Neujahrsempfang für die internationale Forschungsgemeinschaft der Goethe Universität Frankfurt 

Wenn aus der Suche nach Antworten Freundschaft wird  

Wie wahrscheinlich ist es, dass zwei Humboldt-Stipendiaten aus Indien, einem Land mit knapp 1.5 Milliarden Menschen, über die gemeinsame Kita ihrer gleichaltrigen Kinder im Ausland zusammenkommen? Angenommen einer dieser Stipendiaten ist ein hochkarätiger Rechtsexperte, die andere eine herausragende Atomphysikerin – wie ständen die Chancen, dass sich aus der zufälligen Begegnung beim Abholen der Kinder eine einzigartige Freundschaft entwickelt? Und an welchem Ort könnte eine solche Begegnung stattfinden?

Eine statistische Analyse und Auswertung der ersten beiden Fragen würde wahrscheinlich den Rahmen dieses Artikels sprengen. Aber die Antwort auf die letzte ist einfach: Möglich gemacht hat diese Begegnung die Goethe-Universität Frankfurt. Dabei sei angemerkt, dass dieses nur eines von vielen Zusammentreffen beschreibt, die auf den in der Metropole gelegenen Universitätscampussen möglich werden und es bereits sind. Einen Querschnitt durch die Internationalität, der man hier tagtäglich begegnet, lieferte der Neujahrsempfang für internationale Wissenschaftler*innen. Dieses Jahr kamen Anfang Februar mehr als 80 Teilnehmende inklusive Kind und Kegel zusammen. Insgesamt waren 26 Nationalitäten vertreten. Von PhD-Studierenden über Gastprofessor*innen, diversen Stipendiat*innen, von Kurzzeit- zu Langzeitlehrenden und –lehrender, von Neuankömmlingen bis zu „alten Hasen“ – im durch die Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Goethe-Universität betriebenen Gästehaus in der Frauenlobstraße sammelte sich an diesem durch Klaviermusik vom Frankfurter Jazz-Pianisten Philip Wibbing geleiteten Abend eine bunte Gemeinschaft der Wissenschaft.

Dabei gehörten die wohl größten Augen zwei fünfjährigen Jungs, die den Begrüßungsworten von Prof. Dr. Jürgen Bereiter-Hahn, Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Goethe-Universität, Universitätspräsident Prof. Dr. Enrico Schleiff, sowie dem eröffnenden Klavierstück von Dr. Johannes Müller, Leiter der Global Office, geduldig lauschten.

Universitätspräsident Enrico Schleiff hieß die Teilnehmenden willkommen und bedankte sich bei ihnen für die neuen Impulse, die sie in die Universitätsgemeinschaft senden (Foto: Jürgen Lecher)

Wie prägend interkulturelle Zusammenkünfte dieser Art auch für die jüngsten Teilnehmenden sind betonte Universitätspräsident Schleiff in seiner Rede: „Für uns ist Internationalität gerade deshalb so wichtig, weil Sie als Gastwissenschaftler*innen und als internationale Studierende neue Ideen, neuen Wind, neue Diskussionspunkte und neue Argumentationsweisen einbringen. Und in der heutigen Zeit ist es wichtiger denn je, dass wir alle gemeinsam an einer neuen und schönen Zukunft für unsere Welt arbeiten.“ Er erinnerte daran, dass nur wenige Tage zuvor Zehntausende Menschen in Frankfurt für Demokratie, Freiheit und Vielfalt demonstriert hatten, als Teil der bundesweiten Aktionen gegen Rassismus und Antisemitismus, für deren Teilnahme auch die Goethe-Universität mit weiteren Frankfurter Partnern geworben hatte, und betonte in diesem Zusammenhang nochmal, dass die Freiheit das höchste Gut der Wissenschaft sei.

Von Humboldt, Atomphysik und Rechtswissenschaften

Die Zukunft ihrer Kinder, ihres Heimatlands und ihrer Forschungsgebiete haben auch die zwei indischen Humboldt-Stipendiaten im Blick. Sahila Chopra, Atompysikerin am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und Mitglied der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Dr. Horst Stöcker, verleiht nach knapp 1 ½ Jahren an der Goethe-Universität ihrer bisherigen Erfahrung 100 von 100 Punkten. „Für mich ist mit diesem Stipendium ein Traum wahr geworden. Nicht nur, weil ich das Glück hatte, als Einzige von 35 Studierenden in meiner Kohorte dieses begehrte Stipendium zu erhalten. Sondern auch, weil ich diese Universität und diese Stadt, und die Hilfsbereitschaft so vieler Menschen – allem voran mein Gastgeber Prof. Stöcker – sehr zu schätzen weiß.“ Im November dieses Jahres endet ihr Stipendium und sie plant mit ihrer Familie in ihr Heimatland zurückzukehren. Ihr Ziel: das Erlernte an Studierende in Indien weitergeben, Erfahrungen teilen, und dabei helfen, Horizonte zu erweitern.

Atomphysikerin Sahila Chopra forscht als Humboldt-Stipendiatin am Frankfurt Institute for Advanced Studies. Ihre Erfahrung an der Goethe-Universität bewertet sie mit 100 von 100 Punkten. (Foto: Jürgen Lecher)

Mit im Gepäck wird sie auch eine neue Freundschaft haben. Denn an der universitätseigenen Kita hat ihr Sohn eine Freundschaft geschlossen, die sich auf die Eltern ausgeweitet hat, von denen zufällig einer ein weiteren Humboldt-Stipendiat aus Indien ist. „In unserem Heimatland wären wir einander nie begegnet. Wir stammen nicht nur aus unterschiedlichen Regionen und Kulturen, sondern besitzen einen ganz anderen akademischen Hintergrund,“ sagt Chopra über Dr. Kumar Pratyush, der die letzten 1 ½ Jahre am Fachbereich 1 verbracht hat.

Pratyush ist fasziniert von „kontinentalem“ Recht und hat vor dem Aufenthalt in Deutschland neben Studien in seinem Heimatland bereits in den USA und Italien gelebt und gelernt. Seine Frau nutzt den Aufenthalt in Frankfurt, um neben einem Deutschkurs auch ein MA-Studium an der Goethe-Universität – im gleichen Fachbereich – zu absolvieren. Wie Chopra schätzt auch Pratyush die Kontakte in die deutsche Wissenschaftswelt, die ihm unter anderem sein Gastgeber Prof. Dr. Dr. Gunther Teubner ermöglicht. Ob bzw. wann er nach Indien zurückkehren wird, weiß er noch nicht, und verweist auf seine „Wanderlust“. Aber auch wenn der nächste physische Standort noch unbekannt ist, weiß er ganz genau, welches Ziel er wissenschaftlich verfolgt: „Ich träume davon, in künftigen Diskussionen über deutsches Recht als Experte zitiert zu werden – und zwar auch von deutschen Expert*innen.“ Ein, zugegebenermaßen, „kleingestecktes“ Ziel fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu, führt aber noch aus: „Gerade in der Wissenschaft müssen wir voneinander lernen, unsere Unterschiede feiern, uns hochhalten und gegenseitig stärken.“

Nachwuchs fördern, Exilant*innen eine neue Heimat geben

Xin Yin sitzt mit weiteren jungen Nachwuchswissenschaftler*innen an diesem Abend an einem Tisch. Die PhD-Studentin aus China studiert bereits seit 3 Jahren an der Goethe-Universität. Ihr Schwerpunkt: Immanuel Kant. „Ich schreibe gerade meine Dissertation,“ sagt sie. Wohlbemerkt: auf Deutsch, einer Sprache, die sie sich größtenteils selber beigebracht hat.

Nachwuchswissenschaftler*innen Xin Yin und Humberto Sanchez tauschen sich über ihre Erfahrungen aus (Foto: Jürgen Lecher)

Mit ihr am Tisch sitzt Humberto Sanchez aus Mexiko. Er ist erst seit zwei Wochen in Frankfurt und wird mit den Fördermitteln, die er von der mexikanischen Regierung erhält, über die nächsten vier Jahre seinen PhD in Musikologie schreiben. „Ich muss mich noch eingewöhnen,“ sagt er, „aber bis jetzt kann ich mich nicht beschweren.“

Sein Tischnachbar Xian Yaolong recherchiert seinen PhD an der Goethe-Universität, genauer gesagt am PRIF – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Wie Yin kommt er aus China und wie sie hat auch er in Guangzhou studiert. Sein Fokus richtet sich auf Regierungs- und Legitimitätsformen von Rebellenorganisationen, mit Schwerpunkt auf Myanmar. Im nächsten Jahr plant er eine Forschungsreise in das südostasiatische Land. „Ich möchte Interviews in meine Recherchen einbinden. Gerade in Konfliktregionen spielt Vertrauen eine ganz große Rolle – dafür ist es unerlässlich, vor Ort zu sein.“     

Exilwissenschaftler Prof. Dr. Aung Aung wohnt mit seiner Familie seit 2020 in Deutschland – eine Rückkehr in sein Heimatland Myanmar ist ungewiss (Foto: Jürgen Lecher)

Nicht mehr vor Ort in Myanmar ist Prof. Dr. Aung Aung, ein Postdoc-Forscher an der Abteilung für Tropenmedizin und Globale Gesundheit. Der Exil-Wissenschaftler wohnt seit 2020 in Deutschland, seine Kinder gehen in die lokale Schule. An der Goethe-Universität hat Aung zuletzt an der französischen Ausstellung „Poser pour la liberté/Standing for Academic Freedom“ teilgenommen. Die Integration hier läuft gut; nach einem Jahr Förderunterricht geht sein Sohn inzwischen regulär in die neunte Klasse und auch seine Frau nimmt an Deutschkursen teil. Ob und wann der Tierarzt in sein Heimatland zurückkehren kann, ist ungewiss – er steht auf der schwarzen Liste des Militärregimes. Lesen Sie hier mehr zu Prof. Dr. Aung Aung: https://tinygu.de/JCkv3[SL1]   

Wie Aung hat auch Dr. Olena Podvorna an der Goethe-Universität eine neue Heimat gefunden. Die gebürtige Ukrainerin floh nach dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland, wo sie zunächst an der Freien Universität Berlin ein Stipendium antrat. Nach zwei Jahren Krieg entschloss sie sich, ihre wissenschaftliche Karriere in Deutschland fortzusetzen und arbeitet jetzt als Projektleiterin und Senior Researcher am PRIF. „Für mich gibt es keine bessere Umgebung, die Atmosphäre ist toll, die Menschen sind sehr hilfsbereit, offen und warmherzig, und die Umgebung so viel multikultureller als in Berlin. Seitdem ich bei PRIF bin, freue ich mich jeden Tag wieder ins Büro zu gehen. Die Kolleg*innen haben mich schon gefragt, ob ich nicht auch mal Urlaub machen will,“ sagt sie und lacht. Im neuen Semester wird sie das erste Mal einen Kurs an einer deutschen Universität anbieten. „Die damit verbunden bürokratischen Hürden waren nicht einfach zu überwinden, aber dank der vielfältigen Unterstützung habe ich auch das geschafft.“ Die Wissenschaftlerin hatte auch Angebote aus Großbritannien und den USA, die Stelle in Frankfurt kam als letzte hinzu. „Im Nachhinein kann ich sagen: Es war die richtige Entscheidung.“  

Dr. Olena Podvorna (links) ist sich sicher, dass ihre Entscheidung bei PRIF eine Stelle anzutreten, goldrichtig war. (Foto: Jürgen Lecher)

Komplementäre Ziele

Dr. Olgu Özdemir Ertürk ist erst seit ein paar Tagen in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Mann wird sie das nächste Jahr hier verbringen und am Fachbereich 1 unter Prof. Dr. Bernd Waas mehr über ihr Fachgebiet – dem Arbeitsrecht – recherchieren. Finanziert wird ihr Aufenthalt durch das türkische Wissenschaftskomitee. In Prof. Dr. Waas hat sie einen Experten gefunden, der sich ebenso mit Themen wie algorithmischem Management sowie Plattformen wie Uber beschäftigt, die durch die Einbindung von KI das Arbeitszeitmanagement und den Einsatz ihrer Arbeitskräfte regeln. „Das Thema ist auch relevant für Warenlager großer Anbieter. Inzwischen tragen Mitarbeitende dort kleine Computer am Arm, die ihnen sagen, wo sie die Ware lagern oder entnehmen sollen. Aber die Geräte halten auch fest, wie viel Zeit sie für einen Vorgang benötigen. Somit wird ihre Arbeit nicht nur verfolgt, sondern auch bewertet.“ Ähnliches gilt für Software-Lösungen wie Microsoft-Teams, die genau festhalten, wann eine E-Mail verschickt wurde oder wie lange eine Person vermeintlich „inaktiv“ am PC sitzt. „Das Hessische Datenschutzgesetz trat bereits 1970 in Kraft – es ist das erste und älteste der Welt. Umso mehr freut es mich, dass ich meiner Arbeit gerade hier nachgehen kann.“ 

Aus welchen Gründen auch immer die anwesenden internationalen Wissenschaftler*innen ihren Weg zur Goethe-Universität gefunden haben, der Empfang verdeutlichte nochmal die vielen Verbindungen, die der Wissenschaft zugrunde liegen und veranschaulichte, welche wegweisenden Beziehungen hieraus entstehen. Genau darauf hatten Prof. Dr. Jürgen Bereiter-Hahn und Prof. Dr Schleiff in ihren Willkommensreden hingewiesen – nämlich, dass die Zile der individuellen Wissenschaftler*innen und der Universität komplementär seien. Neben der Ermöglichung von Kommunikation über Grenzen hinweg beinhalte dieses auch das gemeinsame Vorantreiben von Wissen und Innovationen, und sich anderen professionellen Umgebungen auszusetzen – Dinge, die sowohl auf die anwesenden internationalen Akademiker*innen wie auch die Universität zutreffen.

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