Zwei prominente Wissenschaftler, der Schriftsteller und Orientalist Dr. Navid Kermani und der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler, Prof. Dr. Jan Assmann, diskutierten zum Auftakt des neuen LOEWE-Schwerpunktes „Religiöse Positionierung“ an der Goethe-Universität über Differenz und religiösen Pluralismus sowie die Frage, ob Religionen des wahren einen Gottes überhaupt fähig sind zur Pluralität.
Der große Hörsaal im Hörsaalzentrum auf dem Campus Westend war gut besucht. Nicht nur Universitätsangehörige, auch Vertreter der Stadt und Frankfurter Institutionen, der verschiedenen religiösen Gemeinden und interessierte Bürger waren gekommen. Jan Assmann, der unter anderem durch Arbeiten zur Theorie des kulturellen Gedächtnisses hervorgetreten ist, und Navid Kermani, deutsch-iranischer Schriftsteller und Wissenschaftler, 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, sind Namen, die Publikum anziehen.
Kermanis muslimische, ästhetische und poetische Sicht auf christliche Tradition und Kunst – etwa auf die religiösen Gemälde eines Hieronymus Bosch – und Assmanns Thesen über die Pluralismusfähigkeit monotheistischer Religionen versprachen eine spannende Debatte. Diese stand exemplarisch für den ganz anderen Ansatz, den der gemeinsame LOEWE- Forschungsschwerpunkt „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten“ der Frankfurter Goethe-Universität und der Justus-Liebig-Universität Gießen verfolgt.
Nicht die Suche nach der harmonisierenden Überwindung von Gegensätzen steht im Fokus. Vielmehr gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass Religionen grundsätzlich Position beziehen und somit konfliktträchtig sind. „Einwanderungsländer müssen sich auf mehr Pluralität, religiösen Differenzen und auch Ängste einstellen, aber das muss nicht immer grundsätzlich negativ sein“, sagte Prof. Dr. Christian Wiese, Sprecher des vom Land Hessen mit 4,5 Millionen Euro geförderten neuen Forschungsverbundes und Inhaber der Martin-Buber-Professur für jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität.
Welches Potenzial, welchen Vielklang oder welche Widerstände bergen diese religiösen Positionierungen? „Das wollen wir in verschiedenen interdisziplinären Projekten durchspielen“, so Prof. Wiese – philosophisch, theologisch, ethnologisch, soziologisch oder auch erziehungswissenschaftlich. Fast 20 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter auch Post-Docs und Promovierende aus Deutschland, Israel, Syrien und den USA, werden an dem Forschungsverbund bis 2020 beteiligt sein.
„Das ist mehr als ein Projekt im Elfenbeinturm“, erklärte Prof. Dr. Melanie Köhlmoos, Dekanin und Professorin für Evangelische Theologie während der Auftaktveranstaltung. „Unsere Forschung soll mittenrein in die öffentliche Debatte.“ In eine Debatte über die gesellschaftlichen und kulturellen Folgen der Zuwanderung von Geflüchteten in Deutschland und anderen Staaten, in eine Zeit, in der – so Köhlmoos – „Religion plötzlich auch in Europa wieder eine Frage auf Leben und Tod ist“.
Sind also monotheistische Religionen gewalttätig und welche Berechtigung haben sie in einer pluralistischen Gesellschaft? Assmann, Emeritus der Universität Heidelberg, hat sich mit dieser Frage seit längerem befasst. Seine Reflexionen über die „mosaische Unterscheidung“ – die Einteilung in religiös wahr oder falsch – haben wichtige Debattenanstöße geliefert.
In vorbiblischen Zeiten bei den Ägyptern, Babyloniern, Römern oder Griechen gab es diese Differenzierung nicht. „In der Wissenschaft ist wahr und falsch wichtig“, so Assmann, „aber wer will entscheiden, welcher der richtige und der falsche Gott ist?“ Erst in der Bibel werde erstmals vom wahren Gott und falschen Göttern gesprochen, werde eingeteilt in richtig und falsch, Freund und Feind. Der Monotheismus verfolge den Absolutheitsanspruch, „man muss sich positionieren“. Assmann bezeichnete das als „Verschärfungen“, zu denen Märtyrertum, Töten für Gott, Weltgericht und Terror zählen.
Eine so tiefe Schneise wollte Navid Kermani dagegen nicht schlagen. Die ersten Märtyrer im 20. Jahrhundert – die japanischen Kamikaze-Flieger – seien übrigens nicht religiös motiviert gewesen. Religion, so Kermani, besteht für ihn nicht nur aus Lehre, sondern auch aus Praxis. Gebete, die Einteilung des Tages, Gerüche, Gewänder, Bewegung, die körperliche Erfahrung hätten Religion über Jahrhunderte ausgemacht. Heute überlagere die Theologie jedoch den Begriff. „Wenn man das trennt, wenn von der Religion nur die Theologie übrig bleibt, dann wird eine explosive Mischung daraus“, so der Orientalist.
Was führte dazu, dass die Religion in Verruf gekommen ist, wollte Moderator Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor des „Haus am Dom“ und Beirat des LOEWE-Schwerpunktes wissen. Assmann hielt bestimmte Konstellationen, zu den auch eine gewisse Phasen des Kolonialismus zählte, für einen Grund – „daraus entsteht Monotheismus, entsteht Verschärfung“. Erste Beispiele fänden sich im alten Ägypten oder auch zwischen Hindus und Moslems in Indien, „ein Konflikt, der sich unter den Briten vertieft hat“.
Auch Terrorismus ist für den Ägyptologen „die verschärfte puritanische Reaktion auf die Moderne“. Navid Kermani sah die Ursachen im „totalitären Zugriff der Menschen auf die Welt und die Schöpfung“. Eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich auch auf die Religion ausgewirkt habe. „Monotheismus ist da ein Brandbeschleuniger.“ Die meisten Opfer, gibt er zu bedenken – hätten aber bisher nicht religiöse, sondern säkulare Motive gefordert.
Als gefährlich sieht der Orientalist eine andere Tendenz. „Die Reduzierung des Islam auf eine kleine Anzahl von Lehrtexten.“ In Saudi Arabien und anderen Staaten seien unterdessen wichtige, frühe religiöse Texte verboten. „Wir müssen uns mit der Tradition befassen, den Fundus an Texten und die Bibliotheken nutzen.“ Auch der philologische, nicht nur der soziologische Aspekt sei bedeutsam, „sonst ist das für den Islam verheerend“, appellierte Navid Kermani.
Die religiösen Gemeinschaften stünden – so Wiese als Sprecher des neuen LOEWE-Schwerpunktes – angesichts der Verwerfungen, die weltweit mit widerstreitenden Wahrheits- und Geltungsansprüchen einhergehen, vor enormen Herausforderungen. Umso wichtiger sei der in Frankfurt gewählte Ansatz: Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen eines konstruktiven statt destruktiven, eines respektvollen Umgangs mit religiöser Pluralität und Differenz auszuloten.
[Autorin: Astrid Ludwig]