Nach fast vier Jahrzehnten an der Goethe-Uni in den Ruhestand: Rolf Voigt, langjähriger Leiter der Bereichsbibliothek Sozialwissenschaften und Psychologie (BSP), über Digitalisierung, Medienkompetenz und die Zeit im AfE-Turm.
Herr Voigt, wie sieht das aus, wenn ein Bibliothekar zum Abschluss seinen Schreibtisch (auf-)räumt?
Vieles konnte ich bereits beim Umzug vom AfE-Turm ins PEG-Gebäude ausmisten. Habe da bestimmt schon geschätzte zehn Umzugskisten weggeworfen. Das waren vor allem Prospekte, ausgedruckte Listen der meistgelesenen Bücher, aber auch ausgedruckte Mails. Aussortieren und gleich weg damit – das war nie mein Ding, auch nicht zuhause.
Das papierlose Büro – anscheinend wirklich ein Mythos …
… das ist richtig!
Sie gehören zu der Generation, die noch in der Gutenberggalaxis aufgewachsen ist und von der Digitalisierung ,heimgesucht‘ wurde. Wie hat sich das ausgewirkt?
Manche alten Gewohnheiten habe ich einfach beibehalten. Wenn ich längere Texte formuliere, schreibe ich immer noch mit der Hand vor und gebe es nicht gleich in den PC ein. Ich kann dann besser denken, glaube ich. Je länger ich übrigens vor dem Computerbildschirm sitze, desto weniger schaue ich abends fern! Ich bin auch noch nicht dazu übergegangen, mir eBooks zu kaufen, ich werde wohl auch weiter beim ‚haptischen‘ Buch bleiben. Im Beruflichen hat man diese Wahl oft nicht mehr: So bekommt man die Infos über Neuerscheinungen von der Deutschen Nationalbibliothek oder von der Britischen Nationalbibliographie nur noch in digitaler Form.
Sie mussten als jemand, den man neudeutsch als Digital Immigrant bezeichnen würde, den so genannten Digital Natives Wissen zur Verfügung stellen – hat das den Beruf erschwert?
Man muss ganz klar sagen, dass die Dynamik des digitalen Zeitalters den Innovationsdruck erhöht hat. Wir haben in der Bibliothek aber immer versucht, vorausschauend zu handeln. Mit dem Einzug in die neue Bibliothek haben wir z. B. das System BibMap eingeführt; mit der Signatur findet man automatisch auch den Standort des Buches. Künstlich modisch sein wollten und wollen wir aber auch nicht sein! Von Facebook haben wir uns bislang ferngehalten, damit kann sich dann vielleicht meine Nachfolgerin beschäftigen (lacht).
Können Sie sich noch an die ersten digitalen Gehversuche in der Bibliothek erinnern?
Wir hatten damals in den frühen 90er Jahren ein Programm namens Allegro. Ich habe gerade beim Aufräumen noch Disketten davon gefunden. Einmal pro Woche ging man dann von PC zu PC und aktualisierte damit die Rechner, die noch nicht vernetzt waren. Dann hat sich schließlich die Unileitung aber für eine andere Software, die des Hessischen Bibliotheksinformationsnetzes (Hebis), entschieden.
Wenn Sie sich die Mediengewohnheiten der Studierenden anschauen – was sind da die Herausforderungen für die Informationsgesellschaft?
Das Hinterfragen und Prüfen von Informationen ist heute wichtiger denn je! Es mag verführerisch sein, sich im Internet etwas ‚zusammenzugoogeln‘. Doch Wikipedia & Co reichen allein nicht aus für eine gründliche Literatursuche. Das merken wir immer wieder: Wenn die Studis in die Examensphase kommen, dann fehlt ihnen oftmals das Wissen zur Literaturrecherche. Dann stehen sie oft hilflos an der Infotheke, wo ihnen natürlich auch geholfen wird. Wir bieten dafür Kurse an, z. B. Katalogund Datenbankschulungen, aber die Nachfrage ist leider relativ gering.
Wie haben Sie den Abbruch des AfE-Turms, in dem Sie über drei Jahrzehnte gearbeitet haben, erlebt?
Das war sehr zwiespältig: Ich erinnere mich gerne an bestimmte Menschen und Situationen im AfE-Turm. Das Gebäude selber vermisse ich nicht, dafür hat es uns zu oft genervt. Weil der Fahrstuhl nicht kam, musste man oft zu Fuß nach oben. Die Klimaanlage war grauenhaft, hat mir viele Nebenhöhlenentzündungen beschert. Als klar war, dass neu gebaut wird, wurde auch nur noch wenig ins Gebäude investiert. Die sanitären Anlagen waren zum Schluss in einem unbeschreiblichen Zustand. Aber drei Wochen nach der Sprengung, die ich vom Dach unseres Wohnhauses in Bockenheim verfolgt habe, habe ich mir dann doch noch einen Brocken aus den Trümmern geholt, quasi als Erinnerungsstück. Wenn man so lange in einem Gebäude gearbeitet hat, hängt man doch ein bisschen am Materiellen.
Und wie haben Sie Ihr neues Domizil im PEG-Gebäude dann empfunden?
Wie ein Professor aus dem FB04 es mal formuliert hat: Die Bibliothek ist ein „Umzugsgewinner“ – sie ist wirklich sehr schön geworden, funktional und ästhetisch. Wir haben an jedem Arbeitsplatz eine Steckdose, eine Leuchte und einen Netzzugang. Im Turm hatten wir dagegen Kaskaden von Mehrfachsteckern. Wir haben leider zu wenig Arbeitsplätze. Ende Juli saßen viele Juristen in der BSP, weil es bei uns etwas ruhiger ist als in der doppelt so großen Bibliothek im RuW.
Sie sind in der Bereichsbibliothek Sozialwissenschaften und Psychologie thematisch sehr nah dran an dem gewesen, wofür der Turm stand oder gestanden haben soll. Manche sehen einen Mentalitätswandel auf dem Campus Westend.
Ich denke schon, dass die Uni sich gewandelt hat: einmal durch die Berufung von Professoren, die nicht mehr unbedingt in der Tradition der Kritischen Theorie stehen. Die heutigen Professoren müssen stärker den Drittmitteln hinterherjagen und haben sicherlich nicht mehr so viel Zeit für den Austausch. Es hat sich eine Entwicklung vollzogen, die aber auch schon im Turm begonnen hat. Als ich in den 70er Jahren anfing, gab es noch eine Einheit der Sozialwissenschaften. Man sprach von übergreifenden, so genannten „wissenschaftlichen Betriebseinheiten“. Heute sind die Disziplinen stärker in Instituten organisiert. Wenn man heute davon spricht, dass es im Turm mehr selbstverwaltete Orte für Studis gegeben hätte, dann muss man ergänzen, dass diese auch erst erkämpft werden mussten. Das Tuca war ja ursprünglich ein Seminarraum und wurde dann nach einer Besetzung umgewidmet. Da stehen wir im PEG-Gebäude sicherlich noch am Anfang.
Gibt es eine thematische Verbindung zwischen Ihrer Ausbildung und der Bibliothek hier, wie sind Sie da reingerutscht?
Ich habe Politik und Soziologie in Aachen und Marburg studiert und von daher zu zwei der hier vertretenen Fächer eine enge Bindung. Da man als Sozialwissenschaftler im Jahre 1974 nicht so tolle Berufsaussichten hatte – manche machten eine Kneipe auf, andere fuhren Taxi –, bin ich auf die Referendarsausbildung für Bibliothekare gestoßen. Die Goethe-Universität war dann meine zweite Bewerbung, die erste landete in Kassel. Ich bin eigentlich ganz froh, dass die mich dort nicht genommen haben, das war damals noch Zonenrandgebiet (lacht). Frankfurt hatte zwar damals noch ein negatives Image, aber wenn man einmal hier ist, sieht das schon ganz anders aus.
Haben Sie als Leser Lieblingsthemen oder -autoren?
Ich habe mir gerade zum Geburtstag die neue Biographie vom FAZ-Redakteur Jürgen Kaube über Max Weber schenken lassen, bin sehr gespannt. Ich lese gerne französische, skandinavische und als gebürtiger Norddeutscher natürlich auch Deich-Krimis und natürlich alles vom sehr geschätzten Arno Schmidt. Ein Haufen Bücher wartet zuhause auf mich: Meine Frau hatte nämlich eine Buchhandlung – ich werde also ein bibliophiler Mensch bleiben. Bleiben Sie der Uni noch gewogen? Denke schon, der Campus Westend ist ein schöner Ort. Ich werde bestimmt öfter meinen Kaffee im Dasein oder Sturm & Drang nehmen und auch die Bibliothek nutzen. [Die Fragen stellte Dirk Frank]