So, wie Maria Vehreschild sich das vorgestellt hat, funktioniert es im Moment einfach nicht: Als Professorin für Infektiologie leitet sie den entsprechenden Schwerpunkt am Klinikum der Goethe-Universität. Normalerweise behandelt sie mit ihrem Team die verschiedensten Infektionskrankheiten, von Malaria und Tuberkulose bis zu Blutstrom und Harnwegsinfektionen. Eigentlich strebt sie an, ihre Zeit gleichmäßig aufzuteilen: „Mir sind alle drei Aspekte gleich wichtig, meine Patienten, die Lehre und meine Forschung“, sagt sie, „aber wenn so wie zurzeit eine Pandemie dazwischenkommt, muss alles andere zurückstehen.“
Vehreschilds Tage sind derzeit ausgefüllt mit der Visite bei ihren Patientinnen und Patienten, mit der Organisation von deren Behandlung und mit den Sitzungen des COVID-19-Krisenstabes. Manchmal gerät wegen aktueller Entwicklungen der Tagesplan durcheinander, den sie und ihr Sekretariat gemacht haben und in dem momentan für ihre eigentlichen Forschungsinteressen wenig Zeit bleibt. Aber trotz der hohen Belastung durch die Pandemie war sie nicht wütend, wenn sie (vor dem „Lockdown“) Berichte über Leute sah/hörte/las, die in vollen Clubs Party machten oder sich in Kneipen drängelten: „Dann war ich vor allem frustriert, weil es anscheinend nicht möglich ist, diesen Menschen die Augen zu öffnen und ihnen bewusst zu machen, welche Folgen ihr Verhalten hat“, bedauert Vehreschild.
Praktisches Jahr in Brasilien
Schon als Teenager, nach einem Highschool-Jahr in den USA und dem Abitur in ihrer Heimatstadt Hamburg, hat sie Medizin studiert, „weil ich etwas nützliches tun wollte“, erinnert sich Vehreschild, „etwas, das anderen Menschen hilft.“ Dabei galt ihr Interesse zunächst Fächern wie Neurologie und Psychiatrie; während ihres Medizinstudiums in Berlin und Nizza weckten insbesondere verschiedene Praktika ihr Interesse an der Infektiologie. Nach ihrem praktischen Jahr, das sie in Brasilien, in Belo Horizonte und São Paolo verbrachte, stand für Vehreschild endgültig fest, dass sie sich als Medizinerin der Infektiologie widmen wollte. Weltweit gebe es so viele Infektionskrankheiten, darunter hätten vor allem die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu leiden, weil sich viele keine gute medizinische Behandlung leisten könnten und die hygienischen Bedingungen viel schlechter seien als in Deutschland, erläutert Vehreschild. „Es war mir immer ein Anliegen, diesen Menschen zu helfen, und wenn ich als Infektiologin in Deutschland tätig bin und beispielsweise ein Medikament gegen Malaria entwickle, kann ich damit das Leben am anderen Ende der Welt beträchtlich verbessern.“
Außerdem fasziniert sie die große Bandbreite der Infektiologie: „Es gibt so viele Organismen, die Infektionen hervorrufen können; es wird für mich nie langweilig, mich mit ihnen allen zu beschäftigen“, schwärmt Vehreschild. Und nicht nur die fachliche Vielfalt weiß sie zu schätzen: „Man lernt dabei viele interessante Menschen kennen, sowohl durch den wissenschaftlichen Austausch als auch über die klinische Praxis und die persönlichen Begegnungen.“
Während im Zentrum des öffentlichen Interesses zurzeit das Sars-CoV-2-Virus und die dadurch ausgelöste COVID-19-Pandemie stehen, gilt Vehreschilds Forschungsinteresse insbesondere Bakterien: ebenso den nützlichen, die etwa im Darm an der Verdauung beteiligt sind, wie auch den schädlichen, die Infektionen hervorrufen und durch Antibiotika bekämpft werden können. „Der übermäßige Einsatz von Antibiotika, sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tierzucht, ist allerdings hochproblematisch“, betont Vehreschild. Zum einen schädigten Antibiotika beispielsweise die Bakterienflora, die einen gesunden menschlichen Darm besiedele und zur Abwehr von Krankheitserregern beitrage, zum anderen bewirke jedes Antibiotikum, das gegen einen bestimmten Krankheitserreger verabreicht werde, dass sich vor allem diejenigen Bakterien vermehrten, die schon gegen das Antibiotikum resistent seien.
Erreger ohne Antibiotika bekämpfen
„Manche Bakterienstämme haben gegen mehrere Wirkstoffe Resistenzen entwickelt. Auf diese Weise sind gefährliche multiresistente Krankheitserreger entstanden, gegen die alle bekannten Antibiotika versagen“, erläutert Vehreschild. Weil jedes verabreichte Antibiotikum automatisch die Vermehrung derjenigen Bakterien begünstigt, die gegen seinen Wirkstoff resistent sind, sucht sie zum einen nach Strategien, krankheitsauslösende Bakterien ganz ohne Antibiotika zu bekämpfen – zum Beispiel, indem sie Fäkalbakterien eines gesunden „Spenders“ in den Darm eines Patienten überträgt, der mit dem Keim Clostridium difficile infiziert ist. Zum anderen versucht sie, Infektionen zu bekämpfen, indem sie Antibiotika verabreicht, die für den jeweiligen Krankheitserreger „maßgeschneidert“ sind und die Bakterien nicht schädigen, die sich günstig auf die menschliche Gesundheit auswirken. Und natürlich will Maria Vehreschild in der Lehre ihre Kenntnisse über Bakterien und den vernünftigen, sachgerechten Einsatz von Antibiotika an Studierende weitergeben: „Wir müssen die angehenden Ärztinnen und Ärzte da unbedingt besser ausbilden, wenn wir das Problem mit den multiresistenten Bakterien nicht noch verschärfen wollen.“
Stefanie Hense
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 6.20 (PDF) des UniReport erschienen.