Während immer wieder von der „Krise der Demokratie“ zu hören ist, hat sich das Konzept der „good governance“, das öffentliche und private Akteure auf Normen guten Regierens verpflichtet, weltweit verbreitet. Ein neues Graduiertenkolleg von Goethe-Universität und TU Darmstadt widmet sich nun der Frage, wie „Standards des Regierens“ die Möglichkeit kollektiver Selbstbestimmung verändern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat für die nächsten fünf Jahre 4,4 Millionen Euro bewilligt.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat das neue Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“ bewilligt. Das Kolleg wurde gemeinsam von der Goethe-Universität und der Technischen Universität Darmstadt beantragt. Die Sprecherschaft hat Jens Steffek, Professor für transnationales Regieren an der TU Darmstadt inne, stellvertretende Sprecherin an der Goethe-Universität ist die Demokratieforscherin Prof.‘in Sandra Seubert. Beide Universitäten sind mit jeweils fünf Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftlern aus den Fächern Politologie und Soziologie, Philosophie und Rechtswissenschaft beteiligt. Das Kolleg ist interdisziplinär angelegt und dient der Qualifikation von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Demokratische Gesellschaften stehen heute vor großen Herausforderungen. Viele Versuche, das westliche Demokratiemodell in andere Teile der Welt zu übertragen, sind gescheitert. Der weltpolitische Einfluss autoritär regierter Staaten wie China nimmt seit Jahren zu. Während die Demokratie als Staatsform in der Krise zu sein scheint, nimmt das Konzept der „good governance“, des guten Regierens, einen steilen Aufstieg. Es prägt mittlerweile nicht nur politische Strukturen, sondern auch Unternehmen und Einrichtungen.
Das neue standortübergreifende Graduiertenkolleg (GRK) beschäftigt sich mit dem Konzept der „good governance“, das allgemeine Normen wie Transparenz, Partizipation und Verantwortlichkeit („accountability“) der Regierenden beinhaltet, aber je nach Konzeption auch spezifischere Aspekte wie Geschlechtergerechtigkeit, Korruptionsbekämpfung und systematische Evaluation von Politik. Die Anforderungen der „good governance“ richten sich gleichzeitig an den öffentlichen und privaten Sektor. Staaten und Kommunen, börsennotierte Unternehmen, Finanzmarktakteure und Nichtregierungsorganisationen – sie alle werden heute nach ihrer Performance auf Skalen der „good governance“ beurteilt und in Rankings gelistet.
Die innovative Leitidee des Graduiertenkollegs besteht darin, Normen des guten Regierens als Standards zu begreifen – vergleichbar technischen Normen – und zu analysieren. In der interdisziplinären Zusammenarbeit und in Kombination von empirisch-analytischer und normativer Forschung wird es etwa um die Frage gehen, wie Standards des Regierens eigentlich entstehen und warum sie kodifiziert werden. Weitere Forschungsfragen sind: Warum verbreiten sich Standards des Regierens unter Bedingungen der Transnationalisierung über Grenzen hinweg? Wie werden Standards des Regierens in die Praxis umgesetzt, und wie wird ihre Einhaltung gemessen? Wie wird versucht, diese Standards durchzusetzen, warum formiert sich Widerstand gegen solche Versuche, und können Sie auch demokratischen Zwecken dienen?
Durch die Verbindung von Forschungsperspektiven, die normalerweise nicht gemeinsam betrachtet werden, soll im Kolleg auch ein Dialog zwischen politischer Theorie und Institutionenlehre und Fachdisziplinen wie der politischen Ökonomie, den Internationalen Beziehungen, der Rechtswissenschaft und der soziologischen Modernisierungsforschung stattfinden. „Es ist eine zentrale Herausforderung dieses Graduiertenkollegs, die demokratiewissenschaftlichen Großtheorien auf empirische Studien herunterzubrechen“, sagt Prof. Sandra Seubert. So könnten die wichtigsten Thesen in der Kooperation überprüft werden. Goethe-Universität und TU Darmstadt gehören zum Hochschulverbund der Rhein-Main-Universitäten und bieten die standortübergreifenden Masterstudiengänge „Internationale Studien, Friedens- und Konfliktforschung“ sowie „Politische Theorie“ an.
Insgesamt sieht das Kolleg zunächst zwei Gruppen mit jeweils zehn Promovierenden vor. Dabei gehe es nicht nur um die Nachwuchsgewinnung für die Wissenschaft, betont Seubert: „Angesichts der Aufgaben und Probleme, vor denen demokratische Gesellschaften heute stehen, ist es sehr wichtig, junge Menschen für unterschiedliche Bereiche der Politik gut auszubilden, und das wissenschaftlich generierte Wissen mit der Gesellschaft zu verbinden.“
Die Förderung des Kollegs „Standards des Regierens“ beginnt zum 1. April 2023 und läuft zunächst fünf Jahre. Anschließend ist eine Fortführung für weitere vier Jahre möglich.