Für sie gilt der Grundsatz „So viel ausbessern wie nötig, so wenig verändern wie möglich“: Manuela Keßler ist Restauratorin in der Universitätsbibliothek und behandelt Bücher mit Respekt vor ihrer Geschichte.
Ein gut gemeintes »Da sieht ja aus wie neu« wäre für die Handwerksleistung von Manuela Keßler kein Kompliment – Keßler arbeitet als Restauratorin in der Universitätsbibliothek (UB), und in deren Magazin nagt der »Zahn der Zeit« auf so vielfältige Weise an den Altbeständen der UB, dass man eigentlich eher von einem »Gebiss der Zeit« sprechen sollte: Licht, Luft, Wärme, Tintenfraß, Schimmel und Staub setzen den Büchern genauso zu wie Bücherwurm, Papierfisch, Maus und andere Schädlinge.
»Damit die wertvollen Bücher nicht ganz kaputt gehen, müssen wir sie restaurieren«, sagt Keßler und stellt klar: »Das bedeutet aber nicht, dass wir die Bücher reparieren, sodass diese anschließend wie neu aussehen.« Ein Buchbinder, der ein Bibliotheks- buch repariere, wolle dieses einfach wieder ausleih- und benutzbar machen und müsse nicht lange nachdenken, wenn er beispielsweise die Buchdecke gegen eine andere aus robusterem Material austauschen wolle.
Wenn sich die Reparatur eines gewöhnlichen Bibliotheksbuches nicht lohne, werde das es halt ersetzt. »Die Bücher, die wir restaurieren, sind aber Unikate und nicht zu ersetzen – egal, ob es um spätmittelalterliche Inkunabeln geht oder um ein ganz gewöhnliches modernes Druckerzeugnis, das aber die handschriftlichen Widmung einer schon verstorbenen zeitgeschichtlichen Persönlichkeit trägt.«
Als Restauratorin sei sie angehalten, ein Buch mit Respekt vor seiner Geschichte zu behandeln, und diese Geschichte sei ja manchmal an seinen Vorschädigungen abzulesen. »Deswegen halten wir uns bei der Restaurierung an den Grundsatz ›So viel aus- bessern wie nötig, so wenig verändern wie möglich‹«, fasst Keßler zusammen. »So viel wie nötig, so wenig wie möglich« bedeutet, dass Keßler je nach Umfang und Zustand des Buchs bei der Restaurierung viele Arbeitsschritte vornehmen und fast ebenso viele Handwerkstechniken anwenden muss:
Sie muss insbesondere Leder- und Pergament-Einbände restaurieren – dazu kann auch gehören, dass das Leder oder Pergament gefärbt wird. Manchmal muss Keßler Papp- und Holzdeckel von Büchern vervollständigen, fehlende Metallschließen und -beschläge ergänzen, schadhafte Schließen und Beschläge reparieren – und natürlich muss sie das Papier der Buchseiten restaurieren: reinigen, falls nötig aus Weizen- stärke selbstgekochten – lösungsmittelfreien! – Kleister auftragen, entsäuern und puffern (das heißt, einen stabilen pH- Wert einstellen), Fehlstellen/ Löcher ergänzen.
Wenn es schnell geht, dauert es nur ein paar Tage, bis ein Buch die Restaurierungswerkstatt in Bockenheim, nahe der zentralen UB, wieder verlässt. »Einen 500-seitigen Band mit Schimmelschaden hatte ich aber auch schon für mehr als ein Jahr in der Werkstatt«, berichtet Keßler und zählt auf: »Ich musste das komplette Buch auseinandernehmen, jedes einzelne Blatt baden und einen Faserbrei auf die Fehlstellen auftragen.«
Dazwischen hätten die frisch behandelten Blätter jeweils trocknen müssen – um solche Trocknungszeiten zu überbrücken, arbeiteten die Restauratorinnen und Restauratoren üblicherweise an zwei bis drei Büchern gleichzeitig. Für jedes einzelne Buch, eindeutig identifiziert durch Titel, Signatur, Abmessungen und Seitenzahl, legt Keßler ein Restaurierungsprotokoll an:
Sie notiert in einer Tabelle, ob das Buch einen Einband aus Pergament, Papier, Gewebe, aus Ziegen-, Schweins- oder einem anderen Leder besitzt, ob es in einem Schuber oder in einer Kassette aufbewahrt wird, welche besonderen Merkmale es hat, welche Teile des Buches noch intakt sind, welche Schäden an Buchblock und Einband aufgetreten sind und welche Teile möglicherweise ganz fehlen.
Außerdem gibt Keßler in der Protokolldatei an, welche Arbeiten sie an dem Buch ausführt, und sie fotografiert verschiedene Teile des Buchs vor und nach der Restaurierung. Damit lasse sich nicht nur einen Vorher-Nachher-Vergleich anstellen, wie er auf den Beauty-Seiten einer Frauenzeitschrift zu finden sei, erläutert Keßler: »So kann man in 100 Jahren noch sehen, was an einem Buch im Zuge der Restaurierung verändert wurde.«
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Aktion „Not-Buch“
Die sachgemäße Restaurierung alter, einzigartiger Bücher ist mit erheblichem finanziellen Aufwand verbunden, der von der Universitätsbibliothek (UB) kaum getragen werden kann. Auch im digitalen Zeitalter fühlt sie sich jedoch dem Schutz dieses Kulturguts verpflichtet und hat daher die Aktion „Not-Buch“ ins Leben gerufen: Buch- und Kulturfreunde können die Patenschaft für ein Buch übernehmen, indem sie (ganz oder teilweise) für die Kosten seiner Restaurierung aufkommen.
Unter den Spenderinnen und Spendern ist seit Anfang 2018 auch Dr. Dorothea Krampen, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung „Pädagogische Psychologie“ des Instituts für Psychologie. Sie hat sich dafür entschieden, die Restaurierung von zwei Bänden der mehr als 200 Jahre alten „Faunae Insectorum“ zu unterstützen, einer ersten umfassenden Beschreibung der Insekten Deutschlands:
„Auf der Liste der zu rettenden Werke fiel mein Blick sofort darauf, da mein Mann seit kurzem ökologisch Bienen hält“, berichtet Krampen. „Mit einer Spende in unser beider Namen konnte ich also auch ihm eine ganz besondere Überraschung bereiten.“
Unter der Web-Adresse www.ub.uni-frankfurt.de/buchpatenschaften informiert die UB über die Aktion „Not-Buch“. Sie stellt außerdem eine Liste besonders gefährdeter und restaurierungsbedürftiger Bücher zur Verfügung, die nach den verschiedenen Sammlungen gegliedert ist, zu denen die verschiedenen Not-Bücher gehören, und sie nennt den ungefähren Geldbedarf.
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Falls wertvolle Bibliotheksbücher schon beschädigt sind, restaurieren Keßler und ihre Kollegen sie in der Bockenheimer Werkstatt. Aber damit es nach Möglichkeit gar nicht erst soweit kommt, kümmern sie sich um die Bücher im Magazin der UB. Sie achten auf ein geeignetes Raumklima, das dem Idealwert von 20 Grad Celsius und 50 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit entspricht, beobachten den Verlauf von Temperatur und Luftfeuchtigkeit mit dem PC und lagern bei Bedarf Teile des UB-Bestands in andere Räume um.
Und gelegentlich geht Keßlers Aktionsradius über Bockenheim hinaus: Wenn die UB historische Bücher für Ausstellungen verleiht, begleitet Keßler ihre »Schützlinge« in das ausstellende Museum; seit sie 2003 ihre derzeitige Stellung antrat, hat sie die Leihgaben im Städel, im Museum Giersch und im Klingspor-Museum in Offenbach für Ausstellungen aufgebaut. Das Museumspublikum in Frankfurt und Offenbach kommt auf diese Weise mit Keßlers Arbeit in Kontakt.
Das unterscheidet es von den Normalnutzern der UB, seien sie nun Studierende, wissenschaftliche oder andere Angestellte der Universität oder Lehrende. Diese können auf die historischen Schätze, die Keßler und ihre Kollegen restauriert haben, vor allem dadurch zugreifen, dass sie die gescannten Werke online auf der Website der UB betrachten. Zwar ist noch nicht der ganze Bestand digitalisiert, die Anzahl der verfügbaren Bücher steigt jedoch ständig.
»Wer allerdings Bücher wie etwa unser Exemplar der Gutenberg-Bibel live und im Original betrachten will, braucht dafür einen besonderen Grund und muss sich diesen von einer Professorin oder einem Professor der Goethe-Universität bescheinigen lassen.« Nur in einem der Speziallesesäle der UB, mit Baumwollhandschuhen und unter Aufsicht, könne er beziehungsweise sie die wertvollen Bücher dann studieren.
Bevor Keßler sich 2003 den wertvollen alten Büchern aus dem Bestand der UB zuwandte, hatte sie – angeregt durch das Berufspraktikum einer Schulfreundin – eine Buchbinderlehre absolviert und die nachfolgenden Ausbildungsjahre mit ihrer Meisterprüfung abgeschlossen. »Die Lehre habe ich in der Restaurierungswerkstadt des Frankfurter Stadtarchivs gemacht, sodass ich schon damals in meinen heutigen Beruf hineinschnuppern konnte«, erzählt sie.
Während sie heute gerne in Kriminal- und anderen Romanen schmökert, hatte sie in der Lehrzeit fürs Lesen nicht viel übrig: »Mich haben sowohl die kreative als auch die handwerkliche Seite des Buchbindens gereizt. Da war ich mit meinen Neigungen und Begabungen genau richtig.«
Und genau richtig ist sie auch auf heutigen ihrer Stelle als Restauratorin der UB: »Wir arbeiten hier als Handwerker, und das Handwerk hat mich ja schon während meiner Lehre fasziniert. Es ist einfach ein wunderbares Gefühl, etwas wieder instand zu setzen, was irgendjemand früher einmal hergestellt hat, es zu restaurieren und damit zugleich ein einzigartiges Kulturgut zu schützen«, beschreibt Keßler die Begeisterung für ihre Tätigkeit.
Aus dieser Begeisterung heraus entstand der Wunsch, ihr Fachwissen als Restauratorin auf den neuesten Stand zu bringen, sodass sie 2015 ihr Weiterbildungsstudium an der FH Hildesheim begann und es im Sommer 2018 als Bachelor für »Konservierung und Restaurierung« mit dem Schwerpunkt »Schriftgut, Buch und Grafik« beendete. Dementsprechend wird sie sich in Zukunft mehr damit beschäftigen, den Buchbestand der UB zu konservieren. Die Bücher, die trotz allen Bemühungen Schaden nehmen, wird Manuela Keßler auch weiterhin getreu dem Grunddatz »So viel ausbessern wie nötig, so wenig verändern wie möglich« behandeln.
Autorin: Stefanie Hense