geboten
Eine Anfrage an den zentralen Text des Islam, den Koran, zu stellen, bedeutet immer auch, nach Möglichkeiten und Bedingungen seiner Auslegung zu fragen. Die islamischen Extremisten nutzen für ihre Gewaltdeutungen banalisierende Methoden der Koranauslegung: Verse, die Gewalt legitimieren, werden ohne Kontext und Zusammenhang als überzeitlich gültig entschlüsselt und in ihrer wörtlichen Bedeutung – oder der als solche verstandenen – unmittelbar auf die eigene Realität übertragen. So eignen sich Terroristen und IS-Kämpfer aus dem europäischen Raum nicht selten »Express-Wissen« über den Koran oder Islam an. Mittlerweile geht laut Terrorismus-Experten die Tendenz bei der Rekrutierung sogar dahin, selbst die in der Vergangenheit übliche erste Phase der ideologischen Indoktrinierung zu überspringen und direkt mit terroristischen Aktionen in Europa oder Syrien zu beginnen.
[dt_quote type=“pullquote“ layout=“leftt“ font_size=“big“ animation=“fancy“ size=“2″]»Terroristen und IS-Kämpfer aus dem europäischen Raum eignen sich nicht selten »Express-Wissen« über den Koran oder Islam an.«[/dt_quote]
In der Tat gibt es im Koran viele Stellen, die, losgelöst von sämtlichen Zusammenhängen, zunächst als Aufrufe verstanden werden können, Gewalt an Mitmenschen bis hin zum Töten auszuüben (beispielsweise Verse 4/89; 2/191; 2/193). Solche Passagen machen im Koran zwar einen kleineren Teil der Gesamtverse aus, können aber in ihrer Wirkung sehr mächtig sein. Gleichzeitig stehen sie in einem Spannungsverhältnis zu anderen Versen, die den Grundsatz der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens postulieren und Tötungen an Rechtsurteile binden (etwa Verse 2/190; 8/61; 25/68; 6/151; 17,33). In der Bewertung dieser wie anderer Verse ist äußerste Vorsicht geboten, denn, so der Korankenner und katholische Theologe Hans Zirker:
„(…) den Texten selbst [ist] nie zu entnehmen, wie sie und von wem aufgenommen werden: welche Aufmerksamkeit ihnen unter den übrigen Partien des Koran zukommt, … ob sie in geschichtlichem Rückblick relativiert werden oder Handlungsdruck von ihnen ausgeht, wieweit man in aggressiver Mentalität auf sie zurückgreift, sie in ein System politischer Verantwortung überführt oder vorwiegend auf sich beruhen lässt. Wie bei sonstiger Literatur gibt es auch bei religiöser keine unmittelbare Verbindung, gar Kongruenz von Text und Realität … Was die Sätze bedeuten und bewirken, ist nie schon ausgemacht, indem man sie zitiert.“
Gewaltzentriertes Religionsverständnis leugnet Komplexität der heutigen Welt
Das Forschungsprofil der Islamischen Studien in Frankfurt orientiert sich stark an den Feldern „Koran“, „Kontextualität“ und „Geschichte“. Zum einen geht es dabei um Forschungen, die eine wissenschaftlich abgesicherte Rekonstruktion der historischen Umstände der koranischen Offenbarung ermöglichen sollen, eine Grundvoraussetzung für jede historisch-kritische Annäherung an den Koran und sein zeitgemäßes Verstehen in unserer Zeit. Zum anderen geht es darum, sich mit den historischen und gegenwärtigen Kontexten des muslimischen Denkens auseinanderzusetzen. Mit anderen Worten: Die Islamischen Studien in Frankfurt sind einer akademischen Selbstreflexion sowohl der Texte und Traditionen des Islam als auch ihrer Kontexte und der lebensweltlichen Zusammenhänge verpflichtet, in denen heutige Muslime leben.
Mit dieser Grundausrichtung versuchen die Islamischen Studien, den Herausforderungen zu begegnen, vor welche die Vielfalt komplexer Gesellschaften jedes Denken, darunter auch das islamische, stellt. Dazu gehören zweifelsohne auch gewaltzentrierte Religionsverständnisse, die sich nur durch grundlegende Reflexionsprozesse überwinden lassen, die wiederum ihren Weg aus der Forschungslandschaft in eine breitere Öffentlichkeit finden müssen.
Allerdings kann die Prävention von religiös begründeter Gewalt nicht ausschließlich in die Verantwortung islamischer Denker und Theologen übertragen werden. Sowohl die Lektüre der religiösen Texte als auch die Deutungen und Rahmungen des eigenen Kontextes hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab, die nicht allein auf dem Feld der Religion zu suchen sind.
Das Leben mit der Komplexität und Widersprüchlichkeit der heutigen Welt ist eine große gesellschaftliche Herausforderung; und es gibt ein beunruhigendes Spektrum von radikalen Strömungen und Gruppierungen, darunter auch im rechtsradikalen Bereich, die mit Versprechen der Eindeutigkeit und der Komplexitätsreduktion in einer mehrdeutigen Welt vor allem junge Menschen ködern. Um diese Deutungen zu verstehen und zu dekonstruieren und vor allem um gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie an Attraktivität einbüßen, sind viele Akteure aus dem politischen und dem Bildungsbereich gefragt.
Dies ist eine Kurzfassung des Artikels „Gewalt im Koran. Zur Bedeutung des Kontextes in der islamischen Theologie“ von Armina Omerika. Den kompletten Beitrag finden Sie in der Ausgabe 1.2016 von Forschung Frankfurt zum Thema „Gott und die Welt“. Zur Übersicht.