Die „Tapete“ hat es Robert Fürst angetan: Fürst ist Pharmazie-Professor, forscht und lehrt im Fach Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität. Er mikroskopiert und macht seine biomedizinischen Experimente natürlich nicht mit Raufaser- oder Fototapete. Sondern mit Endothelzellen, also mit der „Tapete“, die alle menschlichen Blutgefäße nach innen hin auskleidet. Diese einzellige Schicht nimmt wichtige Funktionen im Organismus wahr.
So steuern die Endothelzellen den Eintritt der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) ins Gewebe – ein wichtiger Vorgang, wenn im Körper Entzündungsprozesse ablaufen. Außerdem sind Endothelzellen an der Angiogenese beteiligt, das heißt an der Bildung neuer Blutgefäße, die nicht nur im Zusammenhang mit entzündlichen Krankheiten wie rheumatoider Arthritis und Psoriasis (Schuppenflechte), sondern auch während des Wachstums solider Tumoren entstehen.
In seiner Forschung geht es Fürst um die Anwendung von Naturstoffen, also von Verbindungen, die in der Natur vorkommen und dort von einem lebenden Organismus produziert werden, gleich ob das eine Pflanze, ein Bakterium oder ein Pilz ist: „Die Natur schenkt uns eine große Anzahl an Substanzen, die wir möglicherweise einmal als Arzneistoffe verwenden können, um schwere Krankheiten zu heilen – das finde ich einfach faszinierend“, schwärmt Fürst.
Reinstoffe und Extrakte
Dabei fahndet er zunächst einmal nicht nach einem Mittel gegen eine ganz bestimmte Krankheit, wenn er seine Untersuchungen an einem konkreten Naturstoff aufnimmt. Auslöser für seine präklinischen Studien sind vielmehr die Anfragen von Biotechnologen und Chemikern, mit denen Fürst kooperiert: „Wir haben hier einen interessanten Stoff isoliert. Wollt Ihr nicht mal schauen, was der so alles bewirkt?“ Oder aber Fürst entdeckt bei der Lektüre von Fachliteratur eine vielversprechende Substanz, die unter Umständen angiogenetische oder entzündliche Prozesse beeinflussen könnte.
Im Allgemeinen lässt er diese Substanz dann in reiner, isolierter Form auf menschliche Endothelzellen einwirken, um zu überprüfen, welchen Effekt sie hat. Hin und wieder untersucht er aber auch Extrakte aus Arzneipflanzen, die die Basis der Therapie mit pflanzlichen Arzneimitteln darstellen, das heißt Auszüge aus Pflanzenmaterial, die mit Wasser, Alkohol oder einem anderen organischen Lösungsmittel hergestellt werden. Eine dieser wenigen Ausnahmen ist Weißdorn.
In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt hat Fürst nachgewiesen: Weißdorn-Extrakt, der schon seit längerem als unterstützende Therapie bei Herzinsuffizienz angewandt wird, verhindert außerdem die Bildung von Ödemen. Diese Wasseransammlungen im Gewebe sind typische Symptome des Entzündungsprozesses im Organismus. Fürst hat gezeigt, dass viele Prozesse, die in Endothelzellen zur Ödembildung beitragen, durch Weißdorn-Extrakt beeinflusst werden.
Darüber hinaus konnte er nachweisen, dass jeder dieser Prozesse durch eine andere, im Weißdorn- Extrakt enthaltene Gruppe von Inhaltsstoffen beeinflusst wird. Welche der Komponenten hier im Einzelnen aktiv sind, ist Gegenstand von Fürsts derzeitiger Forschung. Dass im Rahmen pharmakologischer Forschung ein neues Wirkprinzip eines pflanzlichen Extrakts entdeckt wird, ist dabei gar nicht so selten und auch nicht auf Stoffgemische wie eben den Weißdorn-Extrakt beschränkt.
Beispielsweise war jahrzehntelang nur die Tumor-hemmende Wirkung der von Amaryllis-Pflanzen produzierten und mittlerweile kommerziell erhältlichen Substanz Narciclasin erforscht worden. Erst später wurde der entzündungshemmende Effekt von Narciclasin bekannt, und Fürst wandte sich dem Stoff zu, um dessen Wirkung auf Endothelzellen und Leukozyten zu untersuchen.
Mit Bodenbakterien gegen Krebs
Neben Narciclasin existieren auch andere Naturstoffe, die sowohl Tumor- als auch Endothelzellen beeinflussen. Dazu gehört insbesondere Soraphen, das von einem im Boden vorkommenden Myxobakterium produziert wird. Soraphen greift in den Fettstoffwechsel einer Zelle ein und kann dadurch nicht nur das Wachstum von Tumorzellen bremsen, sondern hindert auch Endothelzellen daran, sich zu vermehren und sich innerhalb des Organismus zu bewegen.
Die Bewegung (Migration) dieser Zellen wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass neue Blutgefäße entstehen. Momentan erforscht Fürst die Details zur Wirkweise dieses Stoffes: Er möchte herausfinden, auf welche Weise der veränderte Fettstoffwechsel das Wachstum und die Migration von Endothelzellen hemmt. Die Arbeit zu Soraphen und zu zwei anderen von Myxobakterien produzierten Stoffen ist eingebunden in eine DFG-geförderte Forschergruppe zum Thema „Myxobakterielle Naturstoffe in der Krebsforschung“, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus München, Saarbrücken, Bonn, Jena und Frankfurt mitarbeiten.
In der Arbeit dieser Forschergruppe nimmt Fürsts Projekt insofern eine Sonderstellung ein, als es darin gerade nicht um Tumor-, sondern um Endothelzellen geht. Aber auch die spielen bei der Entstehung von Krebs eine wichtige Rolle, und Fürst bleibt damit der wissenschaftlichen Richtung treu, die er 2002 eingeschlagen hat: „In meiner Doktorarbeit habe ich mich zum ersten Mal mit Endothelzellen befasst. Sie haben mich seither nicht losgelassen.“ [Autorin: Stefanie Hense]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5.16 (PDF-Download) des UniReport erschienen.