Fragen an den langjährigen Hochschulmanager Prof. Lothar Zechlin, der den Prozess der Systemakkreditierung an der Goethe-Universität begleitet hat.
Herr Zechlin, die deutschen Unis haben sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren sehr verändert. Viele Aufgaben erledigen sie nun eigenständig. Droht hier ein Ersticken in Selbstverwaltung oder ist das ein nicht zu unterschätzender Autonomiegewinn?
Autonomie und überbordende Selbstverwaltung bilden ja nicht unbedingt einen Gegensatz. Dass Universitäten über Studiengänge, Mittelverteilung, Forschungsorganisation, Berufungen u. a. stärker selber entscheiden können, halte ich für eine sehr gute Entwicklung. Sie eröffnet ihnen allerdings zunächst einmal nur Chancen, die sie dann auch tatsächlich ergreifen müssen. Damit haben sie es selber in der Hand, ob sie intelligente Entscheidungskulturen entwickeln, in denen sich Effizienz und Beteiligung verbinden, oder ob sie ausufernde „Demobürokratien“ etablieren (ein hübscher Ausdruck von Niklas Luhmann), in denen immer mehr Kommissionen und Unterkommissionen Entscheidungen vertagen oder durch Formelkompromisse ersetzen.
Die Goethe-Universität wurde Ende März dieses Jahres ohne Auflagen systemakkreditiert, d. h. wir können nun selbst die Qualität unserer Studiengänge sichern und weiterentwickeln. Was bedeutet dieser Erfolg für eine so große und heterogene Volluniversität?
Mit der Systemakkreditierung wird der Universität bestätigt, dass sie in der Lage ist, selber für die Qualität in Studium und Lehre zu sorgen. Externe Agenturen werden damit weitgehend überflüssig, eine wichtige Etappe auf dem Weg zu mehr organisationaler Selbstverantwortung! Offenbar sind in der Universität gute Vorarbeiten geleistet worden, so dass die Akteure, die das Projekt vorangetrieben haben, die Systemakkreditierung durchaus als Anerkennung verstehen dürfen. Es kommt jetzt darauf an, diesen Anspruch in der täglichen Arbeit vor Ort in den Studiengängen umzusetzen und damit der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man diese Verantwortung auch tragen kann. Damit wird die eigentliche Basis der Universität in einer sehr viel stärkeren Weise als bislang einbezogen – ein durchaus neuer Schritt mit eigenen Anforderungen an die Integration des Gesamtsystems.
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Hintergrund
Als erste hessische Universität und eine der wenigen deutschen Volluniversitäten hat die Goethe-Universität das Systemakkreditierungsverfahren erfolgreich durchlaufen und wurde ohne Auflagen systemakkreditiert. Das bedeutet, dass sie fortan eigenverantwortlich, d. h. unabhängig von externen Akkreditierungsagenturen, über die Ein- und Weiterführung von Studiengängen entscheiden kann.
Diesem Ergebnis ging ein fast vierjähriger Implementierungs- und Kommunikationsprozess voraus, den das Team Studiengangsentwicklung (Dr. Cornelius Lehnguth, Annette Korn und Jens Sir) der Abteilung Lehre und Qualitätssicherung koordinierte. In diesem Rahmen entstand Ende 2013 eine Evaluationssatzung, die unter anderem mit der internen Akkreditierungskommission und den Studienkommissionen zwei neue Gremien einrichtete.
Während die Akkreditierungskommission seitdem auf Grundlage externer Gutachten – unabhängig vom Präsidium – über die Qualität der Studiengänge entscheidet, werden in den Studienkommissionen auf Fachbereichsebene die Ergebnisse der zentral erhobenen Evaluationen diskutiert und als Grundlage für die curriculare Weiterentwicklung genutzt.
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Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Aspekte, die man beim Aufbau eines funktionierenden Qualitätssicherungssystems in Studium und Lehre beachten muss?
Qualität steht nicht fest, so dass ihr Vorhandensein oder Fehlen einfach nur durch Messen und Zählen ermittelt werden müsste. Sie ist ein Konstrukt, das erst in der gemeinsamen Arbeit von Lehrenden, Studierenden, Management und Leitung zu der Frage entsteht, was ein gutes Studium ausmacht. Das A und O eines QM-Systems besteht deshalb in einem „Spirit“, in dem „Erfolg“ anders verstanden wird, als wenn lediglich Checklisten mit den Anforderungen einer Akkreditierungsagentur abgearbeitet werden. Ein solches Gemeinschaftsprojekt beruht auf dem Engagement vieler Beteiligter. Berücksichtigt man die geringe Bedeutung, die der Lehre für die Entwicklung akademischer Karrieren zukommt, ist Engagement nicht selbstverständlich. Es sollte deshalb gehegt und gepflegt werden. Dazu gehört, dass Kontroversen nicht unterdrückt, sondern argumentativ eher zugespitzt und (möglichst integrativ) entschieden werden. Sie werden angesichts des breiten disziplinären Spektrums der Frankfurter Universität, der wachsenden Heterogenität ihrer Studierenden und der Spannung zwischen Lehre und Forschung nicht ausbleiben, bringen aber Energie in die Sache und schaffen mehr Motivation als endlose Diskussionen ohne Ergebnisse. Ein wenig (!) Widerborstigkeit ist für die Entwicklung eines gemeinsamen Qualitätsverständnisses produktiv, denn andernfalls werden die Prozesse nicht wirklich getragen, es entstehen nur blank polierte Verfahrensweisen. Und natürlich muss das alles auch wieder zusammengebunden werden. Deshalb sind das aktive Mittun und die Unterstützung durch die Universitätsleitung wichtig, die diese Aufgabe nicht alleine auf Stabsstellen oder Qualitätsbeauftragte delegieren darf.
Sie haben 2015 die beiden Vorbereitungsworkshops für die zwei Begehungen im Systemakkreditierungsverfahren an der Goethe-Universität moderiert. Wie beurteilen Sie das Qualitätssicherungssystem der Goethe-Universität, sind Ihnen Unterschiede zu anderen systemakkreditierten Hochschulen aufgefallen, die Sie kennen?
Die Goethe-Universität setzt noch stark auf interne Akkreditierung und damit auf die Einhaltung von Mindeststandards. Sie sollte diesen Ansatz, wie schon durch erste Papiere und entsprechende Entscheidungen ihrer internen Akkreditierungskommission begonnen, weiter zu einer kontinuierlichen Verbesserung von Studium und Lehre vorantreiben. Gerade die gegenseitige Begutachtung von Studiengängen im Rahmen der Kommission bietet die Chance, dass zusätzliches Knowhow in der Universität entsteht. Es wird ja nicht nur ein Studiengang als Objekt beurteilt, sondern auch die Kommissionsmitglieder als Subjekte lernen etwas bei der Beurteilung und nehmen das mit in ihre eigenen Fachbereiche. Dass dieses Verständnis von Qualität in der eigenen Universität bleibt und dort wirksam werden kann, halte ich für einen großen Vorteil gegenüber der traditionellen Programmakkreditierung.
Mitte Februar hat das Bundesverfassungsgericht die Akkreditierungspraxis für verfassungswidrig erklärt. Wie sieht Ihre Einschätzung hierbei aus? Welche Aspekte werden sich vermutlich ändern (müssen)?
Das Gericht hat erfreulicherweise deutlich gemacht, dass das Parlament die wesentlichen Dinge selbst entscheiden muss und nicht den Agenturen überlassen darf. Deshalb ist jetzt erst einmal die Politik gefragt, etwas zu ändern. Wenn es schlecht läuft, betrachtet sie das nur als Formalismus und überführt die bisherige Praxis einfach in Gesetzesform. Das halte ich leider nicht für ausgeschlossen, denn die Agenturen werden ihr „Geschäftsfeld“ nicht so ohne Weiteres aufgeben wollen. Wenn es besser läuft, denkt die Politik mehr nach vorne und schaut auch einmal auf ausländische Systeme, z. B. in Finnland oder der Schweiz. Die Goethe-Universität hat jedenfalls mit der Systemakkreditierung und der größeren Eigenverantwortung den richtigen Weg eingeschlagen, sie wird dabei durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht behindert, sondern eher unterstützt.
Eine abschließende Frage: Wie sieht die Qualitätssicherung an Hochschulen in zehn Jahren aus? Welche Auswirkungen wird dies konkret auf Lehrende und Studierende haben?
Ich bin kein Zukunftsforscher, aber mir scheinen zwei Szenarien denkbar: In einer technokratischen Variante werden standardisierte Prüfverfahren durchlaufen, die nach außen gut vorzeigbar sind, aber in der Universität selbst keine nennenswerten Wirkungen entfalten. So ähnlich wie die Abgasuntersuchungen in der Automobilindustrie. Der Erfolg von Studiengängen wird dann eher in ihren finanziellen Einnahmen oder den Gehältern ihrer Absolventinnen und Absolventen als in Faktoren erblickt, die durch die Universität beeinflussbar sind. In manchen privaten Business- Schools lassen sich solche Tendenzen beobachten. In einer für Studium und Lehre produktiveren Variante behält die Universität das Heft in der Hand. Sie verständigt sich darauf, was sie unter „Qualität“ verstehen will, setzt das um und lernt erneut daraus. Das kann zwischen einzelnen Studiengängen variieren, enthält aber immer auch Elemente von Selbstverantwortung der Studierenden für ihre Lernprozesse. Dieses System zielt auf Weiterentwicklung von Studium und Lehre in der Universität, nicht auf Legitimation nach außen. Als geborener Optimist setze ich auf diese zweite Variante, als Realist gehe ich davon aus, dass sich Mischsysteme herausbilden, vermutlich eher zwischen als innerhalb einzelner Hochschulen.
[Die Fragen stellte Dirk Frank]
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Lothar Zechlin ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Er war 1992–2008 Präsident bzw. (Gründungs-) Rektor der Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg, der Universität Graz und der Universität Duisburg-Essen.
Darüber hinaus war er viele Jahre Mitglied des Akkreditierungsrates, Vorsitzender der Systemakkreditierungskommission der Akkreditierungsagentur ASIIN und Vorsitzender des Steering Committees des Institutional Evaluation Programs der European University Association EUA.
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.16 des UniReport erschienen [PDF].